"Wir reichen das Erbe weiter"

Von Bernhard Leitner   07.Mai 2018

Ein Sprachengewirr aus Italienisch, Polnisch, Deutsch und Englisch hing am Freitagnachmittag über dem Eingang der KZ-Gedenkstätte "Bergkristall" in St. Georgen. 300 Jugendliche aus vier Nationen hatten sich anlässlich des Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen hier zu einer Jugendbegegnung eingefunden. Dort, wo vor 73 Jahren Menschen geschunden und getötet wurden, trafen sich dieses Mal junge Menschen, um nicht nur der Opfer zu gedenken, sondern sich auch über die Bedeutung von Demokratie und Freiheit auszutauschen. Und das nicht direkt nur an der Gedenkstätte, sondern auch noch im Veranstaltungszentrum "Aktivpark", wo im Anschluss bei einem "World Café" geplaudert, gesungen, gespielt und gegessen wurde.

"Wir möchten Begegnung schaffen. Die Jugendlichen sollen nicht nur die KZ-Gedenkstätten besuchen, sondern untereinander ihre Gedanken und Wünsche austauschen. Unser Wunsch ist es natürlich, dass aus dieser Begegnung heraus über die Nationen hinweg Freundschaften entstehen", sagt Andrea Wahl, Geschäftsführerin der Bewusstseinsregion Mauthausen – Gusen – St. Georgen.

"Wir reichen das Erbe weiter"
Mit einem Luftballonstart wurde auf die Problematik der Abschiebung gut integrierter Menschen hingewiesen.

Die größte Delegation kam mit 170 Jugendlichen und einigen Familienangehörigen aus Italien. In dem Schul-Projekt "In Demokratie investieren" machten sich Maturanten aus der Stadt Empoli auf die Spurensuche jener politischen Häftlinge, die im März 1944 nach einem Generalstreik verhaftet und in Konzentrationslager verfrachtet worden waren. "Einige von uns kommen aus Familien, die damals Angehörige für immer verloren haben", sagt Claudia Heimes, Stadträtin in der toskanischen Kleinstadt Vinci.

Vergangenheit wird greifbar

Viele der angereisten Jugendlichen waren in den vergangenen Tagen das erste Mal an einer Gedenkstätte des NS-Terrors. So auch die 16-jährige Natalia Alabruckinska, Mitglied der Pfadfindergruppe aus Posen: "Für uns Jugendliche scheint der Zweite Weltkrieg so weit weg. Aber wenn man hier steht, wird einem schon klar, wie wichtig es ist, auch heute für Freiheit und Demokratie einzustehen. Wir müssen das Erbe der KZ-Überlebenden annehmen und weiterreichen."

Diese Verknüpfung mit der Gegenwart ist auch Martin Michalik ein Anliegen. "Erinnern ist wichtig. Noch besser ist es aber, die Frage zu stellen, was wir aus den Geschehnissen von damals lernen können, damit so etwas nie wieder passiert", sagt der Potsdamer über die Jugendbegegnung in St. Georgen.

"Ihr setzt ein Zeichen"

Lob für das Engagement der Jugendlichen hatte der Vorsitzende des internationalen Mauthausen Komitees, Guy Dockendorf, für die Jugendlichen parat: "Viele Europäer scheinen vergessen zu haben, in welchen Strudel der Gewalt Xenophobie, Egoismus und Hass führen. Die Jugendlichen, die heute hierhergekommen sind, setzen dagegen ein wertvolles Zeichen."

Dass sich die Beschäftigung mit Krieg und Verfolgung nicht nur auf das Gedenken beschränken muss, zeigte die Feier mit der Einbindung von Kriegsflüchtlingen, die in St. Georgen leben. Einer von ihnen ist der irakische Journalist Munjid Ali. Er richtete bei der Feier das Wort an die versammelten Jugendlichen: "Friede und Freiheit sind nicht selbstverständlich. Vor 75 Jahren herrschte in Europa Krieg, heute in meiner Heimat. Die Geschichte wiederholt sich leider." Das beste Mittel, dies zu verhindern, sei es, mit Menschen aus anderen Kulturen ins Gespräch zu kommen. Genau so, wie das bei der Jugendbegegnung in St. Georgen der Fall ist.

 

Jugend (ge)denkt

Unter das Motto „Flucht & Heimat“ stellte die Bewusstseinsregion Mauthausen – Gusen – St. Georgen am Wochenende ihr Gedenken an die hier während der NS-Herrschaft zu Tode gekommenen Menschen.

Ein zentrales Ereignis dabei war eine Jugendbegegnung mit Teilnehmern aus Italien, Polen, Deutschland und Österreich, die am Freitag in St. Georgen/Gusen abgehalten wurde. Schauplätze waren der Eingang zum Stollensystem „Bergkristall“ sowie der Aktivpark.

Als Region mit einem belasteten historischen Erbe sollte diese Begegnung zeigen, dass man Verantwortung übernimmt: Für Bildung, die eine globale Gemeinschaft in Gleichheit aller und Toleranz für die Vielfalt ermöglicht. Demokratie und Freiheit stellten dabei die wichtigsten Botschaften dar.

 

Erinnern: Welche Gedanken junge Menschen in ihre Heimat mitnehmen.

Erinnern: Welche Gedanken junge Menschen in ihre Heimat mitnehmen.

„Mir gefällt am Jugend-Gedenken, dass man nicht nur im Schrecken der Vergangenheit verharrt, sondern das auch mit dem Heute verknüpft.“
Martin Michalik, Potsdam, Deutschland

Erinnern: Welche Gedanken junge Menschen in ihre Heimat mitnehmen.

„Für uns Jugendliche erscheint dieser Krieg so weit weg. Aber wenn man hier vor der Gedenkstätte steht, erfährt man, wie wichtig Freiheit und Demokratie sind.“
Natalia Alabruckinska, Posen, Polen

Erinnern: Welche Gedanken junge Menschen in ihre Heimat mitnehmen.

„Ich bin dankbar für die Erfahrung, hier zu sein, wo so vielen Menschen Leid angetan wurde. Das mit anderen Jugendlichen zu teilen, ist ein wichtiger Beitrag für den Frieden.“
Giovanni Capperi, Empoli, Italien

Erinnern: Welche Gedanken junge Menschen in ihre Heimat mitnehmen.

„Ich bin vor drei Jahren aus dem Irak nach Österreich geflohen. Vor 75 Jahren war in Europa Krieg, heute in meiner Heimat. Geschichte wiederholt sich leider. Dagegen möchte ich auftreten und deshalb bin ich hier.“
Munjid Ali, St. Georgen an der Gusen