Dachsberg: Geschlagen wurde sogar in der Kirche

Von Von Thomas Fellhofer   19.März 2010

OÖN: Sie erinnern sich nicht gerne an Ihre Internatszeit zurück. Warum?

K.: Wir mussten nicht nur viele Prügel einstecken, sondern haben auch sexuellen Missbrauch erlebt. Es spricht schon eine deutliche Sprache, wenn ein Präfekt von den Zöglingen BGS („Beitlgreifer-Sepp“) genannt wird. Die gierigen Blicke beim samstäglichen Massenduschen waren unangenehm.

OÖN: Watschn oder Kopfnüsse waren ja auch an öffentlichen Schulen normal. Warum haben Sie es in Dachsberg so arg empfunden?

K.: Über Watschn oder Kopfnüsse würd’ ich nicht reden. Pater Z. war einer, der seine Position brutal ausnützte. Er prügelte nach Belieben. Der schwere Schlüsselbund des Präfekten fügte des Öfteren einem Buben eine blutende Wunde im Gesicht zu.

OÖN: War er der Einzige?

K.: Nein. Vor allem Pater E. war als Choleriker bekannt und gefürchtet, wenn er schlecht gelaunt war. Grundlose Boxer oder Fußtritte waren da keine Seltenheit. Besonders arg war er in seinem Jähzorn. Da konnte es schon vorkommen, dass er ein Opfer, das wegen der Schläge zu Boden gegangen war, noch mit Füßen getreten hat.

OÖN: Wo fanden die Übergriffe statt?

K.: Geschlagen wurde überall, im Speisesaal, in der Klasse oder im Schlafsaal – auch in der Kirche. Wer heute behauptet, es nicht gesehen zu haben, hätte es hören müssen.

OÖN: Wie sind Sie mit diesen Erziehungsmethoden umgegangen?

K.: Die hierarchischen Strukturen wie das Machtverhalten haben natürlich auch auf die Schüler abgefärbt. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, dass das Ausnutzen einer Machtposition als natürliche Gegebenheit hingenommen wurde. Ein Beispiel: Im Herbst gab es keinen Schulausflug, sondern einen Wandertag auf den Kartoffelacker zum Kartoffelklauben. Ein Viertklassler bekam eine Gruppe Untergeordneter, mit denen er in einem abgesteckten Bereich arbeitete. Diese waren praktisch Aufseher. Die haben ihre Klassenkameraden mit Haselnussstöcken geschlagen. Die anwesenden Patres haben zugeschaut.

OÖN: Konnten Sie sich an niemanden wenden?

K.: Das Traurige am Internatsleben war die Hilflosigkeit, das den Peinigern Ausgeliefertsein. Obwohl der Orden mit Internat und Schule anständig Geld verdient hat, wurde nichts dagegen unternommen. Es ist keine Auszeichnung, wenn man einen Zehn- bis 14-Jährigen verprügelt. Es ist aber auch keine, wenn man davon weiß und wegschaut und es duldet. Alle Ordensleute haben von den bedenklichen „Erziehungsmethoden“ ihrer Kollegen gewusst.

OÖN: Sie sprechen auch von sexuellem Missbrauch. Haben die Ordensleute auch da weggeschaut?

K.: Sexueller Missbrauch geschieht im Geheimen, den muss ein geistlicher Kollege nicht gesehen oder geahnt haben. Aber ich wundere mich schon, warum Verdächtige gleich wieder versetzt wurden.

OÖN: Wie geht es Ihnen Jahre nach Ihren Erfahrungen?

K.: Wir sind alle geschädigt. Die Strafverfolgung verjährt! Im Gegensatz dazu hinterlässt das Internat eine seelische Konkursmasse. Viele meiner ehemaligen Internatskollegen haben psychische Probleme oder Probleme mit Alkohol und viele Kinder oder Ehefrauen von ehemaligen Zöglingen müssen das ausbaden.

OÖN: Warum haben Sie damals geschwiegen, warum sprechen Sie erst nach so langer Zeit?

K.: Alleine anklagen? Da ist einmal die Angst vor Unglaubwürdigkeit. Dann die Angst, dass noch Probleme dazukommen, anstatt weniger zu werden. Eine ganz wichtige Komponente ist, dass ich dann die Schule verlassen hätte müssen. Das wäre eine Schande für meine Familie und mich gewesen. Ich hatte die Hoffnung, dass es mit den Jahren besser wird und ich das Leid vergesse. Es vergeht nicht, es steckt zu tief.

OÖN: Jetzt entschuldigen sich die damaligen Täter. Wie kommt das bei den Opfern an?

K.: Wenn jetzt ein Peiniger ein ‘Ich entschuldige mich’ herauswürgt, dreht es mir den Magen um. Statt ‘Ich entschuldige mich’ im Sinne von ‘ich befreie mich selbst von meiner Schuld’ stünde schon ein ‘Ich bitte um Verzeihung’ an. Aus Respekt vor dem Opfer. Auf ein „Tut mir leid.“ Kann ich nur sagen: Das Leid ist ganz auf meiner Seite.