"Am Glücklichsten bin ich, wenn ich helfen kann"

Von Karin Wansch   25.März 2016

Seit mehr als 25 Jahren engagiert sich Martha Kern (80) mit Leib und Seele für Flüchtlinge. Vielen Menschen hat die pensionierte Lehrerin geholfen, eine neue Existenz aufzubauen. Martha Kern sitzt am Küchentisch in ihrer kleinen Wohnung und blättert in einem Stapel Fotos. Auf den Bildern sind sie und ihre Schützlinge – Kinder, Jugendliche, Erwachsene, die als Flüchtlinge nach Bad Zell kamen. Unermüdlich gibt sie Deutschunterricht, schreibt Unterstützungserklärungen für Asylanträge, macht Behördengänge, vermittelt Wohnungen, Arbeitsplätze und vieles mehr. Immer wieder greift sie dafür auch in die eigene Tasche. Was sie antreibt? "Ich halte es nicht aus, wenn es jemandem schlecht geht", erzählt sie im OÖN-Gespräch.

Sie betreuen seit mehr als 25 Jahren Flüchtlinge. Wie kam es dazu?

1989 bin ich in Pension gegangen. Damals kamen Flüchtlinge aus Polen, dann aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ich wollte etwas Gutes tun. Vor allem für die Jugendlichen.

Ihren Beruf als Lehrerin haben Sie nie aufgegeben.

Ohne Bildung haben Flüchtlinge keine Chance. Die meisten sprechen kein Wort Deutsch. Viele können auch die lateinische Schrift nicht lesen. Wir fangen ganz von vorne an. Wie die Erstklässler in der Volksschule lernen wir mit Bildern die Buchstaben und mit dem Rechenschieber die Zahlen.

Bildung und soziales Engagement spielen in der eigenen Familie eine große Rolle – Ihre beiden Brüder waren auch Lehrer, Ihre Schwester Krankenschwester. Wie sind Sie aufgewachsen?

Wir haben von klein auf mitbekommen, dass Lernen wichtig ist. Meine Mutter hätte gerne studiert, war aber zu arm. Meine Eltern waren auch sehr sozial eingestellt. Sie hatten immer etwas übrig für Menschen, denen es nicht gut ging. Vor allem der Vater. Er hat für andere sein Letztes gegeben.

Auch Sie selbst spenden viel von Ihrem eigenen Geld. Haben Sie nicht Angst, dass man Ihre Hilfsbereitschaft ausnutzt?

Nein! Wer bettelt, der muss sich demütigen. Den Leuten, die zu mir kommen, geht es schlecht. Ich habe zwar selbst nicht viel und manchmal wird es wirklich knapp. Aber mir persönlich ist Geld nicht wichtig. Nur für mein Begräbnis – dafür muss schon etwas übrig bleiben.

Was bekommen Sie dafür zurück?

Manche Flüchtlinge können einen Beruf ergreifen, die Matura machen. Das sind die Erfolge. Und es ist so eine Freude, wenn sie in Österreich bleiben können. Ich habe selbst keine Kinder. Sie alle sind sozusagen meine Kinder.

Sie sind auch Laienhelferin bei der Pro Mente und geben auf eigene Initiative ein Totenbuch heraus.

Meine Mitmenschen sind mir sehr wichtig. Auch die Toten dürfen wir nicht vergessen. Ich habe alle Verstorbenen unserer Pfarre ab 1960 lückenlos mit ihren Sterbebildchen in acht Broschüren erfasst. Alle fünf Jahre erscheint ein neuer Band.

Ihr Einsatz für Flüchtlinge stößt nicht immer auf Dankbarkeit und Respekt. Wie gehen Sie mit negativer Kritik um?

Ich lasse mich nicht beirren. Negatives geht bei mir rein und wieder raus.

Sie haben in Ihrem Leben mehrere Flüchtlingsbewegungen miterlebt. Hat sich die Bereitschaft zu helfen verändert?

Es gibt viele Menschen, die mich unterstützen. Aber es wird immer schwieriger. Die Leute sind egoistischer geworden. Je mehr sie haben, desto weniger wollen sie teilen. Immer wieder höre ich: "Was wird das werden mit den vielen Flüchtlingen"? Ich rede immer dagegen, dann sind sie still.

Macht Ihnen diese Einstellung in der Bevölkerung Angst?

Ich habe kein bisschen Angst. Ich finde, Flüchtlinge sind eine Bereicherung. Wichtig ist nur, dass sich Einheimische und Asylwerber besser kennenlernen. Nur so kann echte Integration wirklich auch gelingen .

Sie sind vor kurzem 80 geworden. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dass ich gesund bleibe. Ich muss etwas kürzer treten, aber ich hoffe, dass ich noch ganz lange helfen kann. Das ist einfach mein Lebensinhalt.

 

Martha Kern (Jahrgang 1936) wuchs mit drei Geschwistern im alten Spital am Binderberg in Bad Zell auf. Seit 1956 arbeitet sie als Lehrerin. In ihrem ersten Dienstjahr unterrichtete sie in Steyr, dann in Mönchdorf, Pierbach und Bad Zell. In einer zehnjährigen Pause vom Beruf pflegte sie ihre demente und blinde Mutter – „die schwerste und schönste Aufgabe meines Lebens, die mich am meisten erfüllte.“ Seit ihrer Pensionierung betreut die Mühlviertlerin Flüchtlinge, engagiert sich in der Pfarre und bei pro mente. Tatkräftig unterstützt wird sie von ihrem Bruder Robert. Die beiden leben in Bad Zell.