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"Man ist Muslim und Österreicher zugleich"

Von Alexander Zens   25.Oktober 2019

Der Jurist Ümit Vural vertritt rund 500.000 Muslime in Österreich. Derzeit absolviert er eine Bundesländertour. Bei seiner Visite in Oberösterreich besuchte er auch die OÖNachrichten.

OÖN: Herr Präsident, Sie kamen 1988 als Bub von Zentralanatolien in den 15. Wiener Gemeindebezirk. Fühlten Sie sich damals hier willkommen?

Ümit Vural: Es waren andere Zeiten. Wir wurden herzlich empfangen. Im Park haben wir gespielt, bunt gemischt – autochthone Kinder und Zuwandererkinder. In der Volksschule war ich das einzige türkischsprachige Kind. Das hat mir geholfen, die Sprache schnell zu lernen. Ich habe Fußball gespielt im Verein. Neben dem Religionsunterricht ging ich in die Moschee und habe mich islamisch weitergebildet.

Wenn Sie heute als Sechsjähriger nach Österreich kommen würden, wäre es anders?

Ich denke schon, die Gesellschaft und die politische Landschaft haben sich verändert. Bis in die 1990er-Jahre dachte die Politik, die Zuwanderer würden wieder zurückreisen. Dabei hätte man schon damals mit Integrationsmaßnahmen beginnen sollen. Jetzt versucht man nachzuholen, was damals verabsäumt wurde. Fehler gibt es auf beiden Seiten.

Ein Vorwurf ist, dass viele Muslime nicht integrationswillig seien.

Integration ist keine Frage der Religion. Religion ist ein Identitätsmerkmal. Wir wollen als Glaubensgemeinschaft vermitteln und vorleben: Man ist Muslim und Österreicher zugleich, das ist kein Widerspruch.

Zwei aktuelle Studien von Integrationsfonds und Uni Salzburg zeigen, dass die Österreicher Muslime kritisch sehen. 62 Prozent bewerten das Zusammenleben mit Muslimen als schlecht, 60 Prozent fürchten die Verbreitung des radikalen Islams. Warum?

Das ist sehr besorgniserregend. Es gibt Sorgen und Ängste auf beiden Seiten. Wir müssen die Begegnung suchen und Verständnis füreinander zeigen. Muslime haben es nicht verdient, als ewige Feinde oder Fremde gesehen zu werden.

Was erwarten Sie von der künftigen Bundesregierung?

Muslime möchten gleichberechtigte Bürger sein in Österreich. Wenn wir sehen, welche Gesetze verabschiedet wurden in den vergangenen Jahren, tun wir uns schwer, das mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren. Kopftuch tragende Frauen sind mit tagtäglichem Rassismus konfrontiert.

Das von ÖVP und FPÖ beschlossene Kopftuchverbot in Volksschulen ist heuer in Kraft getreten. Was stört Sie daran?

Jeder vernünftige Mensch kann aus dem Gesetz herauslesen, dass hier Muslime anders behandelt werden. Beispielsweise ist die jüdische Kippa nicht vom Verbot betroffen. Nicht dass ich das fordere, aber die Menschen haben hier das Gefühl, anders behandelt zu werden.

Sie haben angekündigt, eine Verfassungsklage gegen das Kopftuchverbot zu prüfen.

Mitte November wird die Klage beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Wir haben uns gewissenhaft vorbereitet und mehrere Gutachten eingeholt, weil es um die Zukunft einer islamischen Glaubenspraxis geht. Wir haben es nicht vor der Nationalratswahl gemacht, weil wir nicht wollten, dass es politisch instrumentalisiert wird.

Wie werden Sie vor dem Höchstgericht argumentieren?

Mitunter mit dem Gleichheitsgrundsatz und der Religionsfreiheit. Wir werden dort verschiedene Grundrechtsfragen thematisieren.

Das Kopftuch ist für viele ein Zeichen der Unterdrückung der Frau.

Man muss vorsichtig sein mit Zuschreibungen von außen. Es geht um Freiwilligkeit. Gott schaut nicht auf Äußeres. Wenn sich eine Frau entscheidet, Kopftuch zu tragen, ist das in Ordnung, wenn sie sich dagegen entscheidet, ebenso. Beide können gläubig sein. Wir sind gegen Zwang, Unterdrückung und destruktive Verbote.

Die Exekutive berichtet von einer steigenden Zahl von Gewalttaten mit Messern. Unverhältnismäßig oft sind männliche Muslime die Tatverdächtigen.

Die Glaubensgemeinschaft ist keine Sicherheitspolizei. Solche Straftaten in Zusammenhang mit Religion zu bringen, ist der falsche Schluss. Keine Religion rechtfertigt Gewalt. Das sind Menschen, die vielleicht eine schlimme Vergangenheit hatten. Die sollen bitte unsere Religion in Ruhe lassen. Straftäter sollen aufhören, die Religion als Begründung heranzuziehen.

Die alte Regierung versuchte, mehrere Moscheen wegen Hasspredigten zu schließen. Hat Sie dieses Vorgehen verärgert?

Es kann nicht sein, dass Moscheen geschlossen werden sollen. Dagegen haben wir Rechtsmittel eingelegt. Dieses Verfahren haben wir gewonnen. Das Argument waren Hasspredigten. Wenn ich sehe, dass ein Imam eine Hasspredigt abhält, da komme ich doch nicht auf die Idee, die Moschee zu schließen. Da hole ich mir den Imam und entziehe ihm die Legitimation zu predigen. Was kann eine Kirche dafür, wenn ein Pfarrer seine Kompetenz überschreitet?

Im vergangenen Jahr wurden Fälle bekannt, in denen Kurden mit österreichischer Staatsbürgerschaft bei Türkei-Reisen von den Behörden festgehalten wurden. Können Sie als Kurde ohne Probleme in die Türkei reisen?

Ich war voriges Jahr zuletzt in der Türkei und habe keine Schwierigkeiten gehabt. Zu den Fällen, die ich auch nur aus der Zeitung kenne, kann ich nichts sagen.

Erbost es Sie nicht, dass Landsleute dort festgehalten werden?

Es geht nicht darum, erbost zu sein. Jeder einzelne Fall ist nicht in Ordnung, das ist keine Frage, aber ich kann darüber nicht entscheiden. Ich wünsche mir, dass Menschen in alle Länder können.

Wie groß ist der Einfluss der türkischen Regierung in Österreich?

Ich kann nur für meine Moscheen sprechen. Wir sind eine unabhängige Interessensvertretung. Dass die Menschen, die aus der Türkei kommen, Beziehung zur Türkei haben, ist legitim. Wichtig ist, dass sie die Probleme ihrer Heimat nicht nach Österreich bringen. Wir haben unsere eigene Agenda und müssen unseren eigenen Weg gehen.

Video: OÖN-TV-Bericht über Ümit Vural im OÖN-Newsroom

Zur Person

Ümit Vural, 37, ist Kurde und stammt aus der Türkei.

Der Jurist gilt als Pragmatiker und steht seit knapp einem Jahr als Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vor. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Er spricht Deutsch, Türkisch, Englisch, Kurdisch und ein wenig Arabisch.

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