"Lokalbahnen brauchen Kämpfer mit langem Atem"

Von Friedrich M. Müller   08.April 2019

LINZ. Walter Weiss, Pädagoge und ehemaliger Bürgermeister der 5200-Seelen-Gemeinde Mals in Südtirol, hat es mit Mitstreitern geschafft, eine bereits eingestellte Bahnlinie zu einem Erfolg zu machen. Die Vintschger Bahn fährt jetzt nicht nur, sie zählt aktuell zwei Millionen Fahrgäste und hat eine Zukunft. Wie das gelungen ist, erzählt Weiss im OÖN-Interview und diese Woche bei einem Vortrag im Architekturforum in Linz.

 

OÖNachrichten: Was ist die Basisarbeit, damit eine Regionalbahn überleben kann?

Walter Weiss: Es ist wichtig, Menschen aus der Region zu überzeugen, dass die Bahnlinie wichtig ist: Das ist eine ständige Arbeit. Wir haben 2000 den Verein "Freunde der Eisenbahn" gegründet, arbeiten alle ehrenamtlich, organisierten Runde Tische und haben nun mehr als 1000 Mitglieder: Davon sind drei Viertel Politiker – von Bürgermeistern über Mitglieder der Landesregierung bis zum ehemaligen Landeshauptmann Luis Durnwalder – er ist Ehrenmitglied.

Die Vinschger Bahn war 15 Jahre lang außer Betrieb: Wie schwer war es, Mitstreiter zu finden, um sie wieder mit Leben zu erfüllen?

Von 16 Bürgermeistern an der Bahnstrecke waren anfangs 13 dagegen. Sie sind nie mit dem Zug gefahren und sagten, die Bahn bringe nichts, da sie in Erinnerung hatten, dass seinerzeit die Bahn oft Verspätung hatte: Lokführer machten Kaffeepause, es wurde vergessen, Schranken wieder zu öffnen.

Wie gelang der Umschwung?

Umweltschützer forderten vor der Landtagswahl 1993 die Betriebsaufnahme – Motto: keine Bahn, keine Stimmen. Es gab ein Versprechen, das nicht umgesetzt wurde. Bei der Wahl 1998 wurde alles verschriftlicht – ohne Erfolg. Dann gründeten wir den Verein, und drei Bürgermeister und der Präsident unserer Bezirksgemeinschaft gaben bei Schweizer Experten eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Das Ziel: Einen von Stau unabhängigen Verkehrskorridor in die Landeshauptstadt zu schaffen. Bozen als Ziel ist die Grundstruktur des Bahnsystems in Südtirol. Wichtig war, dass wir im Jahr 2000 Landeshauptmann Durnwalder überzeugen konnten. Wir hatten anfangs mit 500.000 Fahrgästen pro Jahr gerechnet, jetzt sind es zwei Millionen. Freitag ist Markttag in Bozen: Da kann es schon vorkommen, dass niemand mehr im Zug Platz hat. Außerdem locken wir von Mai bis Oktober zum Besuch eines "Erlebnis-Bahnhofes". Besucher können beispielsweise mit einer Draisine fahren.

Wurden bei der Attraktivierung der Bahn auch Fehler gemacht?

Wir sind nach der Überzeugungsarbeit am Beginn und nach den ersten erfolgreichen Betriebsjahren nun in der dritten Phase angelangt. Denn jetzt wird die Bahnstrecke elektrifiziert. Der nächste Schritt ist: Wir wollen Schnellzüge anbieten, die nicht mehr an allen 16 Stationen halten. Dann braucht man durch unser Tal von Mals nach Meran nur noch 30 statt derzeit 85 Minuten.

Wie unterscheidet sich das Bahnsystem Südtirols vom österreichischen?

Österreich hat viele Flächenbahnen, die nicht immer große Zentren anpeilen, wie das bei uns Bozen ist. Bahnen verpassten oft, mit der Zeit zu gehen. Die Leute müssen merken, dass sie mit dem Zug nicht nur bequemer, sondern auch schneller als mit dem Auto unterwegs sind. Wichtig ist auch, dass die Wirtschaft ins Boot geholt wird, denn gegen sinnvolle Argumente ist kein Kraut gewachsen. Und es zählt die gute Tat, die realisiert wird, und nicht die Ankündigung.

Wie wichtig ist die Preisgestaltung für den Erfolg der Bahn?

In Europa ist in Ungarn Bahnfahren am billigsten, bei uns kostet eine Senioren-Jahreskarte 20 Euro. Die Hälfte aller Bewohner Südtirols haben einen sogenannten Südtirol-Pass. Je mehr sie fahren, desto billiger wird die Benützung der Bahn. Ab 20.000 Bahnkilometern fahren sie gratis. Die Nordtiroler sagen, dass sie sich das nicht leisten könnten. Das stimmt nicht, es braucht die richtige Einstellung. Bei uns ist die ganze Landesregierung, der Landtag auf Eisenbahn-Mobilität eingestellt.

Wie viele der zwei Millionen Fahrgäste sind Urlauber?

Da fehlt uns eine Statistik, Faktum ist, dass vor allem Einheimische die Bahn benützen. Zum Thema Tourismus: Im riesigen Skigebiet Kronplatz im Pustertal können die Gäste vom Zug direkt in die Gondel umsteigen. Diesen Service schätzen vor allem Schweizer Gäste.

Wie viel Geld wurde in die Vinschger Bahn seit dem Start im Jahr 2000 investiert?

Das kann ich nicht sagen: Der Landeshauptmann kündigte an, die Gemeinden mit fünf Prozent an den Verlusten zu beteiligen. Wir haben mit zehn Millionen Euro kalkuliert, dieses Defizit haben wir aufgrund der großen Akzeptanz allerdings nie erreicht.

Was muss in Oberösterreich passieren, damit Strecken wie die Mühlkreis- oder die Almtalbahn erhalten bleiben?

Nicht die Masse der Menschen entscheidet. Der Schlüssel zum Erfolg liegt bei den Entscheidungsträgern, bei ihnen muss man vorstellig werden. Die Politik versteht auch die Zeichen der Zeit, es braucht aber andererseits Kämpfer mit einem langen Atem. Die Menschen dürfen nicht resignieren, sondern müssen durchhalten und überzeugen.

 

Vortrag: Ein Erfolgsmodell als Vorbild für Oberösterreichs Regionalbahnen

Die Vinschger Bahn in Südtirol verbindet Meran mit dem 60 Kilometer entfernten Ort Mals. Die Strecke entlang der Etsch wurde 1990 von den italienischen Staatsbahnen aufgelassen, stattdessen wurden Busse eingesetzt. Drei Jahre später begannen Umweltschützer Druck zu machen, die Bahn wieder in Betrieb zu nehmen – zumal auch die Verkehrsbelastung im Tal immer größer wurde. Ein mühsamer politischer Prozess begann (siehe Interview), der Erfolg hatte: Statt der 2005 prognostizierten jährlich 500.000 Fahrgäste sind es jetzt zwei Millionen. Nun wird die Bahn elektrifiziert. Dann gibt es 15-Minuten-Takt und Direktzüge nach Innsbruck und Lienz.

Walter Weiss referiert über die Erfolgsgeschichte der Regionalbahn: In Wels, Dienstag, 9. April, 18.30 Uhr, Freiraum, Altstadt 8; in Linz, Mittwoch, 10. April, 18.30 Uhr, Architekturforum Oberösterreich (Lederergasse 17).