Von einer Jugend im Barackenlager Haid

Von Renate Schiesser   22.April 2011

OÖN: Sie haben das Barackenlager Haid, die „D.P. Siedlung 121“, als Jugendliche hautnah miterlebt. Was ist Ihre prägendste Erinnerung?

Peter Kaip (83): Die Zustände. Zuerst war ja der deutsche Arbeitsdienst da, dann Kriegsgefangene, dann Juden. Alle haben Spuren hinterlassen. Als die Flüchtlinge kamen, fanden sie Baracken mit eingeschlagenen Fenstern vor, ohne Türen. Wir sind im Juni 1947 aus einer deutschen Gemeinde in Jugoslawien angekommen. Ich war damals 19.

Johann Kaip (78): Und wir hatten nichts. Wir haben nicht einmal Lebensmittelkarten bekommen, weil wir nicht gemeldet waren.

Peter Kaip: Ich erinnere mich vor allem daran, dass wir in das Lager kamen und nur mit Ach und Krach eine Wohnung bekamen. Wobei Wohnung in diesem Fall heißt: ein neun Quadratmeter großes Zimmer mit nichts.

OÖN: Frau Weiss, Sie haben ein Buch über das Barackenlager geschrieben. Hier werden die ärmlichen Verhältnisse sichtbar. Wie war das Leben in den Baracken?

Maria Weiss (71): Ich bin 1955, mit 15 Jahren, ins Lager gekommen. Davor waren wir bei einer Bauernfamilie untergebracht. Wir bekamen eine Wohnung in den Lehrerbaracken. Die waren nicht so schlecht. Wir hatten schon weiße Toiletten, nicht die grauslichen alten braunen.

Johann Kaip: In den Baracken waren zirka zwölf Wohnungen und ein gemeinsamer Waschraum mit Toiletten.

Maria Weiss: Genau. Das musste man gemeinsam nutzen. Als ich 1958 geheiratet hab, bin ich in eine andere Baracke gezogen. Ich musste mit 19 Jahren die alten Gemeinschaftstoiletten putzen. Es war furchtbar...

Peter Kaip: Wir waren drei Personen auf neun Quadratmetern. Mutter und wir beide. Wir hatten ein Stockbett, da mussten wir zu zweit oben schlafen, Mutter hat unten geschlafen. Am Tag wurde es auseinandergebaut, dann wurde Mutters Bett zur Sitzgelegenheit. Es gab keinen Kasten, es gab nichts. Mit dem ersten Geld, das wir verdient haben, haben wir einen Kocher gekauft – damit wir wenigstens das wenige, das wir gehabt haben, kochen konnten.

OÖN: Hatten Sie überhaupt Strom? Wasser?

Maria Weiss: Ja, schon. Das wurde hergerichtet. Wasser gab es an Sammelstellen.

Johann Kaip: Die Sicherungen waren aber immer überlastet, weil die Leute mit dem Kocher auch geheizt haben.

Peter Kaip: Was hätten die machen sollen? Die wären sonst erfroren. Es hat im Winter kein Brennmaterial gegeben. Wenn in einem Eimer Wasser gestanden ist, hat es schon sein können, dass in der Früh eine Eisschicht drauf war. Es ist auch vorgekommen, dass Mütter mit ihren Babys im Winter wochenlang im Bett geblieben sind – damit sie die Körperwärme weitergeben und das Kind nicht erfriert.

Johann Kaip: Dafür war es im Sommer so heiß, dass von einem Tag auf den anderen die Milch in der Wohnung geronnen ist.

OÖN: Mit all diesen Entbehrungen – hatten Sie trotzdem eine schöne Jugendzeit?

Johann Kaip: Eigentlich war es eine schöne Zeit. Es war eine Zeit der Beziehungen, der Freundschaften, wie du sie heute nicht mehr findest. Jeder war für den anderen da. Viele der ehemaligen Lagerbewohner sind ins Ausland ausgewandert, zum Beispiel nach Kanada. Wir haben immer noch Kontakt. Aber man fragt sich heute schon: Wovon haben wir eigentlich gelebt?

OÖN: Was hat Ihnen am meisten gefehlt?

Peter Kaip: Dass ich kein Studium machen konnte. Ich hatte schon vier Jahre Gymnasium. Dann wurde ich in einem Tito-Lager interniert. Dann sind wir geflohen. Und ich bin nie darüber hinweggekommen, dass unser Vater nicht mehr aus dem Krieg zurückgekommen ist.

Maria Weiss: Ich hab die Kindheit auf dem Bauernhof verbracht, wo wir einquartiert wurden. Dort war es schön. Das Einzige: Ich wollte nie anders sein als die anderen. Aber sobald jemand „Flüchtling“ gesagt hat, war ich anders. Auch wenn es nicht böse gemeint war.

OÖN: Hat es Ablehnung gegeben?

Peter Kaip: Schon, ja. Aber ich verstehe das. Ich habe mir immer gedacht: Wie wäre es, wenn es umgekehrt wäre? Die Leute in Ansfelden haben ja selbst nichts gehabt, die waren ausgebombt, die Männer im Krieg. Die Flüchtlinge haben zwar viel geleistet beim Wiederaufbau. Aber ich verstehe, dass ein Bauer keine Freude hat, wenn er ins Feld kommt, und da gräbt eine Frau die Kartoffeln aus. Unsere Mutter ist auch Kürbis stehlen gegangen. Und in den strengen Wintern... Es hat kein Heizmaterial gegeben. Da sind die Leute stehlen gegangen in die Wälder. Die konnten nicht anders, daheim hat die Familie gefroren.

Johann Kaip: Aber wir haben auch viel Gutes erfahren. Viele haben uns mit Lebensmitteln unterstützt.

OÖN: Wie war es denn mit Feierlichkeiten, zum Beispiel Ostern? Wurde das im Barackenlager gefeiert?

Maria Weiss: Das kirchliche Leben hat einen großen Raum eingenommen. Da hat man sich getroffen. Zu Ostern gab es immer das Osterfeuer vor der Kirche. Und was mir gefallen hat: Nach der Andacht wurde man vom Pfarrer auf eine Jause eingeladen. Oder man ist nach der Kirche gemeinsam mit einer Kerze in der Hand nach Hause gegangen.

OÖN: Und wurden auch Ostereier versteckt?

Peter Kaip: Ja, das hat es natürlich auch gegeben.

Maria Weiss: Aber nur die Ostereier. Schokohasen habe ich nicht bekommen. Eher Zuckerl und Orangen. Das konnte man sich noch leisten.

Erinnerungen an ein Barackenlager

Ab 1941 wurde im Zentrum von Haid ein Lager mit rund 160 Baracken für 6000 Kriegsgefangene errichtet. Nach der Befreiung im Mai 1945 wurde die einen Quadratkilometer große Barackenstadt zum Flüchtlingslager. Erst 1964 wurde die letzte Baracke abgerissen.

Mehrere Bewohner haben Bücher geschrieben. Maria Weiss organisierte „Haider Treffen“ und brachte nach dem Tod ihres Mannes die gesammelten Erinnerungen unter dem Titel „D.P. Siedlung 121 Haid, 1941 bis 1961“ heraus. Erhältlich im Stadtamt Ansfelden.