Nach 90 Jahren wird besonderes Wohnhaus geschleift

Von Philipp Hirsch   03.Oktober 2017

Für den ehemaligen Landeskonservator Wilfried Lipp ist die Sache klar. Das Haus Keimstraße Nummer 4 sei "natürlich ein schützenswertes Objekt", sagt der Kunsthistoriker.

90 Jahre nach seiner Errichtung hat der Linzer Magistrat jedoch den Abriss des alten Wohnbaus genehmigt, bestätigt der zuständige Stadtrat Markus Hein (FP) den OÖNachrichten. "Es ist ein Verlust für die Landeshauptstadt, wenn es dieses Haus nicht mehr gibt", sagt Lipp.

Ein moderner Neubau soll auf dem Grundstück errichtet werden. Heute findet dafür die Bauverhandlung statt.

"Defizite beim Denkmalschutz"

Der Abriss des Hauses, das 1927 von der Wohnungsgenossenschaft "Deutsches Haus" errichtet wurde, ist für Lipp einmal mehr ein Beleg für "riesige Defizite", die er beim Denkmalschutz in Österreich sieht.

Das Haus in der Keimstraße sei ein besonders "charakteristischer Bau", sagt Lipp. Vor allem die ungewöhnliche konvexe Dachform sei "eine innovative Auseinandersetzung mit tradiertem Kulturgut". Bemühungen, das gesamte Siedlungsgebiet in der Umgebung unter Ensemble-Schutz zu stellen, seien in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gescheitert. Passagen im Bebauungsplan, die vorsahen, dass Pläne für Neubauten sich an der bereits bestehenden Bausubstanz zu orientieren hätten, wurden ersatzlos gestrichen. Warum es diese Einschränkungen nicht mehr gibt, konnte Hein gestern nicht beantworten.

"Gestalterischer Willkür" sei in den vergangenen Jahren durch derart gelockerte Vorschriften "Tür und Tor geöffnet worden", argumentiert Lipp. Er macht für diese Entwicklung vor allem wirtschaftliche Interessen verantwortlich: "In allen Städten scheut man sich, Vorschriften zu erlassen, die Investoren in irgendeiner Form einschränken könnten."

"Eigentümer nutzen Rechte"

Von Willkür in der Stadtplanung könne in Linz keine Rede sein, sagt hingegen Stadtrat Hein. "Wenn das Denkmalamt kein Interesse zeigt, sind der Stadt Linz die Hände gebunden", so der zuständige Politiker. Nachsatz: "Der Eigentümer macht hier lediglich von seinen Rechten Gebrauch."

 

Die Geschichte des Hauses Keimstraße 4

Erbaut im Jahr 1927 von Baumeister Karl Fischer: Die Kriegs- und Nachkriegsjahre des Ersten Weltkriegs hatten den ohnehin bereits angespannten Wohnungsmarkt in Linz nahezu kollabieren lassen.

Neuer Wohnraum wurde dringend gebraucht, um die Not der Bevölkerung, befeuert durch galoppierende Inflation, hohe Arbeitslosigkeit und bittere Armut, zu lindern. Zahlreiche Wohnbauprojekte wurden in den Nachkriegsjahren am Linzer Froschberg von Wohnungsgenossenschaften umgesetzt. Die berühmten Balzarek-Villen, die weit über die Linzer Stadtgrenzen hinaus bekannt sind, entstammen ebenfalls dieser Epoche. Charakteristisch für das Haus in der Keimstraße ist die konvexe Dachform. Der ehemalige Landeskonservator Wilfried Lipp bedauert, dass das Haus nun abgerissen werden soll: „Ein charakteristischer Bau, der Heimatstil-Anklänge aufweist und dennoch bereits in die Moderne weist.“