Lesen im KZ: Das zynische Abbild der Normalität
LINZ. An der Linzer Uni wurden zwei Bücher aus der Häftlingsbibliothek des Konzentrationslagers Buchenwald gefunden.
"Lies niemals beim Essen!", "Reiße keine Seiten heraus!" oder "Keine Notizen auf die Ränder" – auf den ersten Blick wirken die Anweisungen in dem Buch "Der praktische Landwirt" wie jene, die auch in heutigen Benützungsordnungen von Bibliotheken häufig zu finden sind. Zumindest bis zum letzten Satz auf der Seite: "Du wirst bestraft, wenn du diese Anweisungen nicht befolgst!" Darunter prangt der Stempel der Häftlingsbücherei des Konzentrationslagers Buchenwald.
Außergewöhnlicher Fund
Entdeckt wurde das Landwirtschaftsbuch, gemeinsam mit einem zweiten – das sich mit der Französischen Revolution beschäftigt – vor kurzem in der Geschichtebibliothek der Universität Linz.
"Es ist nicht nur eine Seltenheit, dass es noch Bücher aus dieser Zeit gibt. Auch deren historischer und dokumentarischer Wert ist enorm, allen voran für die Gedenkstätte selbst", sagt Marcus Gräser, Vorstand des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte, über den sensationellen Fund.
Die beiden Exemplare aus der Häftlingsbibliothek standen jahrelang unbemerkt in den Bibliotheksregalen, bei einer Revision wurde die Bibliothekarin darauf aufmerksam. "Wir haben uns mit der Gedenkstätte Buchenwald in Verbindung gesetzt, dort wird versucht, die Häftlingsbibliothek zu rekonstruieren", sagt Gräser. Die zwei Bücher werden in den nächsten Tagen dorthin geschickt.
Im Konzentrationslager Buchenwald und seinen Außenlagern waren von 1937 bis 1945 knapp 280.000 Menschen inhaftiert, mehr als 56.000 von ihnen kamen ums Leben. Ursprünglich umfasste der dortige Bibliotheksbestand rund 15.000 Bücher, derzeit werden in der Gedenkstätte 115 Bücher aufbewahrt.
Die zwei beschriebenen Werke fanden über das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes ihren Weg nach Linz. "Die Universität hat sie 1970 vom DÖW geschenkt bekommen, sie stammen aus dem Besitz ehemaliger Häftlinge, die die Bücher nach der Befreiung mitgenommen haben", erzählt der Historiker.
Blick in die Vergangenheit
Die Bücher könnten noch weitere Erkenntnisse liefern: "Wir haben in den Büchern Besitzvermerke entdeckt, vielleicht können sie in der Gedenkstätte Buchenwald mithilfe ihrer Aufzeichnungen etwas über die ursprünglichen Besitzer herausfinden", so Gräser.
Auf die Frage, warum es in Konzentrationslagern Bibliotheken gab, sagt der Historiker: "Die Einrichtung von Bibliotheken in Lagern sollte eine gewisse Normalität suggerieren, aber wie auch die Benützungsordnung veranschaulicht, zeigt sich hier der pure Zynismus. Denn an der Situation im KZ war ja überhaupt nichts normal." Zudem wurde auch nicht jedem Häftling das Privileg zuteil, lesen zu dürfen, die Nutzung unterlag einer gewissen hierarchischen Ordnung. So durften etwa Mitglieder der Wachmannschaften oder sogenannte Funktionsgefangene Bücher ausborgen.
Wie die ebenfalls gefundene Entlehnkarte zeigt, wurde das Angebot rege genutzt. Wobei die Motivation, warum gelesen wurde, variiert hat: "Für die einen war Lesen eine Art seelisches Bewältigungsmittel, um dem Lageralltag zu entfliehen. Den anderen hat es geholfen, ihre innere Widerstandskraft zu stärken." Offen ist, wie der Bestand der wahrscheinlich größten KZ-Bibliothek überhaupt zustande gekommen ist. "Es liegt die Vermutung nahe, dass er einerseits beschlagnahmte Bestände und andererseits Bücher, die Häftlingen abgenommen worden waren, umfasst hat", sagt Gräser.
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