Jubiläum: 200 Jahre Linzer Lustbarkeiten

Von Bernhard Lichtenberger   28.Jänner 2017

Wenn die Gedanken um den Urfahraner Markt kreisen wie die Gondeln des Riesenrades um dessen Nabe, werden persönliche Erinnerungen wach, die sich nicht selten mit der kollektiven Rückblende decken. Klebrige Finger, die an der Zuckerwatte zupfen; die Duftnoten von Langos, Bratwürstel, Grillhendl, Bier und Schweiß, die zu einem rustikalen Parfüm verschmelzen; der Gemüsehobel-Zauberer und Pfannenanpreiser, der sich mit köstlichem Schmäh die Kundschaft einbrät; das pubertäre Hochgefühl, das fliegende Röcke in der Tagada-Drehschupfn bei männlichen Pickelträgern auslösen; der ködernde Ruf "Chips bitte an der Kassa lösen!".

Reminiszenzen wie diese befeuert vom 3. Februar bis zum 21. Mai die von den OÖN präsentierte Ausstellung "Urfahraner Markt. 200 Jahre Linzer Lustbarkeiten" im Stadtmuseum Nordico. Die von Andrea Bina und Georg Thiel kuratierte Schau erzählt mit zahlreichen Originalobjekten, Fotografien und Filmen in sechs Räumen und 14 Vitrinen die wechselhafte Alltagsgeschichte des ältesten und größten Jahrmarkts Österreichs.

Das Privileg durch Kaiser Franz I.

Sie beginnt am 20. März 1817, als Kaiser Franz I. den Urfahranern per Urkunde das Privileg erteilt, zwei Mal im Jahr einen zwei Tage währenden Jahrmarkt abzuhalten. Nicht nur die Dauer hat sich seither geändert (heute sind es je neun Tage im Frühjahr und im Herbst), sondern auch der Standort. Der erste belegte Jahrmarkt datiert mit Mai 1818. Bis 1860 fand er auf dem nicht mehr existierenden "Platzl" am Urfahraner Brückenkopf statt, danach in der nahen Ottensheimer Straße und ab 1861 auf dem Rudolfsplatz, der heute nach dem Schutzbundführer und Widerstandskämpfer Richard Bernaschek benannt ist. Erst im Jahr 1902 übersiedelte der Jahrmarkt an die Urfahraner Donaulände.

Dass der Rummelplatz mit kulinarischer Ausspeisung, nervenkitzelnden Fahrgeschäften und kunterbunter Warenmesse einmal seinen runden Zweihunderter feiern würde, stand des Öfteren auf Messers Schneide. Waren die Märkte besonders bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein höchst lukratives Geschäft, überschattete die Anziehungskraft als Ort des Vergnügens mit Volksfestcharakter die sonnigen Umsätze. Während des Ersten Weltkriegs dünnte das Warenangebot derart aus, dass 1919 – in diesem Jahr wurde Urfahr nach Linz eingemeindet – überlegt wurde, der Gaudi den Garaus zu machen. Zudem fand nicht jede Lustbarkeit bei den Beamten im Marktamt Gefallen. Das Dirnenwesen wurde als Unwesen betrachtet, das der Moral der Jugend so schlecht bekomme wie der Türkische Honig den Zahnplomben.

Dass das ersonnene Aus gleich wieder zum Auslaufmodell verkam, lag am Eingemeindungsvertrag. Linz wurde in Paragraf 17 nämlich dazu verpflichtet, die Märkte "für alle Zeiten" aufrecht zu erhalten und zu fördern. Und so drehten sich in den 1920er Jahren die Karusselle weiter, und es gesellten sich zu den Socken-, Unterhosen-, Geschirr- und Sonst-was-Standln die Schausteller, die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes vorführten. Da trieb die Neugier die Schaulustigen etwa in das Zelt zur "Dicken Mitzi", der "Königin aller Kolossaldamen", und die Augen schmatzten am 265 Kilogramm schweren Körper von Maria Zacharias, die auch im Wiener Prater ihr gaffendes Publikum fand. In "Schäfers Märchenstadt Liliput" sahen die zahlenden Voyeure in 50 Kleinwüchsigen die Größten. Fakir "Ben Amalfo" machte Geld damit, dass er sich lebendig begraben ließ. Und die Schausteller-Tochter Theresia Sonnberger raste als Gitta Gordon auf dem Motorrad durch die "Todeskugel" und raubte den Umstehenden den Atem.

Wirtschaftlich erlebte der Urfahraner Markt in Laufe seiner Geschichte eine Achterbahnfahrt. Am 3. Oktober 1930 war etwa im Linzer Volksblatt zu lesen: "Die Mannigfaltigkeit des Feilgebotenen ist unübertrefflich. Tausende Töpfe, Leibchen, Taschentücher, Lebkuchenreiter und allerlei Dinge, die der Mensch braucht und nicht braucht, harren hier ihres Käufers. Sogar zwei landwirtschaftliche Maschinen." Mit dem 2. Weltkrieg ging es bergab. Lebensmittel- und Warenknappheit, Luftangriffe und Schuttberge durch den Bau der Nibelungenbrücke belasteten Beschicker und Kundschaft, und 1945 fielen sogar beide Jahrmärkte aus.

Richtig ins Rollen kam der Schilling ab 1954, als neben den Marktständen und Buden erstmals eine große Zelthalle aufgestellt wurde, in der 120 Firmen ihre Produkte feilboten. Bis in die 1990er Jahre wurden Tombola-Lose verkauft, wobei als Hauptpreise Waschmaschinen, Fernseher, ein Puch-500-Spuckerl oder eine Schlafzimmereinrichtung lockten.

Bier erst ab 1911

Mit der Zeit ist auch auf dem Urfahraner Markt einiges vergangen. Statt des ersten Schankburschen Pepi, der das Bier (übrigens erst ab 1911) aus wuchtigen Holzfässern zapfte, zischt der Hopfensaft heute im Akkord vollautomatisch aus dem "Bierjet". Wozu wir Riesenrad sagen, wurde einst "Der Russ" genannt, und aus dem Café-Zelt wurde das Weinzelt. Der Schmankerltreff wurde die Edelweiß-Alm. Ein einmaliges Schau-Erlebnis blieb die Striptease-Bude – in der wurde im Herbst 1978 ausgezogen, um doch nicht zu bleiben.

Bei aller Veränderung kennt der Markt, den die Jungen zum "Urfix" verkürzen, dennoch Konstante. Dazu zählen die Schaustellerfamilien Rieger, Schlader, Avi, Straßmeier und Deisenhammer, die es im Laufe der Jahrzehnte geschafft haben, irgendwie alle miteinander verwandt zu sein. Und es gehört die erwähnte persönliche Erinnerung dazu. Eine davon schildert Nordico-Leiterin Andrea Bina im Buch zur Ausstellung: "Mein erstes Scheitern und das Ende meiner Illusion am Urfahraner Markt fand beim Fahrgeschäft des Verkehrskindergartens im zarten Alter von fünf Jahren statt: Als ich meinen ganzen Mut für eine radikale Gegenlenkung zusammennahm, musste ich plötzlich und völlig unerwartet das Ende der Scheinwelt zur Kenntnis nehmen: Die vorprogrammierte Steuerung der Automobile war in meinen Augen eine ungeheuerliche Manipulation."

 

Buch und Ausstellung

Das Buch: "Urfahraner Markt – 200 Jahre Linzer Lustbarkeiten", das an Geschichten und Bildern reiche, 172 Seiten starke Buch zur Schau erscheint auch als OÖN-Edition; ab 2. Februar erhältlich zum Preis von 22 Euro in den OÖN-Geschäftsstellen Linz, Wels und Ried.

Die Ausstellung: Stadtmuseum Nordico, 3. Februar bis 21. Mai 2017, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr; Karten: 6,50 Euro für Erwachsene, 4,50 Euro mit OÖNCard

 

Die Linzer Buam unter der Leitung von Robert Thaller (hinten Mitte) mit Meisterjodlerin Annemarie Leitner, um 1952  

Linzerische Buama

In "Mühlviertler Land, mein Heimatland" träumten sie im Walzertakt von Linz an der Donau. Und die Sängerin Annemarie Leitner ließ die Hörenden wissen, dass sie "a resche Linzerin" sei. Die Erfolgsgeschichte der "Linzer Buam" ist eng mit dem Urfahraner Markt verknüpft. Obwohl es die Formation nicht mehr gibt, gilt ihr "Linzer Buam Marsch", den der Wiener Kapellmeister Carl Wilhelm Drescher komponierte, nach wie vor als die Hymne in den Festzelten an der Donaulände.

Entstanden ist die Volksfestkapelle aus der Not. In der Zwischenkriegszeit waren die Möglichkeiten für Berufsmusiker dünn gesät. Der Posaunist und Cellist Franz Ernstreiter und der Klarinettist Heinrich Schramm scharten deshalb Kollegen um sich, schlüpften in kurze Lederhosen und ein grellrotes Gilet und versuchten 1934 erstmals ihr folkloristisches Glück. Auftritte im Kleinmünchner Musikpavillon zogen an Wochenenden 3000 Besucher an, 1937/38 bespielten die "Linzer Buam" zum ersten Mal den Urfahraner Markt.

Aus dem Zweiten Weltkrieg kehrten einige Musiker nicht mehr zurück. 1950 stellte der Landestheater-Trompeter Robert Thaller, Gründungsmitglied der Schramm-Partie, die zweiten Linzer Buam zusammen. Vom Hofstetter-Festzelt aus eroberte die Kombo die Welt. Die Kapelle unterhielt u. a. bei den Olympischen Spielen in Rom und in Innsbruck, bedankte sich für den päpstlichen Empfang mit dem Donauwalzer bei Johannes XXIII., veredelte Oktoberfeste in Los Angeles und Chicago. Um alle Engagements erfüllen zu können, splitteten sich die Linzer Buam in mehrere Formationen auf.

Tod oder Ruhestand beendete ihre Geschichte. Im Nordico wird sie wieder lebendig.