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Terroralarm – Was macht die Angst mit uns?

Von Marina Mayrböck   03.Dezember 2015

Der Terroranschlag in Paris hat Spuren hinterlassen. Auch hierzulande. Die Bilder haben sich eingebrannt. Spielabsage in Hannover, Ausnahmezustand in Brüssel, Spannung zwischen Russland und Türkei: Auch die Nachwehen des Attentates hinterlassen ein Gefühl der Ungewissheit. Was machen diese Ängste und Sorgen mit uns? Die Warte hat den Schalchner Psychiater Christian Spaemann befragt.

 

Was macht die momentane Hässlichkeit der Welt mit uns?

Spaemann: In meinen Augen ist die Welt immer noch wunderschön und es gibt überall auf ihr so viele Menschen mit einem guten Herzen. Aller Traurigkeit und Verstörung über die gegenwärtigen Entwicklungen zum Trotz, sollten wir das immer vor Augen haben!

Haben die Menschen Angst?

Ja, zweifelsohne. Zwar ist die Politik nicht unmittelbar Gegenstand in meiner Therapie, dennoch kommt die gegenwärtige Situation immer wieder zur Sprache; die Menschen sind sehr verunsichert. Ich würde allerdings mehr von Sorgen und Befürchtungen als von Ängsten reden. Das klingt nicht so irrational und es kommt mehr zum Ausdruck, dass die Menschen Gründe für ihre Ängste haben. Gerade mir als Psychiater fällt gegenwärtig in den Medien eine unzulässige Psychologisierung nachvollziehbarer Sorgen mündiger Bürger auf. Man braucht sich dann mit den Inhalten nicht weiter auseinandersetzen.

Welche Befürchtungen sind das denn?

Die Sorge vor einer Ausweitung der verschiedenen Kriege. Befürchtungen, dass nichts mehr so sein wird, wie es war. Viele Menschen beschleicht das Gefühl, in einer Gegenwart zu leben, die eigentlich schon Vergangenheit ist und sich bereits in einer Zukunft zu befinden, an die man bisher gar nicht denken wollte. Dann die Sorge, dass unsere Kultur, unser Arbeitsmarkt und unser Sozialsystem die Integration der vielen Fremden nicht bewältigen kann, dass man mit einem Verlust an Wohlstand und durch soziale Verwerfungen auch an Frieden in der eigenen Umgebung rechnen muss. Dazu die bange Frage, ob der ernstgenommene Islam mit unserem Verständnis von Religionsfreiheit, Rechtsstaat und Demokratie zu vereinbaren ist.

Sind Ängste gefährlich?

Angst kann selbstverständlich gefährlich werden, wenn die Menschen sich in ihrer Sicherheit und Identität bedroht fühlen. Das hängt natürlich auch von individuellen Verarbeitungsmustern und soziokulturellen Faktoren ab. Es ist sicher nicht ohne Grund, dass vor allem im Osten Deutschlands Flüchtlingsheime angezündet und Politiker bedroht werden. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass ein guter Politiker immer alles im Auge behalten muss und für solche Entwicklungen mit die Verantwortung trägt. Er kann nicht einfach Moral verordnen, sondern muss realpolitisch dafür sorgen, dass Frieden und Integration möglich sind. Hierfür ist es ein Gesetz der Politik, Prozesse zu verlangsamen und nicht zu beschleunigen. Auf diesem Hintergrund ist der Satz von Angela Merkel: "Wir schaffen das" zu recht kritisch zu sehen.

Angst ist auch eine Art Lähmung. Was könnte diese zur Folge haben?

Derzeit sehe ich bei der Sorge der Menschen, was die Lebensplanung anbelangt, noch keine grundlegenden Änderungen ihres Verhaltens. Allerdings gibt es bereits Lähmungserscheinungen. Die anfängliche gewisse Euphorie der Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen hat abgenommen. Bis vor kurzem waren Fußballvereine noch stolz darauf, Flüchtlinge bei sich zu haben. Jetzt wird an manchen Orten von oben verordnet, dass Flüchtlinge in Sportvereinen integriert werden sollen. Da entsteht plötzlich eine Lähmung. Von oben will man sich so etwas nicht vorschreiben lassen. Es wäre tragisch, wenn die allgemeine Bereitschaft zur Hilfe und Integration verschwinden würde.

Wie sollen wir mit dieser Welt des Wahnsinns umgehen?

Die Menschen sollten sich nicht lähmen lassen, sondern sich weiterhin umfassend informieren und politisch engagieren. Die gegenwärtige Entwicklung kann aber auch Anlass sein, die letzten 70 Jahre Frieden kritisch zu reflektieren. Haben wir uns nicht durch Zukunftsvergessenheit selber in eine bedrohliche Lage gebracht? Wie steht es um die wesentlichen Dinge im Leben? Warum wird so wenig geheiratet? Warum sind unsere Familien so klein und fragil geworden? Warum haben wir nur so wenige Kinder? Warum beschäftigen wir uns so wenig mit den Fragen nach Gott und dem ewigen Leben? Die gegenwärtige Entwicklung führt uns wieder in eine gewisse Normalität der Geschichte zurück, die auch bei uns mehr von Kriegen und Flüchtlingsströmen gekennzeichnet war als von Friedenszeiten. Das ist natürlich grausam und wir sollten alles tun, um das auf vernünftige Weise zu verhindern und einzudämmen, aber es liegt auch eine Chance in dieser Situation, dass wir wieder zu einer gewissen Besinnung in Bezug auf die Dinge kommen, die im Leben wirklich wichtig sind.

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25. April 2024