"Ich bin durch die Hölle gegangen!"

Von Elisabeth Ertl   13.Oktober 2018

Wie weit kann man gehen? Ziemlich weit! Zumindest wenn man Norbert Schiessl heißt. Der 47-jährige Geinberger versuchte sich bereits 2016 am Goldsteig Ultrarace – Europas längstem nonstop Ultralauf (661 Kilometer in 192 Stunden). Vor zwei Jahren musste er nach 500 Kilometern aufgeben. Ein "Schönheitsfehler" in der ansonst makellosen Bilanz des Geinbergers. "Es ist das bisher einzige Rennen, bei dem ich es nicht ins Ziel geschafft habe", sagte der 47-Jährige damals der Volkszeitung.

Knapp vier Wochen ist es her, dass Norbert Schiessl in Sachen Goldsteig Ultrarace einen neuen Versuch gestartet hat. "Diesmal war ich perfekt vorbereitet. Ich wusste, dass der Schlaf nicht so wichtig ist, sondern in erster Linie der Kopf. Der macht bei so einem Rennen bis zu achtzig Prozent aus", ist der Lokführer überzeugt. Getreu diesem Motto war er nach dem Start gleich 195 Kilometer am Stück unterwegs. Unterstützt und versorgt wurde er dabei von insgesamt sechs Zweierteams, darunter auch seine Frau Gabi samt Tochter. Sie alle haben Norbert Schiessl motiviert, massiert, mit Essen versorgt und – im Fall einer kurzen Schlafpause – rechtzeitig geweckt. Bruder Hans machte das mit den Worten "Aufstehen! Wir sind nicht zum Schlafen da." Apropos Schlaf: Insgesamt brachte es der Geinberger in acht Tagen auf zehn Stunden. Eine davon hat er bei Regen in einem Buswartehäuschen verbracht – zur Überraschung einiger Männer, die sich am frühen Morgen auf den Weg zur Arbeit gemacht haben.

Schmerzende Füße

Ein hartes Stück Arbeit waren auch jene 661 Kilometer, die der 47-Jährige in knapp 192 Stunden zurückgelegt hat. Eine Anstrengung, die Spuren hinterlassen hat. "Nach 300 Kilometern habe ich mich kurz hingelegt. Währenddessen hat der Physiotherapeut, der vom Veranstalter engagiert wurde, die Blasen an meinen Füßen versorgt. Davon habe ich selbst gar nichts mitbekommen", sagt Schiessl. Ungeachtet der Schmerzen marschierte der Innviertler weiter. Um sich wach und auf Kurs zu halten, hat er immer wieder ein paar Lieder gesungen. "Und wenn es gar nicht mehr anders ging, dann habe ich mich nur noch am Schein der Stirnlampe vom Hannes orientiert", gesteht der Ultraläufer. Damit spricht Schiessl seinen Freund Hannes Ebner an, der ihn 250 Kilometer lang begleitet hat. "Ohne ihn hätte ich es vielleicht gar nicht geschafft", sagt der Geinberger.

(Fast) Alle Kraft aufgebraucht

Einen absoluten Tiefpunkt erreichte Norbert Schiessl bei Kilometer 540. "Meine Füße haben sich angefühlt, als hätten mich tausend Bienen gestochen. Ich habe mich auf den Waldboden gelegt und hatte eigentlich schon aufgegeben. Dann habe ich meine Frau Gabi angerufen. Das Gespräch mit ihr in Verbindung mit einem unglaublich schönen Sonnenaufgang und einer WhatsApp-Nachricht mit dem Inhalt: ‘Super Norbert. Mach so weiter. Du schaffst das’ haben mir dann noch einmal Energie gegeben", erinnert sich der ÖBB-Angestellte.

Von diesem Moment an startete der Innviertler ein Experiment: Er nahm auf den letzten 123 Kilometern keine feste Nahrung, sondern nur noch Gels zu sich. Obwohl sein Körper wieder mitspielte, ließ der nächste Dämpfer nicht lange auf sich warten. "Der Rennleiter rief mich an und sagte mir, ich müsse bis Mitternacht bei Kilometer 623 sein. Andernfalls würde er mich aus der Wertung nehmen. Von der Distanz her war das eigentlich kein Problem. Aber da wusste ich noch nicht, was auf mich zukommt", sagt Schiessl. Es war die Hölle – oder besser gesagt: Das Höllenbachtal. Eine Ansammlung von riesigen Steinen und Felsen. "Da wäre ich fast durchgedreht, aber der Hannes hat mir da durchgeholfen."

Allen Widrigkeiten zum Trotz stand ein paar Stunden später fest, dass es diesmal mit dem Zieleinlauf klappen wird. Den letzten von 661 Kilometern absolvierte Norbert Schiessl noch einmal laufend – und alleine. "Diesen Moment wollte ich ganz für mich haben. Ich war so dankbar und wurde von Emotionen überschwemmt. Genau diese Augenblicke sind es, wofür man es macht", sagt der Geinberger. Er habe sich gefühlt wie ein Olympia-Sieger. Am Ende war er einer von 13 Teilnehmern aus acht Nationen, die in der vorgegebenen Zeit das Ziel erreichten. Dort angekommen war Norbert Schiessl überglücklich, aber körperlich so am Ende, dass ihn sein Betreuer Hannes ins Auto tragen musste.

Obwohl drei Wochen nach seinem Triumph der Gang noch nicht ganz rund und die Füße von roten Stellen übersät sind, bereut der 47-Jährige nichts. Eine Wiederholung schließt er dennoch aus. "Künftig werde ich mich auf Rennen konzentrieren, die nur zwei oder drei Tage dauern."