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"Ich weine der DDR keine Träne nach"

Von Klaus Buttinger   09.November 2019

OÖN: Sie sind in der DDR groß geworden; wo genau?

Steffen Schambach: Ich bin in Perleberg geboren, 100 Kilometer nördlich von Berlin, aber aufgewachsen in der Stadt Brandenburg. Dort habe ich Abitur gemacht.

Ab wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit dem politischen System?

Das Problem war, dass man ständig damit Kontakt hatte. Mit der Ideologie ging es schon im Kindergarten los, wo man Lieder über die DDR singen musste oder Bilder angeschaut hat von Soldaten der Nationalen Volksarmee. Man ist ja durch alle Organisationen gegangen, durch die Pioniere und FDJ (Freie Deutsche Jugend, kommunistischer Jugendverband, Anm.). Später, wenn man Abitur gemacht hatte, musste man Mitglied sein in der Gesellschaft für Sport und Technik, und da fing es dann an, paramilitärisch zu werden. Es war alles darauf ausgerichtet, ein Loblied auf die Errungenschaften der DDR zu singen.

Warum ist Ihnen das aufgestoßen?

Weil ich aus einem Elternhaus komme, das mit dem System nicht einverstanden war. Insofern bin ich schon sehr früh in die Zwickmühle gekommen. Zuhause habe ich ganz anders geredet als in der Schule. Derart zweigleisig bin ich groß geworden.

Wie sind Sie zum Radio gekommen?

In der zwölften Klasse habe ich bei Radio DDR eine zweitägige Aufnahmeprüfung gemacht. Dann habe ich eine Weile nichts mehr von dort gehört und bin zur Armee gegangen, weil man ohne eine dreijährige Armeezeit kein Studium bekommen hat. Noch während der Armeezeit wurde ich informiert, dass ich bei Radio DDR anfangen kann.

Sie haben später einen offiziellen Ausreiseantrag gestellt …

1982 bin ich aus der Armee heraus und habe zwei Jahre lang ein Volontariat bei Radio DDR gemacht. Dann wurde für mich die Situation aber unerträglich. Inzwischen kannte ich einige, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten, und dann habe ich das eben auch gemacht.

Mit welchen Folgen?

Ich wurde bei Radio DDR sofort entlassen. Das nannte sich damals "Bewährung in der Produktion". Ich habe am Tag der Entlassung drei Arbeitsstellen in Industriebetrieben angeboten bekommen – Arbeitslosigkeit gab es ja offiziell nicht – und habe mich für einen Textilbetrieb entschieden, wo ich zwei Jahre lang quasi zwangsgearbeitet habe, bis mein Ausreiseantrag genehmigt wurde.

Wie kamen Sie in den Westen?

1985 bin ich schon nach Westberlin ausgereist. Ich habe das über einen sogenannten Heiratsantrag gemacht. Ich hatte ein Mädchen in Hamburg und habe als offizielle Begründung "Hochzeitswunsch" angegeben. Dennoch war das unheimlich nervig. Man musste sich ab und zu beim Amt sehen lassen, wurde befragt, warum und wieso und ob man nicht doch hierbleiben möchte. Man wusste auch nie genau, wann es losging. Und wenn, dann musste man innerhalb von 24 Stunden die DDR verlassen. Das habe ich im November getan, mit fünf Koffern und einem Rucksack, ich bin also ein innerdeutscher Flüchtling.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Zeit in der DDR zurück?

Für mich war die DDR ein ideologisiertes, durchdiszipliniertes, diktatorisches Land, in dem man es sich sicherlich irgendwie einrichten konnte. Aber keine Zeitung lesen oder Musik hören zu können, die man möchte, nicht hinfahren zu können, wo man möchte, in allen Bereichen begrenzt zu sein, das ist das Gefühl, das ich nach wie vor habe. Ich weine der DDR keine Träne nach.

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19. April 2024