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Sagenhaft: Vom Krapfenschmalz

Von Helmut Wittmann, 04. März 2023, 19:26 Uhr
Bild: Agnes Ofner

Ein Märchen aus dem Mühlviertel, erzählt von Helmut Wittmann.

Vor langer, langer Zeit, war’s gestern oder war’s heut, da lebte in einem kleinen Haus am Rand eines Dorfes eine Mutter mit ihren drei Kindern – zwei Buben und einem Mädchen. Der Vater war vor Jahren gestorben. So brachte die Frau sich und die Kinder mehr schlecht als recht durch. Einmal wollte sie am Ostersonntag Krapfen backen. Da merkte sie: Es war nicht ein Tropfen Schmalz im Haus. Also sagte sie zur Tochter: „Hör zu, Martha: Lauf schnell hinaus zum Bauernhof der Tante. Sag ihr, sie möchte uns doch ein wenig Schmalz leihen. In den nächsten Tagen bekommt sie es wieder zurück.“ Versehen mit einem Korb und einem kleinen Topf darin, machte Martha sich auf. Der Weg war nicht weit. Über die Felder ging’s zum Mühl-Fluss, dort weiter über die Wiesen und schon war sie am Hof der Tante.

Die war selber gerade dabei, Krapfen zu backen. Die Martha durfte gleich ein paar verkosten. Ui, wie gut die schmeckten. Den Topf füllte ihr die Tante mit Schmalz. Hinein in den Korb damit, noch ein paar frische Krapfen drauf, ein Tuch drüber, damit keine Fliegen dazukommen. Fertig!

Holde und Unholde

Sofort wollte sich die Martha wieder auf den Heimweg machen. Die Tante hielt sie aber zurück. „Pass auf, Martha“, sagte sie, „wenn heute am Ostersonntag die Kirchenglocken beim Gottesdienst läuten, dann kommen die Holden und die Unholden zum Vorschein. Sie wohnen sonst versteckt in Stauden und Feldern, in Wiesen und Bächen. Lass dich nicht schrecken, wenn du einen siehst. Wirf dich einfach nieder auf die Erde. Mach dich so klein wie ein Maulwurfshügel, dann passiert dir nichts.“

Draußen auf der Wiese war es still. „Sonderbar“, dachte sich die Martha, „in der Kirche wird wohl gerade die Messe gelesen. Heute ist sicher ein Hochamt.“ Wirklich erklangen im nächsten Moment vom Dorf her die Glocken.

Da ging der Schlehenbusch am Wiesenrand vor der Martha auf. Heraus stieg ein langer, hagerer Mann. Seine Haare, der Bart und die Fingernägel waren voll spitzer Stacheln. Die hakten sich bei den Leuten ein, die ihm zu nahekamen. Genau das wollte die Martha nicht. Sie lief über die Wiese davon. Da tauchte vor ihr am Feldrain das Roggenweib auf. Die saß ruhig da und strich sich durch die verstrubbelten Haare. Mit der wollte die Martha auch nichts zu tun haben. Also hinunter zum Fluss, zur Mühl. Lieber wollte sie durch den Fluss waten, als noch mehr Unholden zu begegnen.

Am Ufer der Mühl saß eine Frau in einem Perlenkleid. Das schimmerte grün und blau. Die Frau streckte ihr Gesicht gegen den Himmel und ließ ihr goldenes Haar von der Sonne trocknen. Sie war die Frau des Wassermanns, eine Menschenfrau. Vor vielen Jahren hatte sie sich in den Grünäugigen verliebt und ihn geheiratet.

Ihr stieg der Duft der Krapfen gleich in die Nase. „Mir scheint, du hast Krapfen in deinem Korb. Ach, gib mir doch einen Krapfen. Ich hab seit einer Ewigkeit keinen mehr gegessen.“ Einen Krapfen können wir wohl entbehren, sagte sich die Martha. Also nahm sie das Tuch vom Korb und holte einen Krapfen heraus. Da sah die Wasserfrau den Topf mit dem Schmalz.

„Schmalz hast du auch!“, rief sie. „Ich bitte dich, gib mir auch davon. Meine Kinder haben ihr Lebtag noch keinen Krapfen gegessen. Mit dem Schmalz könnte ich für sie Krapfen backen.“ Na ja, sagte sich die Martha, ein wenig Schmalz wird uns wohl nicht groß abgehen. Soll sie etwas davon haben. „Komm mit!“, sagte die Wasserfrau. „Du willst bestimmt durch den Fluss. Wir gehen unten durch. Dann zeig ich dir auch mein Haus.“

Im Reich der Wasserfrau

Sie machte ein Handzeichen – und das Wasser tat sich auf. Über eine gläserne Stiege stiegen sie hinunter. Durch einen Vorhang aus Wassertropfen, die in allen Farben des Regenbogens schillerten, kamen sie in einen großen Saal. Die Wände waren in Perlmutt getäfelt und mit Muscheln verziert. Blausilberne Wasserschleier und Schlingpflanzen in Purpurfarben wogten hin und her. „Schau her, das sind meine Kleinen“, sagte die Wasserfrau. In einem Becken planschten Kinder. Die hatten Froschaugen und Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen. Die Wasserfrau rief inzwischen ihre Dienerinnen. Denen erklärte sie genau, was sie brauchte, um Krapfen zu backen.

Zu Hause wartete die Mutter auf die Martha. Die hätte doch schon zu Mittag zurück sein sollen. „Kommt! Wir schauen nach, wo denn eure Schwester bleibt“, sagte sie zu den Buben. Miteinander machten sie sich auf den Weg zum Hof der Tante. Nirgends war eine Spur von dem Mädchen zu finden. Na ja, vielleicht ist sie noch am Hof, versuchte sich die Mutter selbst zu beruhigen. „Nein“, sagte die Tante, „bei mir ist sie schon am Vormittag wieder aufgebrochen. Es wird ihr doch kein Unholder untergekommen sein. Ich habe sie noch gewarnt!“

„Um Himmels willen!“, rief die Mutter, „daran habe ich gar nicht gedacht.“ Jetzt suchten sie am Weg zurück zum Haus alles ab nach der Martha. So kamen sie zur Mühl. „Da schwimmt ein Krapfen!“, rief einer von den Buben. „Ja“, rief der andere, „und da kommt noch einer.“ Die Kinder wollten gleich danach greifen. „Lasst sie!“, rief die Mutter, „mir scheint unsere Martha hat der Wassermann gefangen, der Mühl-Mann. Wenn ihr jetzt einen Krapfen herausfischt, gibt er eure Schwester bestimmt nicht mehr frei.“

Da tauchten glucksend Krapfen auf

Zur Sommersonnenwende duftete es im ganzen Dorf wieder nach Krapfen. Die arme Frau musste an ihre Martha denken. Den Buben konnte sie doch nur eine Kartoffelsuppe vorsetzen – mit einem Stück Brot für jeden. Der kleinere Bruder der Martha schlich sich hinaus zum Fluss. Da tauchte glucksend ein Krapfen auf und noch einer und noch einer. Die dufteten wie frisch aus der Pfanne. Ein Griff – und er könnte den Krapfen schnabulieren. Aber nein, dann würde der Wassermann die Martha bestimmt nicht mehr freigeben. Das war’s nicht wert.

Der Sommer verging und auch der Herbst. Weihnachten kam und die Raunächte. In der Perchtnacht duftete es wieder im ganzen Dorf nach frischen Krapfen. In den Bauernhäusern türmten sie sich in Schüsseln und auf Tellern. Der kleine Bruder der Martha stand in der frostigen Winternacht bei den Nachbarn draußen vorm Fenster und schaute sehnsüchtig hinein. Zu Hause gab es solche Köstlichkeiten nicht. So zog es ihn wieder hinunter zu der Mühl, zu der Stelle, an der die Krapfen aufgetaucht waren. Der Fluss war bei der Kälte zugefroren. Als er aber genau schaute, begann das Eis an einer Stelle zu dampfen. Da kam im Mondschein ein Krapfen zum Vorschein. Er tanzte im Wasser wie in einer Pfanne.

Ach, so ein Krapfen! Der würde ihm schmecken. Natürlich dachte er an das, was die Mutter gesagt hatte: Der Mühl-Mann würde die Martha dann nicht mehr freigeben. Aber die Martha kam so oder so nicht zurück. Es war doch schon so viel Zeit vergangen. Dem Buben krachte der Magen vor Hunger. Da war der duftende Krapfen vor seinen Augen einfach zu verlockend. Er machte einen Schritt aufs Eis und wollte sich den Krapfen schnappen. Da gab das Eis nach. Eh er sich’s versah, war er im Wasser versunken.

Zu Hause wunderte sich die Mutter. Wo blieb er denn, ihr Kleiner? Schließlich ging sie hinaus und rief nach ihm. Nichts. Sie lief durchs Dorf. Da war er auch nirgends. Sie bat die Nachbarn, ihr beim Suchen zu helfen. Nirgends eine Spur. Aber schließlich doch. Ja, da führten Spuren von Kinderfüßen hinunter zum Fluss – und endeten auf dem Eis. Deutlich waren daneben die Umrisse von einem Loch zu sehen.

„Bestimmt hat er nach seiner Schwester gesucht“, klagte die Mutter, „und dabei ist er selber ins Wasser gefallen!“ Es brach ihr schier das Herz. Tag und Nacht weinte sie um ihre zwei Kinder. Der Große konnte sie kaum trösten. Als das Frühjahr kam, suchte die Mutter in ihrem Kummer die Ufer der Mühl immer wieder ab. Wenn sie ihre toten Kinder doch wenigstens noch einmal in Händen halten könnte.

Ostern kam – und mit dem Osterfest überwältigte der Schmerz die Mutter ganz und gar. Vor einem Jahr hatte das ganze Unglück angefangen. Warum nur hatte sie die arme Martha nach dem Schmalz geschickt. Weinend saß sie am Küchentisch.

Da ging plötzlich die Tür auf. Und wer kam herein? Die Martha! An der einen Hand hielt sie ihren kleinen Bruder, in der anderen trug sie den Korb. Die Mutter wusste nicht, wie ihr geschah. Waren das Gespenster? Entgeistert starrte sie sie an. „Mutter, was ist denn?“, fragte die Martha. „Um Himmels willen, Kind!“, stammelte die Mutter fassungslos, „wo kommt ihr denn her?“ „Na, von der Tante.“ „Aber wo wart ihr denn die ganze Zeit?“ „Stell dir vor, ich war bei der Wasserfrau tief unter der Mühl. Da haben wir Krapfen gebacken. Am Heimweg ist mir dann mein kleiner Bruder entgegengekommen. So sind wir miteinander gegangen.“ Wortlos umarmte die Mutter die Kinder. Jetzt kam auch noch ihr Älterer nach Hause. Die Mutter herzte und küsste alle drei unter Tränen. „Ein wenig von dem Schmalz habe ich der Wasserfrau abgegeben“, meinte die Martha dann. „Für uns bleibt auch so noch genug.“

Geschäftig packte sie den Korb aus. Und was leuchtete ihr da aus dem Topf entgegen? Goldkörner! Ja, goldene Körner, wie man sie mit viel Glück im Fluss finden kann. Der Topf war voll davon. Gleich leerten sie sie alle in eine große Schüssel. Das Schmalz bedeckte gerade noch den Boden des Topfes. Kaum aber dass die Goldkörner heraußen waren, da schwoll das Schmalz an und füllte den Topf bis zum Rand.

„Jetzt ist es Zeit, Krapfen zu backen“, sagte die Mutter lachend und wischte sich die Tränen aus den Augen. Mit der Freude über das Wiedersehen war auch der Appetit wieder da. Bald dampften die goldgelben Krapfen am Teller. Zur Feier des Tages machte die Mutter die Ribisel-Marmelade auf. Mit den Goldkörnern der Wasserfrau kehrte im Haus Wohlstand ein, aber auch Glück und Zufriedenheit.

Ja, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie wohl heute noch.

Der Autor

Helmut Wittmann ist seit mehr als 30 Jahren Märchenerzähler von Beruf. Jeden ersten Donnerstag im Monat gestaltet er im ORF Radio Oberösterreich seine sagenhafte Stunde. maerchenerzaehler.at

Buch: Ursula, Heidemarie und Helmut Wittmann: „Das Geschenk der zwölf Monate“, Tyrolia, 265 S., 29,95 Euro

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