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Franz Welser-Möst: "Ich bin ein goldener Handwerker"

Von Peter Grubmüller, 01. Jänner 2023, 12:56 Uhr

Aus dem OÖN-Archiv: Trotz beträchtlicher Schicksalsschläge hat sich Franz Welser-Möst an die musikalische Weltspitze dirigiert.

Zu Besuch bei Star-Dirigent Franz Welser-Möst - dieser Artikel erschien ab 20. Juni 2020 in den OÖNachrichten:

Wenn die Schiffe vorbeifahren, höre ich von hier aus, wie über den Lautsprecher gesagt wird: In diesem Haus wohnt der Dirigent Franz Welser-Möst", sagt der Dirigent Franz Welser-Möst. Ob er dann ans Ufer eile und sich verbeuge? "Genau, so schau ich aus", sagt er und lacht.

Es sind 7000 Quadratmeter Seegrund in Litzlberg am Attersee, die Welser-Mösts Großvater im vorletzten Jahrhundert als "saure Wies’n" gekauft hat. Auf diesem paradiesischen Fleckchen verbrachte der Dirigent jeden Sommer seiner Kindheit, seit Mitte der 90er-Jahre wohnt er hier mit seiner Frau Angelika. Eines der drei Häuser auf dem Grundstück baute er geschmackvoll zu einer Bibliothek um. Dort rastet jetzt der Mostdipf, in der Nachbarschaft unzähliger Partituren und des handschriftlich korrigierten Manuskripts von "Als ich die Stille fand". Es ist der Titel von Welser-Mösts Buch, das am 10. August erscheint und Autobiographisches mit einem "Plädoyer gegen den Lärm der Welt" verschränkt.

Der Dirigent, dessen Vertrag als Chef des herausragenden Cleveland Orchestra vorzeitig bis 2027 verlängert wurde, ist so faltenfrei wie drahtig. Kein Mensch glaubt, dass er am 16. August 60 wird. Wenn er über seine Liebe zu dieser Umgebung spricht, klingt es nie, als würde jemand mit Verantwortungsbewusstsein seine Verortung versichern. Was Franz Welser-Möst sagt, das meint er so. In diesem Leben scheint ohnehin von Anfang an alles an seinem Platz gewesen zu sein. Und doch hatte Welser-Möst einiges aufzuräumen, ehe er einer der gefragtesten Dirigenten seiner Zeit wurde.

"Wie damals in einer katholischen, konservativen Familie üblich, haben wir Kinder alle ein Instrument gelernt. Ich war auch Ministrant und Pfadfinder, das gehörte zum Weltbild in unserem familiären Biotop." Die ersten drei Jahre seines Leben wohnte die Familie Möst zu siebt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Linz, wenige Meter vom Schauspielhaus entfernt. Mutter Marilies: eine Diplom-Ingenieurin, die 1979 als erste oberösterreichische Frau in den Nationalrat einzog; Vater Franz: ein Arzt – und fünf Kinder, unter denen der kleine Franz mit seiner Zwillingsschwester Elisabeth die Jüngsten waren. 1963 zogen sie ins Haus der Großmutter in Wels.

Der erste Fernseher kam 1970

Welser-Möst, der sich den Namen der Stadt, in der er aufwuchs, voranstellte, weil ihn sein Mentor/Manager Andreas von Bennigsen (1941-2000) dazu ermuntert hatte, weiß auf Anhieb, welches musikalische Erlebnis sein erstes war: Die gut und gerne Klavier spielende Mutter. "Ich erinnere mich an ihr Impromptu Nr. 3 in Ges-Dur von Schubert, da muss ich drei Jahre alt gewesen sein. Wir haben erst 1970 einen Fernseher bekommen, also wurden abendliche Unterhaltungen musikalisch geführt." Im Alter von sechs Jahren begann er mit Geigenunterricht, "und während der ersten vier Jahre hab ich es gehasst." Doch darüber wurde nicht diskutiert: Hier, die Geige, die spielst du, fertig. In der städtischen Musikschule in Wels verwandelte sich dieses Verhältnis zu inniger Zuneigung, und Welser-Möst erlebte das Musizieren mit anderen Kindern als Glück – "eben anders als mit den Geschwistern, mit denen es nie lange gedauert hat, bis gestritten wurde."

Mostdipf-Preisträger Franz Welser-Möst
Mostdipf-Preisträger Franz Welser-Möst Bild: VOLKER WEIHBOLD

Im Frühjahr 1974 lasen seine Eltern in den OÖN, dass in der Landeshauptstadt ein Musikgymnasium aufsperren würde. Also pendelte er fortan täglich mit dem Zug nach Linz. "Und ja, Sport war schon auch Teil unserer Erziehung", sagt Welser-Möst, "ich war sogar im Turnverein", aber über sein Gesicht huscht jener Ausdruck, der die ihm eigene Selbstironie verheißt: "Mein Ding war das nie." Das sagt der Dirigent, der morgens um fünf, halb sechs den Hochlecken hochwandert und wieder daheim ist, ehe seine Frau aufsteht. Aber über 10.000 Meter zum Studentenmeister zu laufen oder bei SV Urfahr in Linz zu kicken, wie es seine Brüder getan haben, hätte jemanden wie ihn mit der Perspektive, professioneller Geiger zu werden, bloß aufgehalten.

Die Zäsur näherte sich auf anderem Wege, entlang der Strecke von Großraming nach Steyr, am 19. September 1978: Sie saßen zu sechst in einem Mercedes. Der Fahrer, ein Freund Welser-Mösts, war Führerschein-Neuling. Auf einer Brücke kam das Auto ins Schleudern und überschlug sich mehrfach. Die Mutter des Fahrers, die hinten neben Welser-Möst saß, kam beim Unfall ums Leben. Alle anderen wurden schwer verletzt, "mein Oberkörper war zwölf Wochen eingegipst, drei Wirbel waren gebrochen, und anfangs hatte ich kein Gefühl in den Beinen." Zwei Finger der linken Hand funktionierten wegen eines beschädigten Nervs auch nicht mehr. Die Geiger-Karriere war vorbei, ehe sie begonnen hatte. "Das war eine Tragödie für die Familie, deren Mutter gestorben ist. Für mich war es anders, vermutlich weil ich dazu erzogen wurde, aus Schicksalsschlägen das Beste zu machen." Die Natur sei immerhin gnädig, "weil man die Tragweite dessen, was da passiert ist, zunächst nicht begreift."

Schwester mit Behinderung

Mit einem Mal lächeln Welser-Mösts Augen, weil es zum Sportler, der er früher nie gewesen sei, eine Ergänzung gibt: "Ich wusste nicht, ob ich im Rollstuhl sitzen würde. Als das Gefühl in den Beinen zurückkehrte, fing ich zu laufen an – mein Ziel war ein Marathon." Den hat er 1990 geschafft, zunächst nicht im Gewusel einer öffentlichen Rennerei, sondern privat, zusammen mit einem Freund. "Später bin ich zwei Mal den London-Marathon gelaufen. Wenn Sie wollen, zeig ich Ihnen die Medaillen." Nein, danke, einem bis in die Fußsohlen disziplinierten Mann wie ihm glaubt man derlei Selbstüberwindung ohne Dokumente. Vielleicht sei Welser-Möst damals auch deshalb nicht entmutigt worden, "weil Behinderung in unserer Familie immer ein Thema war." Drei Jahre nach ihm und seiner Zwillingsschwester kam eine weitere Schwester mit schwerer Behinderung zur Welt. Welser-Möst: "Nach acht Monaten ist sie gestorben. Mein Vater war außerdem Amtsarzt in Eferding und für das Institut Hartheim zuständig – im uns vermittelten Menschheitsbild wurde Behinderung nie ausgeklammert."

Dann also Dirigent. Schon 1976 hatte ihn Balduin Sulzer damit beauftragt, das Schulorchester zu leiten. Versteckt beobachtete der Lehrer, wie sich der 16-Jährige anstellte. Man kann davon ausgehen, dass er es gut gemacht hat.

Franz Welser-Möst – Dirigent aus WELS  "Ich bin ein   goldener   Handwerker"
Bild: VOLKER WEIHBOLD

Sulzer hatte zu Welser-Möst stets gesagt: Dirigieren fängt beim Sessel-Aufstellen an. Was er damit gemeint hat? Dirigieren ist auch ein Organisationsberuf. Und so wie Welser-Möst nassforsch genug ist, musikalische Dichtungen immergültiger Meister nicht an den Zeitgeist zu verraten, so meldet er sich auch zu Wort, sofern die respektvolle Organisation musikalischer Produktionen Gefahr läuft, von Gewinnmaximierung zerzaust zu werden. Deshalb brachte ihn der von Intendant Alexander Pereira 2013 bei den Salzburger Festspielen angesetzte Da-Ponte-Zyklus auf die Palme: Drei "Cosi fan tutte"-Vorstellungen binnen fünf Tagen! Unzumutbar für Sänger! Welser-Möst legte sein Dirigat zurück. Just bei jenem Pereira, der ihn 1995 als Musikdirektor an die Züricher Oper geholt hatte, nachdem er "als Chef des London Philharmonic Orchestra (1990–1996, Anm.) durchs Dorf getrieben worden war", sagt Welser-Möst. Ja, in England sei er gescheitert, danach habe er überlegt, alles hinzuschmeißen – und ein Studium anzufangen, Jus vielleicht. Doch Pereira lockte, "und das war ein Glücksfall." In Zürich wollte Welser-Möst seine Tauglichkeit für diesen Beruf ein für alle Mal beweisen, bis zur Erschöpfung. In sagenhaften 43, zum Teil Operngeschichte schreibenden Premieren ist ihm das gelungen.

2010 wurde er Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, für vier Jahre. Wegen künstlerischer Differenzen mit Direktor Dominique Meyer zerbrach die Zusammenarbeit. 2011 und 2013 wurde er als Dirigent des Neujahrskonzerts gefeiert, seine Dirigate bei den Salzburger Festspielen sind legendär, zuletzt die bejubelte Salome (2018, 2019), in diesem Sommer steht Elektra bevor.

Am Ende biegt Welser-Möst noch einmal ab, zu den Sängern, zu jenen mit sechsstelligen Jahregagen. "Und die fordern in der Corona-Zeit Solidarität, aber meinen doch nur Solidarität für sich selbst." So sei das eben mit den Künstlern. Zu denen zählt er sich nicht. "Ich bin ein goldener Handwerker im Kunstbetrieb." Wer sind die Künstler? Das sind jene, deren Werke er zum Leben erweckt.

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Autor
Peter Grubmüller
Ressortleiter Kultur
Peter Grubmüller
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