Herz, Hymne, Hoamat

Von Manfred Wolf   14.März 2015

Beide wuchsen in Oberösterreich auf. Klaus Albrecht Schröder in Linz, Joschi Anzinger in Lichtenberg. Während sich der eine mit 15 die Mundart abgewöhnt hat, hat der andere recht erfolgreich Goethes Faust die Mundart beigebracht. Mit Kritik an ihrem Tun mussten allerdings beide umgehen.

 

Hoamatland: Der Soziologe Roland Girtler sagt, der Dialekt sei eine sprachwissenschaftliche Schatzkiste.

Schröder: Das kann ich nur unterstreichen, es gibt nichts Schöneres als sprachliche Vielfalt.

Anzinger: Goethe hat gesagt, Mundart ist die Sprache des Herzens …

Schröder: Das ist Unsinn, weil es nur einen Sinn hat, wenn man meint, die Nicht-Mundart wäre nicht Sprache des Herzens. Beide können zum Herzen sprechen, beide können das Gegenteil.

Anzinger: Die Mundart ist emotionaler, die Schriftsprache eher intellektueller.

Hoamatland: Es gibt eine Studie, die besagt, dass, wer Dialekt spricht, sympathischer wirkt, wer Hochdeutsch spricht, wirkt intelligenter.

Schröder: Das ist Unfug. In den 1970er-Jahren war ich in Berlin in einer Fleischhauerei und musste niesen. Da hat jemand gesagt, "wenn du schnaubst, geh’ in deinen oberbayerischen Wald zurück". Da habe ich schon so gesprochen, wie man mir unterstellt ein Piefke zu sein. Aber für die war klar: Ich bin ein oberbayerischer Hinterwäldler.

Anzinger: Ich bin auch sekkiert worden, weil ich mit der Mundart aufgewachsen bin. Es gibt viele Vorurteile. Einstein sagte, ein Atom ist leichter zu zertrümmern als ein Vorurteil. Aber ich habe gesagt, ich bleibe bei meinen Wurzeln. Obwohl ich auch ein Buch in Schriftsprache veröffentlicht habe. Aber es ist leichter so zu schreiben, wie ich denke.

Hoamatland: Stelzhamer hat es auch in der Schriftsprache versucht, aber keinen Verleger gefunden. Im Dialekt hat er es zum Star gebracht. Warum glauben Sie?

Schröder: Da sage ich lieber etwas Aktuelles: Ich halte Trautmann für eine der besten Serien. Wie diese Figur entworfen ist, ist ein Inbegriff einer Weltanschauung, die vor Humanität nur so strotzt. Die Serie wurde, nachdem sie in Co-Produktion ausgestrahlt worden ist, abgeschafft. Weil man das Idiom des Trautmann den Deutschen nicht zumuten kann. Wenn ich mir überlege, was ich mir an Idiomen unseres Nachbarlandes im Fernsehen alles geben muss, wundert es mich, dass wir unsererseits das nicht durchsetzen können.

Hoamatland: Böck ist auch Oberösterreicher – und spricht Dialekt. Hätten Sie mit Dialekt Erfolg gehabt?

Schröder: Ich kann nicht einmal sagen, ob ich dasselbe geworden wäre, wenn ich rothaarig gewesen wäre.

Anzinger: Roland Girtler hat die Vorwörter zu meinen Büchern geschrieben – er ist unglaublich intelligent.

Schröder: Ich liebe Girtlers Texte ... Ich glaube nicht, dass ich weniger geworden wäre, hätte ich anders geredet.

Hoamatland: Was hat Sie dann am Dialekt gestört?

Schröder: Das war damals intuitiv. Ich wollte mich anders ausdrücken. Meine G’schwister sagen sogar, dass ich übertreibe, meine Eltern hätten sehr viel hochdeutsch geredet. Aber im Heute dominiert eine Diskriminierung des Dialektes im gesamten Kabarett-Programm. Man lacht zu 90 Prozent darüber, indem man sich identifiziert mit diesem Trottel, der da redet – und ein Trottel ist er, weil er Dialekt redet. Das ist indiskutabel. Die Witze sind nicht gut, aber weil sie in breitestem Dialekt vorgetragen werden, wird gelacht.

Hoamatland: Josef Hader zum Beispiel spricht auch Dialekt.

Schröder: Josef Hader ist ein Gott. Böck und Hader – beide sind Götter.

Anzinger: Das ist so wie in den 1980er-Jahren, ich habe mich damals fürchterlich geärgert über die Löwinger-Bühne. Diese "depperte Dirne" und der "menschanarrische, kittelrocknarrische Bauer". Dieses Klischee …

Schröder: In dem Augenblick, wo er den Mund aufmacht, sollte man erkennen, das ist der. Das ist diskriminierend.

Hoamatland: Anderen gefällt es.

Schröder: Man kann nicht Toleranz fordern und bestimmten Menschen vorenthalten. Da haben Sie Recht. Auf der anderen Seite frage ich mich, wer sind die, die sich gegen Herrn Anzinger und mich ausgesprochen haben. Unsere heutigen Probleme sind ernster, als die, wie wir zum Dialekt stehen. Wir haben Pegida und Fremdenfeindlichkeit und erleben eine Angst vor dem Anderen, vor dem Nicht-Heimischen.

Hoamatland: Sie sagten, der Dialekt sei kontaminiert mit einer antimodernen, faschistischen Haltung (siehe Hintergrund). Was haben Sie gemeint?

Schröder: Das habe ich zu dem Zustand gesagt, der für mich in den 1970er-Jahren in Teilen Linz’ und Oberösterreichs geherrscht hat. Das war eine Vergangenheitsbetrachtung. Und die ist für mich überwunden worden. So dachte ich. Und dann kommen Reaktionen auf ein Gespräch, in dem ich mich von vornherein nicht als Verächter des Dialektes gesehen habe. Aber als solcher eingeladen wurde. Und dann verlangt man, dass ich Österreich verlassen muss.

Hoamatland: Der eine hat sich der Mundart zu-, der andere von ihr abgewendet. Und beide ernteten Sie heftige Kritik. Hat Sie das getroffen?

Schröder: Ich war schockiert. Denn als ich in den 70er-Jahren das Gefühl hatte, dass die Mundart teils wie eine fremdenfeindliche Waffe verwendet worden ist, so sehr war ich der Überzeugung, dass Linz und Oberösterreich sich geändert haben. Linz ist eine weltoffene Stadt geworden. Nie hätte ich erwartet, selbst wenn man mich nicht missverstanden hätte, dass man verlangt, dass ich von der Albertina entfernt werden muss.

Anzinger: Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich auf meiner Homepage angegriffen werde. Ich musste sie schließen. Der Dialekt ist für mich eine positive Sprache, ich kann es nicht anders sagen.

Schröder: Das ist er für mich auch, darf ich diesen Satz zwei Mal unterstreichen? Weil er eine Sprache für sich ist und jegliche Sprache etwas Positives ist. Sprache kann als Waffe verwendet werden. Hochdeutsch wurde als Waffe verwendet von dem Berliner, der mich in den Wald zurückgeflucht hat. Umgekehrt wird Dialekt oft als Waffe verwendet, um sich abzugrenzen.

Anzinger: Eine Studie besagt, dass Kinder, die "zweisprachig" aufwachsen, also Umgangssprache pflegen – reiner Dialekt wird heutzutage eh nicht mehr gesprochen –, und in der Schule die Schriftsprache lernen, einen größeren Wortschatz haben. Das ist unbestritten. Sie lernen dann auch leichter Sprachen.

Hoamatland: Umgangssprache ist auch bei der Jugend verbreitet, sie transformiert sogar englische Wörter wie "chillen" in den Dialekt – es wird zu "tschün".

Schröder: Als ich in der Volksschule war, habe ich einmal gesagt, mich hat eine "Gössn" gestochen. Da hat meine Lehrerin gefragt: "Was hat dich gestochen?" "Eine Gössn." "WAS hat dich gestochen?" "EINE GÖSSE." Weil ich nicht wusste, dass es Gelse heißt. Ich fürchte, so sehr der Dialekt als Bereicherung erlebt werden kann: Für die meisten ist die Übersiedelung ins Hochdeutsche ein bitteres Erwachen. Das war mein Erlebnis mit der "Gösse". Und das mag bei "tschün" jemandem passieren, der nicht weiß, dass es von to chill kommt.

Hoamatland: Noch einmal zu Stelzhamer. Wie stehen Sie zu ihm und seinen Gedichten?

Schröder: Ich habe ihn seit 40 Jahren nicht gelesen. Das Einzige, was ich in dieser Sendung gesagt habe, war, dass Oberösterreich mit so einem entwickelten Stand der Demokratie eine Hymne hat, bei der der Bürger wie ein "Hünderl seim Herrn" folgen soll, die nicht meinem Verständnis von aufgeklärter Demokratie entspricht. Aber sei’s drum.

Anzinger: Der Hoamatg’sang hat eine Tradition. Und wir singen das Lied …

Schröder: … gedankenlos, und daher bedeutet es nichts. Und wenn es so ist, dann soll es so sein.

Anzinger: Nein!

Schröder: Wenn man sich dabei was denkt, dann stört man sich, dass in der Bundeshymne nur die Männer vorkommen und dass man als autonomer Demokrat "a Hünderl" sein soll. Wenn man sagt, das sei Tradition, dann soll die Bundeshymne nur Männer kennen, und die Frauen existieren nicht, wenn man meint, eigentlich bedeutet das auch etwas, dann ist so ein Sprachkörper etwas Lebendiges und soll gesellschaftlichen Änderungen angepasst werden.

Anzinger: Das Lied ist gemeinschaftsstiftend. Da steckt nichts Böses drin.

Schröder: Tradition ist der Killer für Veränderung. Ich verstehe, dass Elfriede Jelinek sich sagt, den Nobelpreis krieg’ ich, aber Österreich ist nicht stolz in der Bundeshymne auf mich.

Hoamatland: Für Sie haben die Werte der Hymne Bedeutung, oder?

Anzinger: Ja. Man kann doch nicht alles so wortwörtlich nehmen.

Schröder: Den Koran nehmen viele bei uns wortwörtlich und meinen deswegen, Muslime verurteilen zu können.

Anzinger: Ich verurteile ja keine Muslime. Ich lasse jeden, wie er ist. Darum möchte ich, dass man mich mit meiner Schreibe, mit meiner Kultur akzeptiert.

Hoamatland: Man muss ja nicht jeden Wahrer der Tradition ins rechte Eck stellen.

Schröder: Überhaupt nicht. Einer der größten Dichter ist H.C. Artmann. Übrigens: Ich weiß nicht, warum wir Landeshymnen brauchen. Wien hat keine und kein Wiener leidet an mangelndem Selbstbewusstsein. Und ich fühle mich immer noch wie ein Oberösterreicher. Meine Heimat ist Oberösterreich.

Hoamatland: Gibt es hier einen "Hechl" auf den Sie gerne gehen?

Schröder: Den Pöstlingberg.

Hoamatland: Haben Sie ein Mundartwort, das Ihnen besonders gefällt?

Anzinger: A Girtat. Etwas Guttuendes, das sagt man im Mühlviertel. Das hat mir gefallen, hat mich angesprochen.

Hoamatland: Ist bei Ihnen etwas hängengeblieben?

Schröder: Nein. Ich bin 59 und ich bin seit 41 Jahren weg von Oberösterreich.

Anzinger: Gibt es das, dass Sie nichts mehr können aus dieser Zeit?

Schröder: Ich bitte um Verständnis. Wenn ich das rede, lachen sich alle tot.

 

Zu den Personen

Klaus Albrecht Schröder 

Seit 2000 leitet der gebürtige Linzer (Jahrgang 1955) das Museum Albertina in Wien. Er studierte Kunstgeschichte sowie Geschichte und arbeitete unter anderem als Radiosprecher.

Joschi Anzinger

Der Mundartdichter (Jahrgang 1958) lebt mit seiner Frau (zwei Kinder) auf dem Pöstlingberg. Er hat unter anderem zwei Klassiker in die Mundart transferiert: „s mühlviaddla nibelungenliad“ und „Granidd fausdd"