Da gugazate Lenzl

Von Helmut Wittmann   04.März 2017

Unter all den Frühlingsboten ist der Kuckuck besonders willkommen: Hört man sein unverkennbares "Kuckuck" zum ersten Mal, dann heißt’s mit der Hand in die Tasche fahren und mit den Münzen scheppern. So fehlt es auch im Rest vom Jahr nicht an Geld im Taschl.

In Oftering bei Linz erzählt man sich eine ganz andere Geschichte. Da gab es einen, der auch gugazte. Er schrie also wie ein Kuckuck. Ein sonderbarer Vogel war er obendrein, aber einer auf zwei Beinen. Lenzl nannten ihn die Leute. Er war ein Einlieger.

Einlieger? "Was ist ein Einlieger?", werden viele fragen. Einlieger gibt es heute nicht mehr. Noch vor neunzig Jahren waren sie aber weit verbreitet. Ein Einlieger arbeitete für Kost und Logis. Dafür durfte er im Haus übernachten. Wohlgemerkt: Nicht wohnen, sondern nur übernachten – eben "einliegen". In der Früh musste er wieder raus. Kam so ein Einlieger ins Alter und ließ die Arbeitskraft nach, dann blieb ihm meist nichts anderes übrig als das Bisschen, das er brauchte, in Dörfern und auf Höfen zusammenzubetteln.

Das machte auch der alte Lenzl. Er lebte in der Gegend von Oftering, genauer in Staudach und gugazte immer, wenn er zum Betteln kam. Das war sein Markenzeichen. Daran erkannte ihn jede und jeder auf Rufweite. Besonders lustig meinte er es mit den Menschern, also den Mädchen. Immer hatte er ein Lied auf den Lippen, juchzte und gugazte. Und weil er auch sonst ein geselliger Kerl war und mit den Leuten gern eine Gaudi hatte, brachte er mit der Zeit einiges zusammen – einen ganzen Strumpf voller Vier-Kreuzer-Stücke. Aber irgendwann erging es dem Lenzl wie es jedem Menschen ergeht, wenn die Zeit um ist: Der Tod suchte ihn heim – und das in einem Stall.

Gegen Mitternacht war aus dem Stall, in dem er gestorben war, ein Gugazen zu hören. Gleich darauf sogar in der Menscherkammer, also da wo die unverheirateten Mägde schliefen. Vor Schrecken burrten die schreiend aus. Nur eine hielt inne. Sie hatte den Lenzl, obwohl er alt und schiach war, seit jeher irgendwie in ihr Herz geschlossen.

Lauernd fragte sie: "Lenzl, bist d’as du!?" "Ja, wer denn sunnst!", kam es laut zurück. "Kinna ma wås für di tuan?", fragte sie beherzt. "Ja, freili. In mein ålten Wams san drei Zwånzga drinn. Låß davon fia mi in da Kircha Mess’n les’n!"

Dafür sorgte sie, die Magd – und der Spuk hatte ein Ende. So einfach.

 

Der Autor: Helmut Wittmann

Seit mehr als 23 Jahren ist Wittmann Märchenerzähler von Beruf. Auf seinen Antrag nahm die UNESCO das Märchenerzählen in Österreich in das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes auf. Wittmann veröffentlichte unter anderem bei Tyrolia "Sagen aus Oberösterreich" und bei Ibera "Das große Buch der österreichischen Volksmärchen".

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