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Ein heißes Eisen: Unterwegs am längsten Klettersteig Österreichs

Von Gabriel Egger   29.Juni 2019

Gämsen, ja. Mit Sicherheit sogar. Vielleicht auch Steinböcke, oder Dohlen, die auf der Suche nach einem abgestürzten Jausenbrot verstohlen durch die Wände gleiten. Aber Affen? Niemals. Nicht im Toten Gebirge. Und trotzdem lacht da dieser Schimpanse ins Stodertal hinab. Mit etwas Fantasie kann man ihn erkennen. Das graue Haar, das frech zur Igelfrisur geformt wurde. Und seine stoische Miene. Nur recht lebendig wirkt er nicht. Der Affe ist aus Stein. Und diesen Stein gilt es zu überwinden, wenn die Stahlseile des neuen "Priel-Klettersteigs" nicht vorzeitig zurück ins Tal leiten sollen.

"Affenschädel" heißt der Felsaufschwung, an dem die Schwierigkeiten ihren Anfang nehmen. Und die Kraft der Bananen wird es nicht nur hier brauchen. Fünfeinhalb Stunden haben die Erbauer für den neuen Steig, der über den Südostsporn des Großen Priels in dessen Nordostwand leitet, anberaumt. Er ist ein Superlativ. In der Pyhrn-Priel-Region, in Österreich und in den Ostalpen. 2130 Meter lang, ausgesetzt, kräfteraubend. 900 Höhenmeter müssen Begeher an Seilen, Stiften und auf überhängenden Leitern zurücklegen, bevor das knallrote Gipfelkreuz endlich auftaucht.

Ein heißes Eisen

Quer durch die Wände

Mit Argwohn beobachte ich den Großen Priel und will nicht verstehen, warum er sich trotz Hitze eine dicke Wolkenhaube aufgesetzt hat. Der Wind wirft sie ihm vom Kopf, er setzt sie wieder auf. Sturer Zapfen. 45 Minuten trennen mich auf der gemütlichen Sonnenterrasse des Prielschutzhauses noch vom Einstieg in den Aufstieg.

Vorbei am Bloßkogel, der weniger Adrenalin, dafür viel mehr sicheren Boden unter den Füßen bietet. Und dann hinein in Richtung Goldkar. Die Spitzmauer zur Linken, den Kressenberg zur Rechten und der Stahl, der in der Sonne glänzt, voraus. Wo der Grat ausläuft, fängt die Reise an. Gurt sitzt, Helm auf, beide Karabiner hängen im Seil. Und das A-B-C des Klettersteigs beginnt.

Ein heißes Eisen
Die Erbauer: Siegfried Wasserbauer (l.) und Helmut Steinmaßl

Zuerst leicht über eine Rinne auf den Grat (Schwierigkeitsgrad A), kurz etwas fester zupacken (B), und dann folgt die Euphorie auf glatten Platten (C).

Der "Affenschädel" geht noch einen Schritt weiter (D), und der Stahlbügel, der wie eine riesige Zahnspange in seinem Gesicht hängt, ist der Schlüssel, um die erste schwierige Stelle zu überwinden. Ein süßer Vorgeschmack auf das, was da noch kommen wird. Hätte ich bloß mehr Spinat gegessen. Auf den Popeye-Effekt kann ich mich bei den langen, ausgesetzten Querungen jetzt nicht verlassen. Die Füße tasten nach dem nächsten Felsabsatz, die Hände schlingen sich ums Seil. Nicht elegant, aber wirksam. Dann ist es geschafft. Mann, war ich schnell. Aber seit wann hat der Priel ein Holzkreuz? Und warum türmt sich hinter seinem Gipfel eine Felswand auf? Das Kreuz, das auf dem 1890 Meter hohen Südostsporn Hochgefühle weckt, ist nur eine Zwischenstation. Oder eine Endstation. Wer sich hier zu schwach für die weiteren 600 schwindelerregenden Höhenmeter fühlt, kann den Notausstieg nehmen.

Ein heißes Eisen
Die erste Seilbrücke ist 17 Meter lang.

Ein Tanz auf dem Seil

Noch nicht, lieber Priel. Ich will noch sehen, wo mich deine Seile hinführen. Und die langen Querungen gehen weiter. Einmal hinauf, dann wieder einen großen Schritt nach unten. In eine Höhle und über einen Felsturm. Dann hängen zwei Seile in der Stodertaler Luft. Das eine für die Füße, das andere, um die Balance zu halten. Mit dem Allerwertesten über dem Goldkar, taste ich mich über die 17 Meter lange Seilbrücke.

Die Hosen sind noch nicht voll, auch nicht in der liebevoll benannten "Hosenscheißertraverse", die auf einen Reitgrat, weiter durch die nächste Höhle und mit viel Muskelkraft wieder hinaus führt. Bei so viel Action hätte Arnold Schwarzenegger seine Freude. Ein kurzer, aber luftiger Abstieg führt zur zweiten Seilbrücke und langsam aber sicher ist das Neuland entdeckt. Ab jetzt führt der gewohnte Bert-Rinesch-Steig, der 1994 eröffnet und von den Stodertaler Bergführern Heli Steinmaßl und Siegfried Wasserbauer aufwendig saniert wurde, durch die Wand. Ein Grund zum Durchschnaufen ist das aber noch lange nicht. Denn nach dem "Almrauschbandl", das nicht ganz so blumig ist, wie es der Name verspricht, folgen die steilsten Passagen des Klettersteigs.

Ein heißes Eisen
Der „Affenschädel“ als erste schwierige Stelle

Mit Leitern kann ich mich ja noch arrangieren. Sie haben zumindest Sprossen und sparen Kraft. Nur nicht, wenn sie überhängend sind. Die Muskeln spannen, der Schweiß rinnt und verwischt die zittrige Unterschrift, die ich in das Steigbuch eintrage. Das Gefühl, direkt in der Luft zu hängen, ist vorbei. Das Gelände wird sanfter.Es naht der Ausstieg auf den langen Südgrat. Gehgelände. Fast zumindest. Aus dem Tal dröhnt die Musik der Eröffnungsfeier.Und vor mir taucht endlich das Kreuz auf. Rot, groß, von Weitem sichtbar. Diesmal ist es das richtige. Das heißeste Eisen unter Österreichs Klettersteigen hat mich nicht verbrannt. Gefordert allerdings schon.

Ein heißes Eisen
Überhängende Leitern im oberen Teil des Steigs

 

Der Baumeister des Hüttenzaubers

Nebenwohnsitz: Prielschutzhaus. Michael Heinrich arbeitet an seinem Traum.

Eine Frage wollte sich Michael Heinrich nie stellen müssen: „Was wäre gewesen, wenn?“ Wenn er im Oktober 2017 nicht seinem Herz gefolgt wäre. Wenn er die Chance, vom Stammgast zum Chef seiner Lieblingshütte zu werden, nicht ergriffen hätte. So oft war Heinrich, der am Sonntag 42 Jahre alt wird, an seinen freien Wochenenden der Hektik seines Berufs als selbstständiger Baumeister entflohen und hat dann trotzdem wieder gearbeitet. Am Prielschutzhaus, hoch über Hinterstoder. „Ich habe dem damaligen Hüttenwirt ausgeholfen, wenn Not am Mann war. Mir hat das immer Spaß gemacht. Ich hab’ trotzdem vom Alltag loslassen können und hab’ mich wohlgefühlt“, erinnert sich der Luftenberger.

Der Baumeister des Hüttenzaubers
Hüttenwirt Michael Heinrich

Und dann, ganz überraschend, wurde aus dem Spaß Ernst. Hüttenwirt Harry Höll wechselte auf die Dümlerhütte unter das Warscheneck und das Prielschutzhaus brauchte einen neuen Wirt. Heinrich überlegte. Aber nicht lange. Und startete im April 2018 in seine erste Saison. Als Quereinsteiger, von der Baustelle in Linz ins alpine Gelände des Toten Gebirges. Eine Baustelle war das Prielschutzhaus, in dem bis zu 200 Wanderer die Nacht verbringen können, dann anfangs trotzdem irgendwie. „Es steckt so viel Technik in der Hütte. Wenn dann irgendetwas nicht funktioniert hat, war das eine riesige Herausforderung für mich“, sagt Heinrich. Als Lehrjahr bezeichnet der Mühlviertler seine erste Saison, die ihm dank Hochdruckwetters regen Besuch und leere Wassertanks bescherte. Und der folgende Winter machte es dem Neuling nicht leichter. „Wir haben zu Saisonstart vier Meter Schnee von der Terrasse schaufeln müssen“, sagt Heinrich.

Zu fünft arbeitet das Team bis Ende Oktober am Prielschutzhaus, um die Wünsche der Gäste zu erfüllen. Gekocht wird frisch, das Essen kommt aus der Region, die Gastfreundschaft von Herzen. Mit dem Klettersteig hat Heinrich nun ein neues Zugpferd vor der Prielschutzhaustüre. Diese will er auch weiterhin als Hüttenwirt öffnen. Weil’s einfach Spaß macht.

Ein heißes Eisen
Überhängende Leitern im oberen Teil des Steigs

Der Priel-Klettersteig

Der neue Priel-Klettersteig (D, sehr schwierig) führt über 2130 Meter und 900 Höhenmeter über den Südostsporn und die Nordostwand auf den Gipfel des Großen Priels (2515 Meter).
Dafür wurde der bestehende Bert-Rinesch-Klettersteig saniert und nach unten verlängert. Möglich gemacht wurde der Steig durch den Alpenverein TK Linz und eine Förderung des EU-Projekts „Leader-Region Nationalpark Kalkalpen“. Umgesetzt haben ihn zwei Bergführer aus der Region: Helmut Steinmaßl und Siegfried Wasserbauer. Sie leisteten dafür 1000 Arbeitsstunden. Seit 20. Juni ist der Steig geöffnet.

 

 

 

 

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24. April 2024