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Das Jahrhundert der Banane

Von Roman Sandgruber   13.April 2019

Was isst man beim Marathon? Die Ratschläge sind höchst verschieden. Aber immer sind Bananen dabei. Fast 14 Tonnen Bananen standen beim Wien-Marathon vergangenen Sonntag bereit.

"Ausgerechnet Bananen, Bananen verlangt sie von mir!" Die Fritz-Löhner-Übersetzung des amerikanischen Foxtrottschlagers "Yes! We Have No Bananas" aus dem Jahr 1922 ist zum Klassiker geworden: "Nicht Erbsen, nicht Bohnen, auch keine Melonen, das ist ein’ Schikan’ von ihr! Ich hab Salat, Pflaumen und Spargel, auch Olmützer Quargel, doch ausgerechnet Bananen, Bananen verlangt sie von mir!" 1927 versetzte dann das Bananenröckchen der Josephine Baker die Wiener in Ekstase.

Man weiß kein genaues Datum, wann die Österreicher erstmals zu Bananenessern geworden sind. Aber die große Sehnsucht begann in den so genannten "goldenen zwanziger Jahren", als man nach dem Ersten Weltkrieg ein paar bessere Jahre erleben konnte, bis die Weltwirtschaftskrise und wieder der Krieg hereinbrachen. Im Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der Verbrauch dann sprunghaft auf die heutigen 12 Kilogramm pro Kopf und Jahr.

113 Millionen Tonnen Bananen wurden im Jahr 2017 weltweit produziert. Damit sind die Bananen hinter Reis, Weizen und Milch das viertgrößte landwirtschaftliche Handelsprodukt weltweit. Die meisten gelangen erst gar nicht auf den Weltmarkt, sondern werden direkt vor Ort verzehrt.

"Bananen, Cola, Zeitgeschichte" heißt die Festschrift, die dem Wiener Zeithistoriker Oliver Rathkolb von seinen Freunden und Schülern gewidmet wurde. Der merkwürdige Titel resultiert nicht nur aus der Vorliebe des Jubilars für diese beiden, in ihrem Image sehr amerikanischen Produkte, sondern auch aus der Symbolkraft Banane für das "lange 20. Jahrhundert". Man zählt sie zwar zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt. Doch erst vor etwa 100 Jahren ist der Bananenhandel zu einem weltweit umkämpften Geschäft geworden: Kleinbauern und Großkonzerne, korrupte Staatschefs und Streiter für fairen Handel, amerikanischer Kapitalismus und Bananenrepubliken – in der Bananenwirtschaft prallen viele Interessen aufeinander.

Die Banane ist auch zum Symbol des Eisernen Vorhangs und dessen Fall geworden. Kein anderes Produkt prägte so eindringlich die Sehnsüchte nach den goldenen Früchten des westlichen Kapitalismus. "Wie verdoppelt man den Wert des Trabis?", lautete ein DDR-Witz: "Indem man ihn volltankt." Und wie vervierfacht man ihn? "Eine Banane auf den Rücksitz legen!"

Wie alle tropischen Früchte ist die Banane Teil unserer Kultur des Luxus, des Überflusses, des Paradieses, des Sinnlichen und Erotischen. Gleichzeitig ist die Bananenrepublik zum Ausdruck der politischen Verwerfungen geworden, die der Kapitalismus in der Dritten Welt ausgelöst hat.

 

Roman Sandgruber ist emeritierter Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz.

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29. März 2024