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Daheim sein

Von Bernhard Lichtenberger, 21. März 2020, 00:04 Uhr
Daheim sein
Trautes Heim Bild: OÖN

Aus dem Leben eines Heimarbeiter-Novizen.

Wer sitzt wo? Wird der Esstisch geteilt, sich gegenseitig über den oberen Rand der aufgeklappten Laptops hinweg beäugend? Nerven die einander im Raum kreuzenden Telefonate? Für Heimarbeit im Paarlauf gibt es keinen Fragenkatalog, folglich fehlen die Antworten. Also: learning by doing.

Und das Tun schmerzt gleich einmal. Das dem Speisen dienende Möbel erweist sich als ergonomisch untauglich für ein Werken am Computer. Mit verspanntem Nacken weiht die Angetraute die Couch zum Büro und übergibt den Laptop seiner namentlichen Bestimmung – dem Schoß.

Selbst tritt man die Flucht nach oben an, in den dereinst zum Homeoffice ausgebauten Dachboden. So wie es ausschaut, schaut’s ziemlich aus – mehr nach Abstell- und Ablagekammerl. Aber das bisschen Platz für das elektronische Scheibgerät ist flugs freigeschaufelt, der WLAN-Router überwindet locker zwei Zwischendecken, ins Redaktionssystem eingewählt, und los geht’s. Die Ruhe abseits des Newsrooms schreit nach Inspiration. Wäre da nicht das Ticken der Uhr im Rücken, das einem ziemlich auf den Zeiger geht.

Wenn die Decke grüßt

Natürlich gibt es auch ein tägliches Leben vor, zwischen und nach der Heimarbeit. Die familiäre Isolation in den eigenen vier Wänden nährt nach wenigen Tagen die Angst, dass einem zwar nicht der gallische Himmel, aber immerhin die Decke auf den Kopf fällt. Statt wie gewohnt die Mittagspause beim Wirt ums Medienhaus-Eck bei einem lukullischen Mahl abzusitzen, werden die Laufschuhe geschnürt. Auf der vertrauten Runde kommt Thomas Glavinic’ Roman "Die Arbeit der Nacht" in den Sinn. Darin wacht Jonas auf und muss erkennen, dass es außer ihm keine Menschen mehr gibt. Nun, so schlimm ist es nicht, aber die Servas-griaß-euch-hallo-Sprüche an Entgegenkommende darf man sich für belebteren Freiluftbetrieb aufheben.

Es ist Samstag. Kellerregale, Kühl- und Gefrierschrank sind ausreichend mit Lebens- und Genussmitteln bestückt. Ein paar Eier mehr können nicht schaden, wird befunden. Fein, dass einen Steinwurf entfernt in der weitläufigen Wiese hunderte Hühner scharren, deren Gelegtes der Bauer in einem riesigen Kühlschrank mit Kassabox zur Selbstbedienung feilbietet. Am Vormittag vorbeigegangen. Leer. Am Nachmittag erneut. Leer. Den Zettel gelesen, auf dem steht, dass um 9 und 15 Uhr nachgefüllt wird. Sonntagnachmittag, nächster Versuch. Die letzte Zehnerpackung ergattert. So kann es einem gehen, wenn den Hühnern keiner gackert, gefälligst im Akkord Eier zu legen, wo doch die Hamster umgehen.

Apropos: Trotz Bevorratung kommt man drauf, dass dies oder das noch zu brauchen ist. Die Allerliebste schickt mich zur Morgenstund’ mit dem Fahrrad los, quasi als Ein-Mann-Spähtrupp. Um 8.15 Uhr ist vom Asphalt vor dem Supermarkt nicht mehr viel zu sehen. Auto neben Auto neben Auto. Ein weiterer Spähausflug am Abend offenbart einen fast verwaisten Parkplatz. Drinnen gibt es alles in Hülle und Fülle. Nur das Klopapier ist schon wieder weg. Corona ist ja auch ein Sch...-virus. Der Germ hat sich ebenfalls davongemacht. Er wird wohl in Brot und anderen Backwaren aufgehen. Ein Zeichen für die Wiederentdeckung der Koch-Langsamkeit als Gegenentwurf zur Fast-Food-Normalität.

Obwohl wir einander derzeit nicht zu nahe kommen mögen, rücken wir zusammen – allerdings nur via Telefon und Whats-App. Die Tochter bleibt in Graz und über das gratis freigeschaltete E-Paper der OÖN auf dem Laufenden. "Find i cool!", schreibt sie. Der nach Barcelona ausgewanderte Junior teilt unser Schicksal mit Heimarbeit und eingeschränkter Bewegungsfreiheit. Keine Nachrichten sind gute Nachrichten, sagten wir uns früher, da er sich nur spärlich meldete. Nun kommunizieren wir alle täglich, beplaudern unser Sein, bespaßen einander mit Galgenhumor.

Nicht weit ist es von Coronaland nach Absurdistan. "14 Tage daheim? Des hoit i ned aus", sagt Frau Mama am Telefon. Den 80er vor sich, zählt sie zur Risikogruppe. "Wieso? Mia fehlt ja nix. In da Fruah a Schluckerl Schnaps…" Alter schützt vor Torheit nicht, möchte man antworten. Das tägliche Zureden scheint mittlerweile gefruchtet zu haben.

Pyjama-Party

Das erzwungene Daheimsein bringt auch Vorteile, selbst wenn diese banal erscheinen. Der Satz "Was ziehe ich heute an?" wurde aus dem Wortschatz gestrichen, der Schmutzwäscheberg zum Hügerl geschrumpft. Pyjama, Trainingsanzug, Laufzeug, Trainingsanzug, Pyjama – diese Kollektion genügt, tagein, tagaus. Und endlich kommt ans Tageslicht, was lange tief gefroren tief unten in der Tiefkühltruhe verschwunden lag.

Das Virus hat es zwar auf die Lunge abgesehen, im Kopf ist es dennoch zu spüren, weil man sich diesen darüber zerbricht. Da wenigstens einer ab und zu Essbares zu besorgen und damit Kontakt zur Außenwelt hat, beschäftigt der Gedanke, welche nahe Zukunft die Beziehung hat – körperlich betrachtet. Darf’s ein Busserl sein oder ist ein aus zwei Metern Entfernung hingehauchtes "Hab’ dich auch lieb" schon das höchste der intimen Gefühle? In 14 Tagen sollten wir es wissen.

Das Nichtumarmen und Nichthändeschütteln hatten wir ohnehin in den Tagen, bevor die Lage immer ernster wurde, fleißig trainiert. An kursierenden Alternativen mangelt es nicht, von der Ellbogenbegrüßung über die japanische Verbeugung bis hin zum "High Five" mit den Schuhsohlen, was jedoch eine gewisse Balance verlangt. Wir halten es mit Mister Spock, heben in vulkanischer Manier die rechte Hand und spreizen diese bei abstehendem Daumen zwischen Ring- und Mittelfinger: "Live long and prosper", oder, wie es in der deutschen "Raumschiff Enterprise"-Synchronisation hieß: Lebe lange und in Frieden. Ein Gruß, der zur Zeit passt. So, jetzt ist aber Feierabend.

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Bernhard Lichtenberger
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1  Kommentar
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kaunsnetglaunb (887 Kommentare)
am 22.03.2020 22:51

Vielen Dank fur den unterhaltsamen Artikel.Ich habe mich köstlich (laut lachend) amüsiert.Wie treffend und wie wahr und wie humorvoll beschrieben.Chapeau!

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