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Abschied nach 24 Jahren: Kurt Resch sagt dem Traunstein Lebewohl

Von Gabriel Egger   31.Oktober 2020

Wo die Faszination liege, will der Reporter wissen – in freudiger Erwartung, nun eine Geschichte über Träume, Sehnsucht und Leidenschaft zu hören. Denn einen ganz besonderen Antrieb müsse es ja geben, Hüttenwirt auf dem Traunstein zu werden. Auf einem Berg, der weder Seilbahn für Material oder Mensch aufzuweisen und auch keine Straße hat, die bis unter seinen Gipfel führt. Der Mann neben ihm, ein gut trainierter Sportler in knapper Laufhose und schwarzem Ruderleibchen, muss nicht lange über eine Antwort nachdenken. "Na ja, das Ganze ist so", sagt er, während unter seinem gepflegten Schnauzbart ein mildes Lächeln zu erkennen ist. "Ich geh jetzt schon seit 20 Jahren herauf und war schon mehr als 1000 Mal heroben. Jetzt hab ich mir gedacht, ich bleib einfach einmal eine längere Zeit hier".

Ein Abstieg ohne Wehmut

Es sind Szenen aus dem ersten Interview, das Kurt Resch an einem heißen Julitag als neuer Hüttenwirt des Naturfreundehauses auf dem Traunstein gab. 24 Jahre sind seitdem vergangen.

Jetzt, an einem milden Oktobertag, an dem die Sonne nur verhalten von einem milchig-weißen Himmel scheint und den Schnee des Wintereinbruchs langsam abtaut, sitzt der 58-Jährige wieder auf der Terrasse vor der Hütte. In der Hand eine kleine Tasse Kaffee, immer noch sportlich, ohne Schnauzbart, aber dafür mit dem gleichen Lächeln wie vor 24 Jahren. Mittlerweile haben sich die Anstiege auf den Traunstein auf knapp 3000 summiert. Es ist das letzte Interview, das der gebürtige Ohlsdorfer als Hüttenwirt auf dem Traunstein gibt. Der Abstieg zum Saisonende wird einer für immer sein. Einer, der ohne große Wehmut auskommt. Dafür habe es in den vergangenen Monaten zu viele Diskussionen gegeben.

Er wolle nun die Zeit mit der Familie genießen, mit seiner Birgit und der kleinen Mara, die mit zehn Jahren gar nicht mehr so klein ist. Auch das Parkplatzproblem in der Traunsteinstraße habe ihm zugesetzt und mit 58 sei man ja auch nicht mehr der Jüngste und gegen den täglichen Stress nicht mehr ganz so gefeit wie früher. Gerade in einer so komplizierten Saison wie heuer. Bis 60, sagt Resch, hätte er noch gerne weitergemacht. Aber eben nicht unter diesen Umständen. Was ihn schlussendlich zum endgültigen Abstieg bewegt hat, will Resch nicht in der Öffentlichkeit breittreten. Dafür war seine Zeit heroben, in 1580 Meter Seehöhe, zu wertvoll. Es habe eben interne Differenzen gegeben. Viel lieber möchte er über die schönen Dinge sprechen, jene, die aus ihm und dem Traunstein 24 Jahre lang ein Erfolgsduo gemacht haben.

Damals und heute: Kurt Resch im Interview auf dem Traunstein

"Wie ich angefangen habe, gab es außerhalb der Ferienzeit nur Wochenendbetrieb heroben. Ich hab dann umgestellt und war, sozusagen, der erste Vollzeit-Hüttenwirt auf dem Traunstein", sagt Resch, seinen Blick auf die Hütte gerichtet. Mit 15 Jahren hatte er angefangen, dem ehemaligen Hüttenwirt auszuhelfen, nicht wissend, dass das der Startschuss war für eine lange Karriere. Denn da hatte Resch gerade eine Lehre zum Schlosser bei den ÖBB in Attnang-Puchheim begonnen. 20 Jahre später beendete er die Arbeit in der Dreherei, als pragmatisierter Mitarbeiter. "Natürlich haben die Leute gesagt: ‚Spinnst du Kurt, du kannst doch keinen pragmatisierten Job aufgeben‘", erinnert er sich. "Ich hab dann nur gesagt: Lasst mich halt. Ich will das versuchen."

Abstieg für immer

"Keine Sekunde hab ich bereut"

Er ließ sich die Option auf eine Rückkehr offen, unbezahlter Urlaub für drei Jahre. Zurückgekehrt ist er nie. "Ich hab sofort gemerkt, dass ich richtig bin. Keine Sekunde hab ich bereut". Obwohl das erste Wochenende im April zuerst verregnet und die Terrasse vor der Hütte über Nacht verschneit war. Kurt lacht, während er seinen Blick über die große Panoramaterrasse Richtung Höllengebirge schweifen lässt. "Wenn ich die Arbeitsbedingungen damals mit heute vergleiche, dann hab ich früher in der Steinzeit gearbeitet", sagt er.

"Da bin ich oft bis Mitternacht in der kleinen Küche gestanden und hab Geschirr gewaschen. Das Klo war im Keller, da musstest du zuerst über die ganzen schlafenden Gäste drübersteigen, und eine Dusche hat es sowieso nicht gegeben". Aber damals gab es noch die Momente, früh am Morgen, in denen er in aller Ruhe auf den herbstlichen Nebel im Tal blicken konnte. Das gehe sich heute nur noch selten aus. "Das Leben heroben stellen sich die Leute immer viel romantischer vor", sagt Resch.

Ein Gasthaus im Tal hätte er trotzdem nie haben wollen. "Das Lebensgefühl hier oben ist einfach ein anderes. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, eine Stunde im Stau zu stehen, um in die Arbeit zu kommen. Da geh ich lieber".

Auch die Bergsteiger seien mit der Zeit immer anspruchsvoller geworden. "Früher gab es kein Raunzen, wenn 25 Leute auf elf Matratzen gelegen sind. Jetzt bin ich froh über die Doppelkojen in den Zimmerlagern", sagt Resch.

Am 28. Juni 2014 wurde das neue, umgebaute Naturfreundehaus offiziell eröffnet. Nun gibt es nicht mehr nur die alte Zirbengaststube mit dem Kachelofen, sondern einen großen Gastraum mit Wintergartenatmosphäre, eine Lounge und Waschräume im Ober- und Untergeschoß. Die Zeit des Umbaus, sagt Resch, werde ihm immer in Erinnerung bleiben. "Da denk ich irrsinnig gerne zurück". Acht Wochen sei das Wetter durchgehend schön gewesen, die Leute waren gemütlich, am Abend wurde Karten gespielt und am Morgen der Fortschritt begutachtet. Das Geschäft habe sich seit dem Umbau beinahe verdoppelt.

Das heurige Jahr hingegen hätte nicht schlechter beginnen können. Mingma, der Mitarbeiter aus Nepal, den Resch gemeinsam mit dessen Onkel wieder auf den Traunstein holen wollte, durfte wegen der Corona-Pandemie nicht einreisen. Das Personalkarussell begann sich zu drehen und Resch wurde schwindlig. "Dazu kam die Kurzarbeit, viele Leute waren zu Hause, es gab beim Andrang auf den Berg unter der Woche eigentlich keinen Unterschied mehr zum Wochenende", sagt Resch, der in seinen besten Zeiten in 51 Minuten vom Tal aus auf seiner Hütte war. "Da gab es Tage im September, da bin ich wirklich fix und fertig gewesen". Dass es seine letzte Saison auf dem Berg wird, wusste er da schon lange.

Abstieg für immer

Das Leben nach dem Berg

Trotz des oft instabilen Wetters sei seine letzte dennoch eine gute Saison gewesen. Für die Zeit danach hat er noch keine konkreten Pläne. Nur sein nächstes Ziel ist klar: Großarl. Familienurlaub mit seiner Birgit, die ihm 18 Jahre lang auf dem Traunstein zur Seite gestanden war, und mit Tochter Mara, die immerhin schon 29 Mal beim Papa auf der Hütte angekommen ist. Ein Wohnmobil habe er sich gekauft, um wieder mehr auf Reisen gehen zu können. "Aber ganz ohne Arbeit wird’s auch nicht gehen. Für die Pension bin ich noch ein bisschen zu jung", sagt Resch. Auf einer Hütte werde er sein Arbeitsleben aber nicht ausklingen lassen. "Das ist abgeschlossen. Die Zeit gehört jetzt der Familie", sagt er. Ein bisschen Wehmut ist dann doch hörbar, wenn Resch über die Stammgäste spricht. Die vielen lustigen Abende mit den vielen erheiternden Begegnungen. Immer wieder wird das Gespräch unterbrochen. "Pfiat di Kurt, war schön mit dir. Danke für alles". Viele sind, fünf Tage vor Saisonende, noch einmal heraufgekommen, um sich persönlich zu verabschieden.

Sie werden ihren Kurt auf dem Traunstein wiedersehen. Als Bergsteiger, nicht als Wirt. Weil ihn der Berg nach wie vor nicht mürbe, sondern glücklich mache. "Er ist kein Todesberg, auch wenn er oft so dargestellt wird. Er hat nur einfach keinen normalen Wanderweg, darauf müssen sich die Leute einstellen". Dass die unmarkierten Anstiege den Weg auf Karten und in die sozialen Medien finden, gefällt Resch gar nicht. Drei exponierte Anstiege reichen für die Allgemeinheit.

Seinem Nachfolger, der noch nicht gefunden ist, wünscht er vor allem eines: "Viel Glück bei der Personalsuche". Er werde ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen. Jetzt aber, müsse er sich wieder um die Gäste kümmern. Der Sonnenuntergang steht kurz bevor. Einer der letzten, den Kurt als Hüttenwirt auf dem Traunstein erleben wird.

Das Schmuckstück

Als Sporthotel wird es von jenen bezeichnet, die sich mit der Wandlung vom alten Haus zur modernen Hütte nicht zurechtfinden können. Als die Entwürfe für eine modernisierte Schutzhütte auf dem Traunkirchner Kogel des Traunsteins im Sommer 2012 veröffentlicht wurden, gingen die Meinungen weit auseinander. Dabei war das alte Haus, das Kurt Resch zu diesem Zeitpunkt seit 15 Jahren bewirtschaftet hatte, arg sanierungsbedürftig. Rauch zog von der Küche in die Schlafräume der Gäste, die Toilette im Keller war nur über Umwege erreichbar.

Unter der Federführung des ehemaligen Hüttenwarts Manfred Spitzbart wurde am 1. Juli 2013 mit dem Umbau begonnen, weniger als ein Jahr später konnte das neue Naturfreundehaus bereits offiziell eröffnet werden. Die Kosten beliefen sich auf rund eine Million Euro.

Arbeit: verpflichtend

Die Belieferung der Hütte, die von 1925 bis 1927 errichtet worden war, hat sich in ihrer langen Geschichte verändert. Auf den Berg getragen werden Lebensmittel und Materialien zwar immer noch, die Arbeit wird von einem Hubschrauber aber wesentlich erleichtert. Beim Bau der Hütte waren die Naturfreunde ausschließlich auf die Hilfe ihrer Mitglieder angewiesen. Denn die provisorische Seilbahn, die man errichtet hatte, war nach dem ersten Niederschlag Geschichte. So wurden die Mitglieder per Beschluss verpflichtet, mindestens drei Mal im Jahr Materialien auf den Traunstein zu bringen.

Während des Krieges wechselte die Hütte zweimal unfreiwillig die Besitzer und ging erst nach Kriegsende wieder an die Naturfreunde zurück. Kurt Resch war der längstdienende Hüttenwirt in der Geschichte des Naturfreundehauses. Zuvor hatte Manfred Purrer das Haus von 1973 bis 1995 bewirtschaftet.

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