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Wo der Winter noch auf Touren kommt

Von Marlies Czerny, 27. Februar 2016, 00:04 Uhr
Wo der Winter noch auf Touren kommt
Himmel, Rossarsch und Firn: Helmut Steinmassl zeigt, wo es lang geht. Feinste Abfahrt! Bild: Andreas Lattner

Warum Helmut Steinmassl seine Tourenskier erst im April wegpacken wird und wofür uns die Tiroler beneiden: Das erzählt der Lawinenexperte auf einer Skitour zum Rossarsch*.

Viele Skitourengeher haben in diesem Winter ihre liebe (Schnee-)Not. "Der Winter ist milder als alle anderen, das ist das Hauptproblem", sagt Helmut Steinmassl aus Spital/Pyhrn. Er weiß um die Sonnen- und Schattenseiten im Gebirge, ist staatlich geprüfter Bergführer und Bergretter und kennt die Gegend von außen wie innen als Höhlenforscher. An Schnee hätte es nicht gemangelt, sagt er: "Wenn man sich österreichweit die Schneemengen ansieht, dann hat das Tote Gebirge so viel abbekommen wie das Arlberggebiet."

Doch da gibt’s diesen Startnachteil gegenüber den westlichen Bundesländern. "Wir liegen so tief, und unsere Berge sind nicht so hoch." Auf der Höhe, ab der sich heuer der weiße Untergrund zum Gelände-Skifahren eignet, liegt bereits der Gipfel vieler Voralpen-Berge.

Das hat Konsequenzen für die Tourenwahl. Man muss die Skier ein Stück weit tragen. Oder sucht sich einen hohen Ausgangspunkt. Die Wurzeralm bietet sich an. Wir starten vom Pyhrnpass auf 940 Meter Seehöhe. Der Rossarsch im Warscheneck-Stock ist unser Ziel.

Wo der Winter noch auf Touren kommt
Hinter uns das Warscheneck: Der westliche Ausläufer des mächtigen Gebirgsstockes führt über den Liezener zum Ross-arsch an die steirische Grenze. Bild: Andreas Lattner

Wäre da nicht diese nackte Talsache, würden wohl auch viele Tiroler mitbekommen, dass die Skitouren-Berge nicht schon in Salzburg abflachen. "Mit unseren heimischen Touren stehen wir den Tirolern um nichts nach. Wir haben sogar einen Vorteil: Sie sind nicht so überlaufen", sagt Steinmassl. Das Potenzial hierzulande hätte der Tourismus bei Weitem nicht ausgeschöpft, findet er: "Die Wurzeralm wäre eines der Toptourengebiete im gesamten Alpenraum."

Zwei Blindgänger im Wald

Von Einsamkeit ist aber keine Spur, als wir am vergangenen Montag aufbrechen. Eine Pensionistengruppe startet zeitgleich, ein Schwung Einheimischer folgt alsbald, ein Tscheche zieht alleine an uns vorbei und später, mitten im Wald, begegnen uns plötzlich zwei Frauen. Sie sind stur der Spur gefolgt und hätten gehofft, auf der Skipiste der Wurzeralm anzukommen. Doch nun wissen sie nicht mehr weiter. Welch Glück, dass ihnen der Bergretter den rechten Weg weist. "90 Prozent aller Tourengeher folgen einer Spur, egal, wie steil oder sinnvoll sie angelegt ist. Vielen ist dabei sogar egal, wohin sie führt", beobachtet Steinmassl.

Der Vater dreier Kinder geht am liebsten seinen eigenen Weg. Hier in Richtung des Gipfelhangs vom Rossarsch hat er freie Spurwahl. Kleinere Lawinen donnern aus den Steilhängen des nahen Warschenecks. Der Lawinenreferent der Bergrettung weiß, wann und wo er wie weit gehen kann. Er passt seinen Aufstieg laufend den Gegebenheiten an, verfolgt den Schneedeckenaufbau seit den ersten Flocken. Das vermisst er bei anderen. "Die Lawinengefahr wird einerseits überschätzt", sagt er (und das sei gut so). Andererseits schalten viele ausgerechnet dann das Hirn aus, wenn es gefährlich wird (und schöner Schnee lockt). Zu oft werden einfache Regeln missachtet: wie Abstand zu halten.

Das Spuren ist für Steinmassl mehr Denksport als Schwerstarbeit: Sich den logischsten Weg zu suchen, die sicherste Linie. "Ich wünsche mir immer, wenn ich aufbreche" – und das ist 80 bis 120 Mal pro Winter – "dass dort noch niemand gegangen ist."

Mittlerweile muss er mit mehr Wegbegleitern rechnen. In den vergangenen 15 Jahren hat sich das Skitourengehen mehr als vervierfacht. "Es boomt immer noch", sagt Steinmassl. Auch das Pistengehen findet mehr Andrang. Eines Mittwochs reihte sich Steinmassl selbst in die Kolonne auf die Wurzeralm ein. "Da waren mehr als 500 Leute unterwegs. Am Abend."

Kleines Loch als Höhleneingang

Im letzten Anstieg entdeckt Steinmassl ein Loch im Hang. Im Sommer versteckt es sich im Latschen-Dickicht: Ein möglicher Eingang in eine neuen Höhle? Oder eine Verbindung zum Labyrinth im Eisernen Bergerl? Einige hundert Meter hinter uns schaufelte Steinmassl den Eingang eines kilometerlangen Höhlensystems frei. Das größte Karsthochplateau der Erde ist übersät von Schächten und Dolinen. "13 Menschen sind vermisst in diesem Gebiet", weiß er.

Wo der Winter noch auf Touren kommt
Steinmassl schaufelt eine Höhle frei, es führt in eine 3,7 km lange Unterwelt im Eisernen Bergerl. Bild: Andreas Lattner

Steinmassl schaufelt eine Höhle frei, es führt in eine 3,7 km lange Unterwelt im Eisernen Bergerl.

Steinmassl nützt noch länger die guten Schneebereiche im Toten Gebirge, die man im blühenden Tal nicht erahnen würde. Normalerweise packt er Ende April die Skier weg und holt die Klettersachen hervor. "Der Winter hat vor zwei Monaten begonnen und ist erst zur Hälfte vorbei", sagt er beim Gipfelkreuz – und sein Herz schlägt noch höher hinaus. Ein butterweicher Firnhang liegt uns zu Füßen. Und er sieht noch ganz viele weitere...

 

*Zu seinem wenig schmeichelhaften Namen kam der Rossarsch durch seine Hinteransicht. Während sich der Rücken in Richtung Warscheneck in die Länge zieht, fällt der 2205 Meter hohe Berg nach Westen in Form eines Pferdehinterteils ab. Das sahen zumindest frühe Entdecker und Kartografen so.

 

Skitour Rossarsch (2205 m): Am einfachsten startet man von der Bergstation am Frauenkar im Wurzeralm-Skigebiet. Erst abwärts, geht’s später flach in westliche Richtung unterhalb des Warschenecks vorbei bis zum steileren Gipfelhang. Retour ins Skigebiet mit kleinem Gegenanstieg.

 

Wo der Winter noch auf Touren kommt
Helmut Steinmassl

Helmut Steinmassl, der Bergführer, Höhlenforscher, Ausbildner und Lawinenreferent der Bergrettung OÖ kommt dann zum Einsatz, wenn es für andere nicht mehr weitergeht – wie beim Bergdrama um zwei erfrorene Jugendliche am Warscheneck oder der Rettungsaktion in der Riesendinghöhle. Der dreifache Vater ist verheiratet und lebt in Spital/Pyhrn.

 

Tipps für Touren

Angerkogel (leicht): Der hoch gelegene Ausgangspunkt beim Pyhrnpass auf 940 Meter hebt die Skitourensaison in die Verlängerung. Ein einfaches Ziel: der Angerkogel (2114 m). „Das ist eine schneesichere und leichte Tour“, sagt Helmut Steinmassl. Vorbei geht es an den Hintersteiner Almen (Foto). „Wer auf der Forststraße bleibt, kommt bis auf gut 1500 Höhenmeter. Das Hinunterfahren ist eine leichte Sache und ein landschaftlicher Genuss. Hier hat man fast immer andere Leute rund um sich.“

Mühen: 1180 Höhenmeter, Aufstieg drei Stunden vom Pyhrnpass, geringe Lawinengefahr

 

Lahnerkogel (mittel): Ebenfalls vom Pyhrnpass, aber in östliche Richtung, startet man auf den Lahnerkogel (1854 m). Der Normalweg führt über den Fuchsalm-Westhang auf den Nachbarn des Bosrucks: „Ein schöner Aufstieg, der flach beginnt und später gleichmäßig steil verläuft. Eine schöne Trainingstour für mich“, sagt Steinmassl. Die Sonne taucht den Hang erst mittags in warmes Licht. Ein Haken: „Oben ist es oft abgeblasen.“ Und über die Lawinenverbauung muss man hinwegsehen.

Mühen: 900 Höhenmeter, Aufstieg drei Stunden vom Pyhrnpass, mittlere Lawinengefahr

 

Sandkar (extrem): Wer einen Hang zu Extremtouren hat, dem legt Steinmassl das Sandkar ans Herz. Es ist die nördliche Abfahrtsvariante vom Lahnerkogel. Wohlgemerkt: Können und Erfahrung, ob es von der Lawinensituation her passt, vorausgesetzt! „Das Sandkar ist eine Wahnsinnsflanke und ein Landschaftsgenuss“, sagt Steinmassl. Die Einfahrt ist sehr steil, nichts für schwache Nerven. Für Gäste hat Steinmassl ein Seil mit. „Man sollte unten die richtige Linie erwischen und Glück haben, um nicht im Gestrüpp zu landen.“ Positiv: „Die Abfahrt ist 200 Höhenmeter länger als der Aufstieg.“

Mühen: 1100 Höhenmeter, Aufstieg drei Stunden über Normalweg, große Lawinengefahr

 

Kleine Schneekunde: Alles Planungssache

Wenn Helmut Steinmassl eine Skitour plant, dann startet er bereits im Herbst damit. Der erste Schneefall begleitet ihn einen Winter lang – denn der Aufbau der vielschichtigen Schneedecke hat Einfluss auf die Lawinensituation. Vor allem in Tirol sind mancherorts noch immer versteckte Schwachschichten in der
Altschneedecke heikel.

Dazu kommen laufende Veränderungen: Neuschneefälle, Regen, stürmischer Wind, starke Sonneneinstrahlung – die markanten Wettertage hat Steinmassl im Kopf abgespeichert.

Auch das Internet ist eine wichtige Informationsquelle: Begonnen beim täglichen Lawinenlagebericht über den Wetterbericht bis zu den aktuellen Messwerten von Wind, Schneehöhe und Temperatur in Schnee und Luft. Dazu ein Blick auf die Panoramakameras, wo er Lawinenabgänge beobachtete: "Das findest du alles im Internet", sagt Steinmassl. Wie ein Puzzle fügt er alle Elemente zusammen und hofft dabei seine optimale Tour zu finden.

Tipps gibt er nur ungern her. Zuletzt konnte er einem Fragesteller, der eine Tour für den nächsten Tag wissen wollte, nur antworten: "Hast du nicht den Wetterbericht gelesen? Geh’ lieber ins Hallenbad."

 

 

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