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Wenn über Hallstatt die Sonne nicht mehr aufgeht

Von Edmund Brandner   09.Dezember 2016

Am 27. November um 11.14 Uhr ging für Karl Wirobal das letzte Mal in diesem Jahr die Sonne auf. Nur drei Minuten lang streifte die weiße Scheibe hinter der Silhouette des Krippensteins hervor. Danach verabschiedete sie sich für lange Zeit. Das Haus des 72-Jährigen Pensionisten liegt seither ganztägig im Schatten.

Für die Bewohner des Hallstätter Ortsteils Lahn gehört dieses Phänomen zum Winter wie Glatteis oder Lawinensperren. "Hast du noch Sonne? Bei mir ist sie vor zwei Tagen weggegangen." So beginnen in diesen Tagen die Gespräche.

Fahndung nach der Sonne

Als die Hallstätter 5000 Jahre vor Christi Geburt begannen, am Fuß des Dachsteins dem Salz hinterher zu kratzen, wurden sie damit reich. Doch sie nahmen auch einiges in Kauf. Eingepfercht zwischen See und Fels ist ihr Ort so eng, dass der Friedhof zu klein ist, um Toten die ewige Ruhe zu gewähren. Und auch der Sonne wird es im Winter zu eng. Zum Ortsteil Lahn dringt sie dann nicht mehr durch.

Scherzbolde haben deshalb Fahndungsplakate auf eine Scheune beim Gasthaus Hirlatz genagelt. "Gesucht wird die Sonne", steht darauf. "Es handelt sich um ein gelbes Objekt, das Wärme, Licht und ein Prickeln auf der Haut erzeugt. Wer sie gesehen hat, bitte melden!"

Karl Wirobal beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Hallstatts Schattentagen. "Es gibt Häuser, wo mehr als 120 Tage im Jahr, also ein Drittel des Jahres, keine Sonne scheint", sagt er. Der Hallstätter war Bergmann, Konstrukteur und später Betriebsleiter der Saline, außerdem Universitäts-Assistent und zuletzt HTL-Lehrer. In akribischer Tüftelei hat er vor einigen Jahren eine Tabelle erarbeitet, die jedem der rund 50 Hausbesitzer in Lahn exakt mitteilt, an welchem Tag für ihn die sonnenlose Zeit beginnt und wann sie wieder aufhört.

Im Jahr 2005 hätte der damalige SP-Bürgermeister Peter Scheutz fast eine Lösung gefunden. Er dachte laut über die Installierung eines beweglichen Riesenspiegels auf der anderen Seite des Hallstättersees nach, um vom Sarstein aus den ganzen Ort im Winter mit Sonnenlicht versorgen zu können. Scheutz selbst hat zuhause zwischen 2. November und 8. Februar keine Sonne. Experten schätzten die Kosten des Projekts damals auf rund 1,5 Millionen Euro. Man hörte nie wieder etwas davon.

Peter Scheutz’ Nachfolger Alexander Scheutz (andere Familie, gleiche Partei) hält die ganze Sonnendiskussion ohnehin für überzogen. "Nirgendwo in Oberösterreich ist im Winter das Wetter schöner als bei uns", sagt er. Und man muss ihm recht geben. Wenn über Gmunden oder über dem Zentralraum wochenlang Nebelglocken hängen, freuen sich die Hallstätter über strahlend blauen Himmel. Der Grund: Kalte Luftmassen, die permanent vom Dachsteingletscher herab strömen, schieben Nebelbänke am Hallstättersee verlässlich talabwärts. "Wir haben geschätzte zwei Nebeltage im Jahr", behauptet Karl Wirobal.

Bewegung im Freien

Auch Mediziner wollen die Situation in Hallstatt nicht überbewerten. "Ein Mangel an Sonnenstrahlen kann zwar zu Depressionen führen, und auch für die Bildung von Vitamin D ist direktes Sonnenlicht nötig", sagt Bernhard Mayr, Primar für Innere Medizin im Salzkammergut-Klinikum Gmunden. "Aber auch Menschen, deren Haus im Schatten liegt, bewegen sich in der Regel genug in der Sonne."

Es gäbe auch Vitaminpräparate, doch Mayr hält Spaziergänge oder Sport im Freien für die beste Prophylaxe. "Das ist auch in anderer Hinsicht gesund", so der Arzt. Tatsächlich gibt es in Hallstatt Rastbänke an sonnigen Stellen, an denen sich Spaziergänger im Winter gerne treffen, um zu plaudern und Licht zu tanken.

Karl Wirobal bevorzugt Skitouren. Und am 15. Jänner scheint ohnehin wieder die Sonne auf sein Haus. Von 11.36 bis 11.39 Uhr.

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