Weihnachtliche Paradoxien

Von Roman Sandgruber   22.Dezember 2018

Weihnachten steckt voller Paradoxien. Die Volkskundler lieben es. Kein anderes Fest ist derart in der Alpenfolklore versteinert: weiße Weihnachten, rußendes Kerzenlicht, gerade gewachsene Nordmanntannen, Sängerknaben und Stille Nacht, Sepp Forcher und Heinrich Waggerl, endlose Spendengalas und überfüllte Adventmärkte, das immer gleiche Angebot mit Glasbläsern, Holzschnitzern und Kunstschmieden, mit Selbstgebackenem und Fremdgebasteltem. Ob Christkind oder Weihnachtsmann, Baum oder Krippe, Mette oder Weihnachtsparty: Weihnachten ist das einzige christliche Fest, das sich über alle Religionen und Regionen dieser Welt hinweg durchgesetzt und die Globalisierung voll mitgemacht hat. Auch die Simpsons feiern Weihnachten. In Japan hat sich Weihnachten voll etabliert, und auch in China trifft man vermehrt auf Weihnachtsbäume und Weihnachtsmänner. Und selbst im Nahen Osten, in Israel ebenso wie in den islamischen Staaten, boomt das Weihnachtsgeschäft, auch wenn jüdische wie arabische Fundamentalisten radikal dagegen ankämpfen.

Weihnachten ist kein christliches Fest mehr. War es überhaupt jemals ein solches? Weihnachten besteht wie kein anderes Fest aus "erfundenen Traditionen", ob es sich nun um das Christkind oder den Weihnachtsmann handelt, ob man den Kindern vom "Goldenen Rössl" erzählt, das noch vor wenigen Generationen in Oberösterreich die bescheidenen Weihnachtsgaben brachte, oder ob Sinter Claas, die Hexe Befana, die Heiligen Drei Könige oder gar Väterchen Frost dafür herangezogen werden. Alle haben sie gemeinsam, dass sie mehr oder weniger frei erfunden sind und sich doch jeweils in den Köpfen fest verankert haben. Weihnachten ist genauso ein heidnisches wie ein christliches Fest, das aus verschiedensten Traditionen zusammengemixt wurde: Die Wintersonnenwende und der römische Kaiserkult mit dem Fest der "unbesiegten Sonne" wurden mit der biblischen Weihnachtsgeschichte vermengt, die ja mit dem fiktiven Geburtsort Bethlehem, dem erfundenen, nirgendwo genannten Geburtstermin Christi und den folkloristischen Begleitumständen der Hirten, Engel und Könige oder Magier keine historische Darstellung, sondern eine legendenhafte und allegorische Ausschmückung bringt.

Weihnachten ist heute wieder zu dem geworden, woher es gekommen ist, zu einem globalen Lichterfest, das nicht nur auf den Straßen, Hausfassaden und Vorgärten, sondern auch in den Wohnzimmern als solches gefeiert wird. Der heidnische Christbaum hat die katholische Krippe verdrängt. Dabei würden die traditionellen Krippen sehr viel mehr und besser in unsere von Flucht und Migration geprägte Zeit passen als die moderne Weihnachtsfolklore. Ein bisschen Geborgenheit ist uns allen zu wünschen.

 

Roman Sandgruber ist emeritierter Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz.