Veselé Vánoce – ein frohes Fest
Liebe Leserinnen und Leser, "hlavní nádraí" waren die ersten tschechischen Worte, die ich bei meiner Ankunft in Böhmen las und sind die letzten, die ich 2018 sehe.
Anfangs verstand ich nur Bahnhof, jetzt weiß ich immerhin, dass sie Hauptbahnhof heißen. Nach drei Monaten in der heimeligen Fremde ist es Zeit, das erste Mal in die Heimat zurückzukehren. Grenzübergreifende Traditionen und Bräuche und identische Rezepte in anderer Sprache erwarten mich bereits. Kulturschock? Fehlanzeige. Die Nachbarn sind sich ähnlicher als sie es auf den ersten Blick wahrhaben wollen.
Noch vor kurzem war die Aufforderung des Schaffners "Dobr den, lístky prosím!" Quell vieler Fragezeichen, heute ist sie der Beginn einer kurzen Unterhaltung. Thema: kulinarische Weihnachtstraditionen. Er schwärmt vom tschechischen Kartoffelsalat, der, nach traditioneller Familienrezeptur zubereitet, zu Weihnachten verspeist wird. Im Übrigen macht seine Mutter den weltbesten. Ich muss es ihm glauben, beweisen kann er es mir nicht. Das tschechische Pendant mit Wurst, Eiern, Tomaten und Gurken soll außerdem um Welten besser sein als die österreichische Interpretation. Die entbrannte Diskussion dauert bis Ceské Budejovice an. Ich muss umsteigen, er verabschiedet sich, jedoch nicht ohne mir einen handgeschriebenen Zettel unterzuschieben. Das streng gehütete Rezept.
In Ceské Budejovice habe ich einige Minuten Zeit. Genug, um im Geschichtsbuch zu blättern. Die Strecke Budweis – Linz, die zweite öffentliche Eisenbahnlinie Europas, diente ab 1825 hauptsächlich dem Transport von Salz. Später wurde auf Personenverkehr umgestellt. Statt von früheren zwei bis drei Pferden, wird mein Zug heute von 10.000 PS gezogen. So verwandelten sich in 193 Jahren drei Tage Fahrt in zwei Stunden.
Nach 60 Minuten taucht der Bahnhof Summerau am Horizont auf. Johannes Birngruber, seit 2001 Fahrdienstleiter mit Grenzerfahrung, weiß einiges aus seinem zweisprachigen Alltag zu erzählen: "Viele sprechen einfach aus Prinzip keine Fremdsprache. Bis zum Wegfall der Grenzkontrollen waren hier über 100 Leute stationiert. Doch jetzt sind bloß noch zehn übrig, da wird es schwer, einen Dolmetscher zu finden." Die Zusammenarbeit funktioniert dennoch perfekt, auch dank gemeinsamer Aktivitäten. Seit 2004 stehen Fußballturniere auf dem Fahrplan. Dem Gewinner winken Ruhm, Ehre, Bier und Würstel. 2016 fuhr Birngruber gemeinsam mit tschechischen Kollegen mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau bis Wladiwostok. "Das war für mich das Urlaubs-Highlight meines Lebens." Gemeinsam überquerte man auf der 9288 Kilometer langen Strecke zwei Kontinente und durchfuhr sieben Zeitzonen. Ich jedoch bin glücklich über die übrige Stunde Fahrzeit in mein Linz. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten, "Veselé Vánoce"; bis nächstes Jahr, Ihr Michael Schäfl
Michael Schäfl berichtet für die OÖN regelmäßig vom Alltag unserer böhmischen Nachbarn