Sein Herz schlägt für Weingenuss

Von Jasmin Bürger   20.August 2016

Mindestens ein Sommeliermesser hat Matthias Pitra immer bei sich: Die Innenseite seines rechten Unterarms ziert ein Tattoo eines solchen Profi-Korkenziehers. Zeichen seiner Leidenschaft für Wein und Andenken an die Zeit im "Noma" in Kopenhagen, bisher vier Mal zum besten Restaurant der Welt gekürt. Dort hat der gebürtige Welser 2015 ein dreimonatiges Service-Praktikum absolviert – gute Kontakte und ein wenig Zufall hatten ihm die Stelle verschafft.

Die Tätowierkunst sei neben Kulinarik "skandinavische Spezialität", erklärt Pitra das permanente Mitbringsel mit einem Lachen.

Dabei hätte er, statt Erinnerungen mitzunehmen, auch im hohen Norden bleiben können: Das "Noma" bot ihm eine Fixanstellung an, Pitra schlug aus: "Ich wollte zurück, weil ich in Wien meinen Lebensmittelpunkt gefunden habe." Und nicht einmal ein Jahr, nachdem er als Sommelier und Restaurantleiter im "Tian" – Österreichs einzigem vegetarischen Restaurant mit Michelin-Stern – angeheuert hat, wurde er heuer zum "Sommelier des Jahres" gekürt. Die Auszeichnung ist eine Art "Oscar" der Gastroszene und Pitra "extrem stolz, "weil es Bestätigung und Anerkennung durch Kollegen ist".

Sein Herz schlägt für Weingenuss
Auszeichnung zum "Sommelier des Jahres" im Mai

Auszeichnung zum "Sommelier des Jahres" im Mai

Der Job ist Leidenschaft

Dass seine Leidenschaft unter die Haut geht, bleibt Pitras Gästen meist verborgen. Dass das Vinophile für ihn mehr als ein Job ist, merkt man aber rasch. Expertise und Emotion schwingen bei jedem Wort über Wein mit, und Pitra hat eine klare Linie: "Ich glaube, es ist die Zukunft, dass Wein nachhaltig und biologisch produziert wird, denn man muss überlegen, was man der Natur antut. Produkte von zu Tode gespritzten Böden will ich nicht essen und trinken", sagt er. Bioweine "sind frischer, bekömmlicher, man schmeckt mehr vom Terroir".

Seine Weinkarte mit insgesamt 400 Positionen legt den Fokus auf Bioweine, "aufdrängen will ich es aber niemandem". Wenig Verständnis hat Pitra jedoch für Justament-Verweigerer unfiltrierter Weine: "Apfelsaft trinken die meisten gern unfiltriert, dass es bei Wein ein No-go ist, mag noch mit dem Weinskandal zusammenhängen, nach dem alles blitzblank sein musste." Pitras Mission ist, "Gästen spannende Weine von unbekannten Weingütern zu präsentieren und sie zu begeistern".

Ist die vegetarische Küche eine Herausforderung für den nichtvegetarischen Weinkenner? "Ich bin davon ausgegangen, dass wie sonst auch der dominante Geschmack am Teller die Weinauswahl leitet. Aber es war anfangs schwieriger als gedacht, weil die Gerichte sehr eigenständig im Geschmack sind." Also hieß es kosten und experimentieren. "Mittlerweile habe ich eine Stilistik gefunden, die gut passt" – es sind vor allem feingliedrige Naturweine, die mit der nachhaltigen "Tian"-Küche harmonieren.

Sein Herz schlägt für Weingenuss
Erschöpft, nach dem ersten Arbeitstag, einem Zwölf-Stunden-Dienst, im Kopenhagener Noma

Erschöpft, nach dem ersten Arbeitstag, einem Zwölf-Stunden-Dienst, im Kopenhagener Noma

Als Genussmensch und (Bio-) Weinfan geprägt hat den in Oftering Aufgewachsenen der Vater, der seinen neben dem Job bei voestalpine Intertrading geführten Weinhandel mangels Zeit aber irgendwann aufgab. Pitras Mutter brachte die zweite Ehe zur Gastronomie: Sie leitet die Bäckerei ihres Mannes in Oftering. Mit der fehlenden Berufsplanung des mittleren von drei Söhnen war sie nicht zufrieden: Nach Musikhauptschule und Liebäugeln mit der Sporthauptschule schickte sie ihn auf die HAK in Wels, "damit ich was Gescheites lerne". Buchhaltung war seine Sache nicht, so wurde aus dem Nebenjob in der "Haltestelle z’Oftering" ein fixer. Der Chef des Traditions-Wirtshauses legte Wert auf beste Servicequalität, "da habe ich viel gelernt", sagt Pitra, der "wegen der Liebe" mit Mitte 20 nach Wien zog. "Die Liebe war weg, ich bin trotzdem geblieben."

Der Weg zum Weinkenner

Drei intensive Lernjahre im Restaurant des Luxushotels Sofitel am Donaukanal folgten. Sommelier Steve Breitzke "als Mentor hat meine Liebe zum Wein intensiviert". Der Diplom-Lehrgang am Wifi und zwei Prüfungen am renommierten Court of Master Sommeliers komplettierten Pitras Professionalisierung für den Job ohne Berufstitelschutz. Die Ausbildung zahlte er selbst. Eine Investition war auch das "Noma"-Praktikum, da unbezahlt. "Ich hatte ein sauteures Zimmer ohne Fenster in einer WG, aber die Erfahrung war es wert", sagt er.

Kulinarik prägt auch die Freizeit des Gourmets: An Ruhetagen stehen Weinverkostungen oder kulinarische Konkurrenzanalyse auf dem Programm. Heimatbesuche sind "leider viel zu selten".

Anders als einige in der Branche wirkt Pitra geerdet, fokussiert und versichert glaubhaft: "Ich verkoste jobbedingt viel, wirklich trinken tu ich wenig." Ausnahmen nach Dienstschluss gibt es: So wie Freitag vor einer Woche, da feierte Pitra den 29er mit Kollegen – und Champagner von Emmanuel Brochet.

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Prüfender Blick des Weinkenners

Prüfender Blick des Weinkenners

Wer glaubt, sein Job hieße, abends ein bisschen über Wein zu plaudern, irrt. "Natürlich ist man die paar Stunden, die Gäste da sind, wie auf einer Bühne, muss locker sein und animieren", sagt Pitra. Doch wenn um 19 Uhr Gäste kommen, hat der Restaurantleiter und Sommelier schon einen Acht-Stunden-Job hinter sich: Vormittags kümmert er sich um Weinmanagement, dann um die Mittagsgäste, danach wartet Büroarbeit wie die Dienstplaneinteilung für sieben Mitarbeiter, dann der Abendauftritt. Schluss ist oft erst um eins. Da bleibt wenig Zeit für ein Privatleben, doch Pitras Freundin ist auch in der Gastronomie und kennt die Abläufe. "Nur, dass ich den zweiten Weinklimaschrank, den ich für meine Wohnung gerade gekauft habe, ins Schlafzimmer stelle, wurde mir verboten", lacht Pitra.

Ein anderes Hobby gibt es dann doch: Fußball. "Aber nicht österreichischen, der kann mit österreichischem Wein nicht mithalten." Arsenal London hat es ihm angetan, auch dafür hat Papa Pitra begeistert. Zumindest einmal im Jahr geht es gemeinsam ins Emirates-Stadion. Wobei nach 90 Minuten Match noch mehr Zeit in die Erkundung Londons kulinarischer Genüsse fließt. Schließlich hat Pitra Zukunftspläne: ein eigenes Weinbistro, vielleicht sogar in der Hoamat.

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Arsenal London-Fan: mit Brüdern Lukas, Andreas und Vater Rudolf (v.l.) beim Champions League-Match gegen Bayern München

Arsenal London-Fan: mit Brüdern Lukas, Andreas und Vater Rudolf (v.l.) beim Champions League-Match gegen Bayern München

 

2016: Im Mai ist Pitra vom Branchenmagazin "Rolling Pin" zum "Sommelier des Jahres" gekürt worden. Er erhielt unter drei Nominierten die meisten Stimmen, am Voting haben 7800 Vertreter aus Gastronomie und Hotellerie in Österreich teilgenommen.

2000 Mitglieder hat der heimische Sommelierverband – vom Lehrling bis zum nach internationalen Standards geprüften Sommelier. Der Berufstitel ist nicht geschützt, der Sommelierverband setzt sich für qualitätsvolle Ausbildung ein und sieht den Sommelier als "Genussberater für den Gast". Ein Weg der Ausbildung ist das Diplom am Wifi.

Vier Prüfungen umfasst die Ausbildung am Court of Master Sommeliers. Auf die Stufen "Intro" und "Certified" (die Pitra absolviert hat) folgt "Advanced", die Krönung ist der "Master", derer es weltweit nur rund 280 gibt, darunter zwei Österreicher.

 

Nachgefragt...

Heimat ist für mich ... zur Ruhe zu kommen

Heimweh nach Oberösterreich bekomme ich ... zu Weihnachten, weil ich da bis letztes Jahr immer arbeiten musste

Das fehlt mir in Wien aus Oberösterreich … Knödln

Das gibt es nur in Wien ... schlechten Gemischten Satz

Mein Lieblingsplatz in Wien ... Weinbars wie "Pubklemo am Wasser" oder "O Boufés"