Psychologin: „In den Model-Shows wird echter Missbrauch betrieben“

Von Barbara Rohrhofer   02.Februar 2012

OÖN: Weinende Mädchen, die ihre blanken Brüste nicht zeigen wollen, und junge Frauen, die in High-Heels auf Laufbändern strampeln müssen, bis sie schmerzverzerrt aufgeben. Wie geht es Ihnen als Psychologin, wenn Sie das im Hauptabendprogramm sehen?

Schirl: Es ist für mich Missbrauch, wenn Mädchen bestraft beziehungsweise abgewählt werden, weil sie für bestimmte Sachen wie Nackt-Posings nicht zur Verfügung stehen wollen. Es kann nicht der Sinn von Sendungen sein, Mädchen zu vermitteln, über ihre Grenzen gehen zu müssen und Dinge zu tun, die für sie nicht stimmig sind. Das grenzt für mich an Prostitution.

OÖN: Sieht so aus, als hätten die TV-Sender bei der Suche nach den Top-Models zwar Makeup-Artisten, Friseure und Model-Scouts engagiert, aber auf die Psychologen vergessen?

Schirl: Mit Sicherheit. Alles, was hier gezeigt wird, widerspricht den Dingen, die wir den Kindern vermitteln wollen. Oberstes Prinzip: Kinder und Jugendliche haben immer das Recht, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Und sie sollen prüfen, welche Dinge angenehme und unangenehme Gefühle auslösen.

OÖN: Sie haben in Ihrer Studienzeit selbst als Bookerin bei einer Model-Agentur gearbeitet. Ist diese Branche wirklich so extrem hart, wie es im Fernsehen dargestellt wird?

Schirl: Es ist ein schwieriges Geschäft, aber in Wirklichkeit wird niemals mit Abwertungen und Drohungen gearbeitet. Es werden im Fernsehen ständig Situationen präsentiert, die ein professionelles Model so nie erlebt. Es gibt kaum Aufträge, bei denen Models in Spinnen oder Maden baden müssen oder auf spiegelglatten Bühnen auf High-Heels laufen müssen und sich dabei fast die Füße brechen und Dinge zu hören bekommen wie: „Du läufst wie ein Elefant.“ Das ist keine konstruktive Kritik, sondern ein destruktives Feedback. Das bringt zwar Quote, die Mädchen werden aber gekränkt und abgewertet.

OÖN: Können diese Shows Ihrer Meinung nach negative Auswirkungen auf die Zuseherinnen und Zuseher haben?

Schirl: Natürlich. Denn Mädchen definieren sich nun einmal sehr stark über ihr Aussehen. Jugendliche, die immer auf der Suche nach ihrer Identität sind, orientieren sich sehr stark an den Medien und an den Idealen, die dort vermittelt werden. In der Welt der Supermodels und Stars werden beispielsweise Schönheitsoperationen als völlig normal hingestellt. Damit wird vermittelt: Du bist nur liebenswert und erfolgreich, wenn du perfekt aussiehst.

OÖN: Können solche TV-Shows die Persönlichkeitsentwicklung wirklich beeinträchtigen?

Schirl: Wenn immerzu derartige Oberflächlichkeiten vermittelt werden, fördert das ein sehr egozentrisches Weltbild. Daher ist es günstig, einem Kind zu sagen: „Du bist okay, wie du bist. Du brauchst nicht dünner, größer, schöner und klüger sein.“