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Neues Buch von Robert Dempfer: Wozu Ausländer?

Von Klaus Buttinger   14.Mai 2011

Robert Dempfer leitet die Abteilung für Gesellschaftspolitik beim Österreichischen Roten Kreuz.

OÖN: „Österreich hat“, schreiben Sie, „ein Inländerproblem“. Wie meinen Sie das?

Dempfer: Der Satz ist sicher eine Provokation. Aber wenn man die gängigsten Vorurteile und Einstellungen gegenüber Ausländern mit Eigenschaften der Inländer vergleicht, dann muss man schon sagen, dass Vorwürfe, wie „sind keine Nettozahler in die Sozialsysteme“ eher auf Inländer zutreffen als auf Zuwanderer. Oder wenn man das Pensionsalter anschaut: Zuwanderer arbeiten grundsätzlich länger, gehen später in Pension und beziehen niedrigere Pensionen als eingesessene Österreicher.

OÖN: Welche Motivation hatten Sie, über das Thema Ausländer zu schreiben?

Dempfer: Ich bin schon längere Zeit auf der Suche nach Unterlagen gewesen, die diese klassischen Vorurteile widerlegen. Und außer einem Berg von Studien gibt es da nichts, sprich ein populärwissenschaftliches Buch, das man auch auf den Stammtisch legen kann. Deshalb habe ich es geschrieben.

OÖN: Integration verlaufe in Wirklichkeit viel erfolgreicher als es die Öffentlichkeit wahrnimmt, schreiben Sie. Tatsächlich?

Dempfer: Wenn man sich aufgrund der Studien die Gesamtheit ansieht und nicht immer von Extremen oder Einzelfällen redet, sieht man, dass die allermeisten Zuwanderer ein völlig normales Durchschnittsleben führen. Es gibt nur einen kleinen Teil, der sehr sichtbar ist. Der ist Gegenstand von Polemiken. Nur von denen ist ständig die Rede.

OÖN: Sind das die von Ihnen als „Altlasten in der Zuwanderung“ Bezeichneten? Oder wen meinen Sie konkret damit?

Dempfer: Es hat begonnen vor 50 Jahren mit der Zuwanderung von Gastarbeitern. Diese Leute hat man geholt und gedacht, sie gingen wieder zurück. Das ist nicht der Fall gewesen. Teilweise konnten sie nicht, teilweise wollten sie nicht. Man hat sie jahrzehntelang links liegen lassen. Und jetzt haben wir das Problem, dass es in der zweiten und dritten Generation, also bei den Kindern und Enkeln teilweise immer noch große Defizite gibt, was Sprache, Bildung oder Einstieg ins Berufsleben betrifft. Das sind die Altlasten, und da muss man unbedingt etwa tun.

OÖN: Gibt es eine bestimmte Personengruppe, die von Integrationsdefiziten betroffen ist?

Dempfer: Das trifft vor allen die Nachkommen der türkischstämmigen Zuwanderer, das ist ja kein Geheimnis. Zum Teil trifft es auch jene aus dem ehemaligen Jugoslawien. Hier gibt es diesen Kreislauf aus keinen bis schwachen Deutschkenntnissen, kein Schulabschluss, Arbeitslosigkeit, den man wenigstens in der dritten Generation durchbrechen muss. Bei den Älteren ist ohnehin oft Hopfen und Malz verloren, aber die Kinder darf man jetzt nicht verlieren.

OÖN: Gegenüber Muslimen gibt es viele Vorurteile. Eines lautet, sie würden über kurz oder lang das Land übernehmen aufgrund ihrer höheren Geburtenrate. Was entgegnen Sie?

Dempfer: Das stimmt nicht und ist statistisch nicht haltbar, weil sich die Geburtenraten der Muslime den Geburtenraten in der neuen Heimat, in der Aufnahmegesellschaft, anpassen. Andererseits kenne ich auch viele Familien in Österreich mit drei, vier, fünf Kindern.

OÖN: Der verbreiteten Einschätzung, Ausländer wären krimineller als Inländer, erteilen Sie ebenfalls eine Abfuhr?

Dempfer: Ja, aus zwei Gründen: Erstens: Integrierte Zuwanderer sind sogar etwas angepasster als eingesessene Österreicher. Zweitens muss man die Kriminalitätsstatistik lesen können. Da wird die Anzahl der Delikte auf die Bevölkerung umgelegt. Da ist aber auch der deutsche Universitätsdirektor drin, der auf der Skipiste jemanden niederfährt oder der holländische Tourist, der einen Autounfall hatte. Übrigens ist das Land mit der höchsten Kriminalitätsrate der Vatikan. Denn bei 18 Millionen Pilgern im Jahr kommt alles Mögliche vor, und wenn man das auf die 500 Einwohner der Vatikanstadt umlegt, ergibt das eine monströse Kriminalitätsrate.

OÖN: Sie fordern generell eine andere Haltung der Österreicher gegenüber Migranten. Wo spießt es sich im Speziellen?

Dempfer: Prinzipiell möchte ich dazu sagen: Ich verteufle nicht die Angst vor Zuwanderern. Sie ist eine menschliche Eigenschaft, die sehr alt ist. Dann aber muss man auf die nächsthöhere Etage kommen, das Hirn einschalten und rational erklären, warum diese Angst aus der Steinzeit kommt und keine Gültigkeit mehr hat.

OÖN: Was muss zur Verbesserung der Situation getan werden?

Dempfer: Es gehört im Bereich Bildung etwas getan, damit Kinder, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, in der Schule kein Problem haben. Es gehört zum Beispiel der öffentliche Dienst stärker für Menschen mit Migrationshintergrund geöffnet. Und es liegt an jedem Einzelnen, beziehungsweise an den vielen Initiativen, wo Zuwanderer und Eingesessene zusammenkommen und wirklich Vorurteile abbauen.

OÖN: Dennoch wird die Ausländerdebatte in Österreich oft aggressiv und defizitorientiert geführt. Wer ist da gefordert?

Dempfer: Da sind auch die Medien gefordert. Die Zusammensetzung der Redaktionen spiegelt nicht die Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung wider.

OÖN: Studien zeigen, dass dort, wo am wenigsten Zuwanderung passiert, die Angst davor am größten ist. Zeigt sich hier die Angst vor Privilegienverlust?

Dempfer: Das glaube ich nicht. Zum Beispiel gibt es Angst vor Jobverlust durch Ausländer nur im Segment der am niedrigsten Qualifizierten. Dort arbeiten auch in Österreich hauptsächlich Zuwanderer. So ist auch das Paradoxon erklärbar, dass der Herr Strache bei der vergangenen Gemeinderatswahl in Wien so viele Zuwanderer unter seinen Wählern gehabt hat. Denn die fühlen sich gefährdet durch weitere Zuwanderung.

OÖN: Welche politische Vorgangsweise in der Zuwanderungsdebatte müsste man anständigen Politikern raten?

Dempfer: Ich glaube, es wäre Platz für einen Politiker oder eine Politikerin, die realistisch sagt, wie die Situation ist: Nämlich nicht angenehm, aber wir können sie bewältigen. Es braucht einen Plan, der vielleicht ein paar Schmerzen verursachen wird, aber in einigen Jahren wird sich die Situation verbessert haben. Immer nur schärfere Fremdengesetze zu machen, halte ich für verkehrt. Denn wie man sieht, geht der Wähler ohnehin lieber zum Schmied als zum Schmiedl.

OÖN: Politik braucht also wieder Visionen?

Dempfer: Ja, und solche, die über fünf Jahre hinausgehen. In zehn Jahren lässt sich in der Integration sehr viel machen.

OÖN: Wie viel?

Dempfer: Wir haben ja in erster Linie kein Ausländer-, sondern ein Bildungsproblem. Wenn man jetzt im Zuge der Bildungsreform den gesamten Integrationsbereich mitberücksichtigt, wenn dort, wo nötig, zusätzlich ein muttersprachlicher Lehrer in der Klasse steht, wie das punktuell schon geschieht, dann wird das in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren einen enormen Unterschied machen. Deshalb muss man den Leuten sagen: Es geht nicht darum, dass die uns Geld kosten, sondern darum, dass sie uns Geld kosten, wenn wir sie nicht gut ausbilden. Wenn wir sie jetzt ausbilden, kommt das Geld zurück. Bildung ist eine Zukunftsinvestition; die einzige, die offensichtlich wirklich Zinsen bringt.

Zur Person

Robert Dempfer war Journalist und ist seit vielen Jahren in Österreich sowie international im sozialen Bereich tätig. Seine Arbeit kreist um die Frage, wie sich das europäische Sozialmodell unter dem Druck der Demografie und der wirtschaftlichen Globalisierung aufrecht erhalten lässt. Er leitet heute die Abteilung für Gesellschaftspolitik beim Österreichischen Roten Kreuz.
Sein Buch „Wozu Ausländer?“ – eine Chance für unsere Gesellschaft ist im Ueberreuter Verlag erschienen und kostet 19,95 Euro.

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24. April 2024