Mit 15 Jahren zur Prostitution gezwungen: "Ich rief: Ich will das nicht"

Von Gerhild Niedoba   07.Dezember 2018

Den Blick gesenkt, die Augen tränengefüllt und die Hände stets bereit, das auszudrücken, was sie nicht in Worte packen kann: So sitzt Mori (Name von der Redaktion geändert), 21, auf der Eckbank einer Linzer Wohnung und erzählt ihre Geschichte. Eine Geschichte über Verschwörung, Unterdrückung, Erpressung und Zwangsprostitution in einem Welser Nachtclub.

Bis zum Jahr 2013 hatte das Leben der Nigerianerin einen halbwegs normalen Verlauf genommen. Die damals 14-Jährige hatte mit ihren Eltern und den drei Geschwistern in einem kleinen Dorf in ärmlichen Verhältnissen gelebt. Weil die Geldmittel ohnehin knapp waren und die Zukunftsperspektiven nicht gerade rosig, hatte Mori nach sechs Jahren ihre Schullaufbahn beendet.

Und dann trat Joy, eine Bekannte ihrer Oma, in ihr Leben. Damals wusste Mori noch nicht, dass dadurch ihr Schicksal als Opfer von Menschenhandel besiegelt wurde. Die junge Frau erzählte ihr vom schönen Leben in Europa. "Sie versprach meinen Eltern, mir eine gute Schulbildung ermöglichen zu können", erinnert sich die heute 21-Jährige. "Ich war froh und freute mich auf das Leben in Europa."

Daher hinterfragte Mori auch nicht, warum Joy sie einem Mann aus Ghana "übergab". Und sie dieser zu einem "Voodoo Priester" brachte, bei dem sie einen Schwur ablegen musste: "Er sagte, ich dürfe ab jetzt niemandem mehr erzählen, was nun geschieht. Wenn doch, würde mir und meiner Familie ‘etwas Schlimmes’ passieren."

Durch dieses Ritual komplett eingeschüchtert, nahm sie wortlos den gefälschten Pass an, den ihr der Fremde in die Hand drückte. Mori hieß nun plötzlich "Amari" und war laut dem Dokument nicht mehr 14, sondern 18 Jahre alt.

Diese falschen Daten wurden der Afrikanerin bereits bei ihrer Einreise nach Österreich zum Verhängnis. Mori wurde am Flughafen angehalten und ins Erstaufnahmezentrum Traiskirchen gebracht. Joy, die damals bereits in Norwegen lebte, erinnerte sie telefonisch an ihren abgelegten Schwur und instruierte sie, was sie den Beamten erzählen sollte. Wochen vergingen, als Joy die inzwischen 15-Jährige mittels falscher Papiere nach Norwegen holte.

Völlig ahnungslos sei sie gewesen, sagt Mori, als Joy sie dann mit auf die Straße nahm und ihr zeigte, wie sie künftig Kunden anlocken müsse. "Nein! Ich kann das nicht, ich will heim", habe sie gerufen. Und dennoch blieb ihr keine andere Wahl. "Ich musste ihr ja Miete und Geld fürs Essen zahlen." Joy spielte noch eine andere Karte aus: "Sie sagte, ich müsse 50.000 Kronen für den Flug zurückzahlen." Als ein Polizist Mori Monate später aufgriff, wurde sie nach Österreich zurückgeschickt. Erneut acht Monate im Lager Traiskirchen folgten, ehe sie 2014 über eine Afrikanerin nach Wels kam. Da aufgrund ihrer falschen Dokumente aber kein geregeltes Leben möglich war, wurde Mori erneut zur Prostitution in einem Welser Nachtclub gezwungen. "Diese zwei Jahre waren die Hölle. Die Männer waren oft sehr brutal, ich wurde geschlagen." Um dies zu ertragen, habe sie Drogen und Alkohol konsumiert. "Ich war müde vom Leben, wollte nur heim. Ich weinte viel, sah keinen Ausweg."

Weihnachtswunder

Erst Ende 2016 schaffte die damals 19-Jährige über die Linzer Ordensfrau Maria Schlackl den Ausstieg. Die 66-Jährige brachte sie in eine Wiener Schutzwohnung. Da Mori inzwischen offiziell als Menschenhandelopfer anerkannt wurde, dürfte sie auch eine durch das AMS vermittelte Stelle in einer Wiener Konditorei annehmen. "Wenn das klappt, wäre das wie ein Weihnachtswunder", sagen die beiden Frauen.

70 Jahre „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“

Mit Hilfe von Prävention, Bildungsarbeit und vielen Gesprächen kämpft die Linzer Ordensfrau Maria Schlackl seit 2012 zunächst in Wien und nun in Oberösterreich gegen Menschenhandel. Dass hier noch viel zu tun ist, musste die 66-jährige Initiatorin von „Aktiv gegen Menschenhandel – aktiv für Menschenwürde in Oberösterreich“ schon oft erfahren. „Auch in der Politik gibt es noch Informationsbedarf“, sagt sie. Etwa, dass die Opfer nach wie vor mit vielen bürokratischen Hürden zu kämpfen haben, wie Schlackl sagt.

Viele Opfer würden daher oft keinen anderen Ausweg sehen, als wieder in die Prostitution zurückzugehen.
Dennoch habe sie „das Gefühl, dass sich in der Zivilgesellschaft etwas bewegt und dass den Leuten bewusst ist, dass Menschenhandel auch bei uns ein Thema ist“, sagte die Ordensfrau.