Kurz vor 110er: "Ich bin zufrieden!"

Von René Laglstorfer   26.April 2018

Der Spruch – "Man ist immer nur so alt, wie man sich fühlt" – könnte auf niemanden besser zutreffen als auf Anna Wiesmayr. "Ich bin ja erst 80", sagte die Linzerin an ihrem 109. Geburtstag vergangenes Jahr zu ihrem hohen Besuch. Gekommen waren Landeshauptmann Thomas Stelzer und der Linzer Bürgermeister Klaus Luger. "Ich freue mich, dass Sie mich so ehren."

Am 23. Juli werden die Gratulanten wieder Schlange stehen – dann wird Wiesmayr 110 Jahre alt. Das Besondere: Seit kurzem ist die 1908 als Anna Waldhör geborene Linzerin der älteste Mensch Österreichs. Denn die bisherige Rekordhalterin Anna Medwenitsch starb im April mit 111 Jahren im niederösterreichischen Bruck/Leitha, wie die OÖN berichteten.

Eine Liebeserklärung an Andi

Obwohl Wiesmayr schlecht sieht, erkennt sie sofort ihren Sohn "Rudi" und küsst seine Hand. Ihr Händedruck ist fest und ihre Augen strahlen. Als sich der OÖN-Fotograf Volker Weihbold nach getaner Arbeit ehrfurchtsvoll vor Wiesmayr verneigt, streckt sie ihre Arme nach ihm aus und die beiden umarmen sich wie alte Bekannte. "Mich berührt es, dass meine Großmutter noch immer so ein herzlicher Mensch ist und die Nähe ihrer Mitmenschen sucht", sagt Wiesmayrs Enkelin Sonja.

Der "Herzensmensch" der ältesten Frau Österreichs ist Pfleger Andi. Ihm flüstert sie manchmal "Ich liebe dich" zu. Als Geburtstagsgeschenk lässt Andi ihr jedes Jahr ein T-Shirt mit ihrem Geburtsjahr 1908 und dem oberösterreichischen und Linzer Wappen bedrucken. "Heuer wird wahrscheinlich 110 oben stehen", sagt Sohn Rudi.

Da seine Mutter fast nichts mehr hören kann, dient ein weißes Blatt Papier und ein grüner Filzstift als Kommunikationshilfe. Ihr groß aufgemaltes, bald erreichtes Alter "110" quittiert sie mit einem freundlichen "Danke". Angestrengt versucht Wiesmayr, die Zahlen zu entziffern, bis sie plötzlich langsam, aber deutlich "Hundertzehn" sagt. Sohn Rudi zeigt auf seine Mutter. Als sie ihren bevorstehenden 110. Geburtstag realisiert, erhebt sich ihre Stimme zu einem freudigen "Uhh".

"Ich bin doch noch nicht so alt, dass ich schon einen Haus-Notruf brauche", hatte Wiesmayr mit knapp 100 Jahren gesagt, als sie noch allein in ihrem Haus in der Linzer Dauphinestraße lebte. Dann kam die Nacht, in der sie nach einem Sturz mit gebrochenem Oberschenkel im Stiegenhaus lag. "Ein Nachbar hatte mich angerufen: ‘Bei deiner Mama stimmt etwas nicht, da sind immer noch die Jalousien herunten’", sagt Sohn Rudi. Seither lebt seine Mutter im Heim.

"Betthupferl" und "Siesta"

Als Wiesmayrs jüngere Schwester vor einigen Jahren im Alter von 98 starb, wollten ihr ihre Verwandten nicht das Begräbnis zumuten. "Aber sie hat es sich nicht nehmen lassen, sich von ihrer Schwester zu verabschieden", sagt Enkelin Sonja. "Plötzlich sah ich, wie der Samariterbund meine Mama aus dem Auto lud. Hat sie sich doch glatt den Transport zum Stadtfriedhof St. Martin und eine rote Rose selbst organisiert – mit über 100 Jahren", erzählt Sohn Rudi.

Heute noch nimmt Wiesmayr an den Aktivitäten im Heim teil und drückt ihre Bedürfnisse und Wünsche aus, zeigt beispielsweise zur Tür, wenn sie ins Zimmer will. Als "Betthupferl" hat sie ein Stück Schokolade gern. Wach wird die älteste Frau Österreichs als erste ihres Stockwerkes gegen fünf Uhr früh und steht trotz ihres hohen Alters alleine aus dem Bett auf. Dann gibt es Kaffee, eine aufgeschnittene Semmel mit Butter und Marmelade, die sie selbständig verzehrt. Nach dem Mittagessen hält sie ein bis zwei Stunden "Siesta". Bis zum Abendessen "g’schaftelt’ sie mit anderen Heimbewohnern.

Was ist nun das Geheimnis von Wiesmayrs hohem Alter? Enkelin Sonja vermutet: "Die Gene. Und sie hat nie Stress aufkommen lassen."