Kein Gipfel ohne das Quantum Glück

Von Gabriel Egger   09.Juni 2017

Minus 30 Grad, kein Wölkchen am Himmel. Es ist kurz vor sechs Uhr abends, am 9. Juni 1957. Die Sonne geht langsam unter, der Berg wirft seinen Schatten 200 Kilometer weit Richtung Tibet. Der gebürtige Villacher Kurt Diemberger steht gemeinsam mit Hermann Buhl als erster Mensch auf dem Gipfel des 8051 Meter hohen Broad Peak im Himalaya. 60 Jahre danach spricht er im OÖN-Interview in seinem Haus bei Bologna über das Erlebnis "8000", die Schnelligkeit und gefährliche Vorbilder.

 

OÖNachrichten: Wussten Sie überhaupt, worauf Sie sich da einlassen, im Frühjahr 1957?

Kurt Diemberger: Mein Gott, ich war ein junger Bursch und hatte einen Traum. Der Buhl Hermann hat mich eingeladen. Ich hab’ gar nicht lange überlegt. Die hohen Berge kannte ich ja noch nicht.

Beschreiben Sie den Moment, als Sie den höchsten Punkt erreichten.

Als ich auf dem Gipfel stand, ging gerade die Sonne unter. Die Strahlen haben alles beleuchtet. Im Gegenlicht war der K2, an meiner Seite mein Freund Hermann. Wir haben uns die Hand gereicht. Einer der größten Momente in meinem Bergsteigerleben.

Das ist 60 Jahre her. Vieles hat sich geändert. Woran denken Sie jetzt, wenn Sie über die höchsten Berge der Welt sprechen sollen?

Das kann man überhaupt nicht mehr vergleichen. Früher haben wir auf den Höhenmesser geklopft, um zu sehen, wie das Wetter wird. Jetzt ruft man mit dem Satellitentelefon in Innsbruck an und fragt, wann der beste Tag für den Gipfel ist. Zu viele Menschen sind jetzt auf den Normalrouten auf dem Mount Everest unterwegs. Dasselbe bahnt sich beim K2 an. Das 8000er-Sammeln wird sich totlaufen. Die entferntesten Gipfel, die weder Namen noch Route haben, das wird die Aufgabe des Alpinismus werden.

Der Trend geht hin zur Schnelligkeit. Ein Zeichen der Zeit?

Für die Rennerei habe ich nichts über. Es gibt Profis, wie den Ueli Steck (Der Schweizer starb im April im Himalaya, Anm.), die haben das gekonnt. Er war ein hervorragender Einzelgänger. Sein Tod war ein großes Pech, ein blöder Unfall. Wenn andere aber die Rekordläufe nachmachen, wird es schnell gefährlich. Die Vorbilder werden allgemein gefährlicher. Ich sage immer: Wer langsam geht, geht gut.

Sie schreiben gerade an einem Buch mit dem Titel "Das Quantum Glück". Braucht man das zum Bergsteigen?

Auf jeden Fall. Aber nicht nur das Glück, in keine Lawine zu geraten. Auch das Glück in der Seele, um sein Ziel weiterhin mit Freude anstreben zu können.

Sie haben zwei Ihrer engsten Freunde in den Bergen verloren. Konnten Sie Ihre Ziele da weiterhin mit Freude anstreben?

Schauen Sie, statistisch stirbt auf den hohen Bergen jeder Zwölfte. Wir wissen das alle. Sie werden kaum einen finden, der nach einer Tragödie mit dem Bergsteigen aufhört. Meine verstorbenen Seilpartner sind in Gedanken immer noch meine Gefährten. Im Herz habe ich sie nie verloren.

Sie sind also auch mit 85 Jahren noch in den Bergen unterwegs?

Natürlich. Ich werde so lange unterwegs sein, wie mich meine Füße tragen können. Ich wandere halt jetzt nur noch, erfreue mich an den Blumen und spaziere unter den Bergen, auf denen ich schon einmal gestanden bin. Da schau’ ich rauf auf das Matterhorn oder den Montblanc und erlebe alles noch einmal. Statt dem Eispickel habe ich jetzt die Skistöcke. Eine Freude ist es trotzdem noch.

 

Zur Person: Kurt Diemberger ist im Alpinismus eine lebende Legende. Der gebürtige Villacher ist einer von zwei Menschen, die zwei Achttausender erstbestiegen: 1957 den 8051 Meter hohen Broad Peak und 1960 den in Nepal gelegenen 8167-Meter-Riesen Dhaulagiri.

Diemberger, der im März 85 Jahre alt wurde, studierte in Wien Betriebswirtschaft und arbeitete fünf Jahre lang als Handelslehrer in Salzburg.

Er hatte zwischenzeitlich die Bergführerprüfung abgelegt und wurde Ende der 60er Jahre zum Profialpinisten. 1981 erhielt er den „Emmy“ für eine Dokumentation über den Mount Everest. Er lebt mit seiner Frau in einem Haus nahe Bologna.