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Immer der Grenze nach

Von Roswitha Fitzinger   12.September 2015

Gertrude Reinisch kennt sich aus mit Grenzen. 1987 radelte die Steyrerin mit dem Mountainbike über die bis zu 6000 Meter hohen Transhimalaya-Pässe und wieder zurück – 3000 Kilometer ohne Begleitfahrzeug, dafür mit Gepäck und Zelt. Eine Erfahrung, die ihr ihre körperlichen Grenzen aufzeigte. Nicht minder herausfordernd: die erste österreichische Frauenexpedition auf den 8013 Meter hohen Shisha Pangma in Tibet, die die heute 63-Jährige 1994 leitete. Eine Expedition, der auch Christine Eberl angehörte, weiters Vera Marie Lindenberg, Anneliese Scharbl und Marion Feik. Es war die Linzerin Edith Bolda, die als erste Österreicherin einen Achttausender bestieg. Außer ihr standen drei tibetanische Bergsteigerinnen und eine polnische Alpinistin auf dem Gipfel. Das schlechte Wetter hatte weitere Gipfelsiege verhindert.

Erste Grenzgänger-Expedition

20 Jahre später wollten die Alpinistinnen wieder gemeinsam hoch hinaus. Nur welches Ziel sollte es sein, welches Abenteuer zum Jubiläum anpacken? Da die ursprüngliche Idee, einen Berg in China zu besteigen als zu teuer und wetterbedingt als zu unsicher verworfen wurde, bedurfte es einer anderen Idee. Ein weiteres Jubiläum kam zu Hilfe. "Damals jährte sich die Öffnung des Eisernen Vorhangs zum 25. Mal", erinnert sich die Alpinistin Reinisch. Was lag näher, als entlang Österreichs Grenzen zu wandern, jetzt wo im Norden des Landes die Stacheldrähte niedergerissen waren? Die Umrundung Österreichs als eine etwas andere Grenzerfahrung – diese Idee gefiel allen. Zudem war es ein Unterfangen, auf das sich, wie sich herausstellte, in dieser Form noch niemand zuvor eingelassen hatte.

"Von Grenzstein zu Grenzstein, das war die Überlegung", erinnert sich Reinisch. So weit die Theorie. Die Praxis hielt jede Menge Herausforderungen bereit. Die erste war organisatorischer Natur. "Da es keine zusammenhängenden Rad- oder Wanderwege rund um Österreich gibt, war den Grenzsteigen zu folgen oft nicht möglich", sagt die Steyrerin. Auch wollten die Frauen möglichst keine Spuren in der unberührten Natur hinterlassen und so wanderten, kletterten und radelten sie auf den grenznächsten Routen. Aber auch diese galt es häufig erst einmal zu finden. "Manchmal waren sie zugewachsen, ein andermal kaum zu finden. Ohne Navi wäre das nicht zu schaffen gewesen", sagt sie.

Und dann war da noch das Wetter. Kälte, Nebel und Schneetreiben in den Bergen galt es zu trotzen. Vor allem die Gletscherüberquerung zu zweit erwies sich als grenzwertige Erfahrung. "Der Nebel war so dicht, dass wir nur bis zu den Schuhspitzen sahen. Das Schneetreiben machte es unmöglich, eventuelle Gletscherspalten zu sehen." Am Ende ging glücklicherweise alles gut. Auch wenn die beiden Alpinistinnen die eigenen Grenzen nie überschreiten mussten, hatte es die Touren in sich. "Wir sind 19 Tage ohne einen Rasttag geradelt, einmal mussten wir unsere Bikes sogar 40 Kilometer schieben und tragen, weil es die Strecke nicht anders zugelassen hat", erinnert sich Reinisch. Auch Tagesetappen mit Fußmärschen von 30 Kilometern und 2000 Höhenmetern waren darunter. "Die Herausforderung bestand vor allem darin, ob wir die vier Monate in einem Stück durchhalten." Sie haben durchgehalten. Aufgrund des schlechten Wetters und der dadurch erzwungenen Umwege fand sich das Team allerdings Ende September am Fuße der Zugspitze und nicht an ihrem Ausgangspunkt in Salzburg wieder. Auch der Urlaub war inzwischen aufgebraucht und so beschlossen die Freundinnen, ein Jahr darauf ihre Wanderung fortzusetzen und zu beenden.

Begleiter und Berater

Aber auch der heurige Sommer hatte es in sich: Wie vielen Menschen machte auch den Grenzgängerinnen die Hitze zu schaffen. "Schon auf dem Parkplatz hatte es 37 Grad. Beim Aufstieg habe ich mich gefühlt wie auf einem Siebentausender", berichtet die Steyrer Alpinistin. Ein hitzebedingter Grenzgang, der den beiden Bergsteigerinnen rückblickend mehr zusetzte als die Kälte im Jahr davor.

Da tut es gut, wenn man Unterstützer und Begleiter hat. Dem Grenzgänger-Team gehörten insgesamt mehr als 50 Frauen und Männer im Alter zwischen 14 und 80 Jahren an. Aus allen Bundesländern und sogar aus einigen Nachbarstaaten kamen sie angereist, einige mit langjähriger Alpinerfahrung. Sie unterstützen und begleiteten die beiden Frauen etappenweise etwa zu Pferde, auf dem Rad oder als Bootteams auf den Grenzflüssen. Darunter befanden sich auch die ehemaligen Kameradinnen der Frauenexpedition, die entweder mitmarschierten oder als Begleitung für die Quartiersuche zuständig waren. Auch auf einen kleinen Beraterstab konnten Reinisch und Eberl zurückgreifen: Extrembergsteiger und Mount-Everest-Bezwinger Peter Habeler stand mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum ging, in Tirol den passenden Wanderweg zu finden. Charly Gabl war nicht nur der Meteorologe des Vertrauens von Österreichs erfolgreichster Alpinistin Gerlinde Kaltenbrunner, sondern auch der der beiden Grenzgängerinnen. Und darüber hinaus begleitete "der Charly" die beiden auch auf die 2965 Meter hohe Schesaplana im Grenzgebiet von Vorarlberg und der Schweiz.

Am 143. Tag schließlich waren mit dem Hochthron in Berchtesgaden und dem Untersberg in Salzburg auch die letzten Grenzberge bezwungen, der Kreis schloss sich. Der Blick wanderte auf das Kleine Deutsche Eck und all die bekannten Berge, auf die sie noch vor wenigen Tagen gestanden hatten. Ziemlich genau einen Monat liegt das zurück. "Man begreift zunächst gar nicht, dass man es geschafft hat", sagt Reinisch. Ein Grenzgang, der in Zahlen ausgedrückt, einer Achttausender-Expedition allemal das Wasser reichen kann: 154.000 Höhenmeter und eine Distanz von 3800 Kilometern (Strecke Wien–Moskau–-Wien) hat das Grenzgänger-Team zurückgelegt.

Was bleibt

Rückblickend zählten die einsamen Momente und die abwechslungsreichen Landschaften zu den schönsten Eindrücken. Aber auch die vielen Begegnungen bleiben unvergessen – mit den Begleitern, aber auch den Menschen im Grenzgebiet: wie etwa dem Hüttenwirt der Jamtalhütte in der Silvretta, der sie schon erwartete, oder die Menschen am Vernagt-Stausee, die von ihrem Schicksal erzählten als ihr Heimatdorf geflutet wurde. Mit dem Vater der kletternden "Huberbuam" führten sie oberhalb des Königssees eine heftige, aber vor allem äußerst unterhaltsame Diskussion über das Gewicht ihrer Rucksäcke. Unvergessen auch jener Busfahrer, der ihnen in einem einspurigen, unbeleuchteten Tunnel Geleitschutz gab, so dass sie ungehindert und vor allem ungefährdet durchradeln konnten. Menschen, Eindrücke, Landschaften, die für immer haften bleiben – ganz ohne Achttausender.

Buch/Vorträge/Infos: Die gesamte Runde der Grenzgängerinnen gibt es auf www.grenzgaenge.com zu sehen. Ein gleichnamiges Buch (Bildband samt Tourenheft zum Herausnehmen) wird im Herbst 2016 erscheinen. Die beiden Alpinistinnen stehen auch für Multivision-Vorträge zur Verfügung.

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