"Führerstadt" Linz: Hirngespinst aus Gips

Von Martin Dunst   09.November 2013

Berlin. Februar 1945. Das "Tausendjährige Reich" ist dem Untergang geweiht. Die Rote Armee nähert sich unaufhaltsam der Stadt. Unter der Erde, in einem düsteren Bunker, flüchtet Adolf Hitler vor der Realität. Stundenlang sitzt er vornübergebeugt vor einem Gipsmodell: Prachtstraße, endlose Arkaden, griechische Säulen, im Zentrum des Kulturviertels an der Blumau das "Führermuseum". Wie auf ein verheißungsvolles Land blickt Hitler auf sein Linz, wie er es sich erträumt hat. Doch das Modell seiner Architekten ist ein Trugbild, eine Illusion, an die sich der Diktator bis zum Ende klammert.

Mit blutbefleckten Steinen aus dem Konzentrationslager Mauthausen sollte sich die barocke Kleinstadt, die Linz noch 1938 war, bis ins Jahr 1950 in eine Kultur- und Industriemetropole verwandeln. Hitler hatte die Stadt seiner Jugend zur fünften "Führerstadt" auserkoren – neben Berlin, Hamburg, München und Nürnberg.

Das "Führermuseum" sollte in einem Atemzug mit dem Louvre in Paris, den Uffizien in Florenz oder der Eremitage in Sankt Petersburg genannt werden, Werke "Alter Meister" vom 15. bis zum 19. Jahrhundert beherbergen.

Weltstadt an der Donau

Linz als Weltstadt an der Donau, ein "deutsches Budapest", wie es Hitler nannte. Es wäre schließlich "eine unverzeihliche Parodie, wenn die Nachfahren Attilas und seiner Hunnen die schönste Stadt am Nibelungenstrom besäßen", sagte Hitler einst in Anspielung auf Budapest bei Tisch.

"Das geplante ,Führermuseum‘ vereint gleich zwei irrationale Ebenen: Hitlers Faible für Kunst und seine Erhöhung von Linz", sagt die Historikerin Birgit Kirchmayr. Sie lehrt an der Linzer Universität und gestaltete im Kulturhauptstadtjahr 2009 die Ausstellung mit dem Titel "Kulturhauptstadt des Führers".

Neun Jahre verbrachte Hitler in der oberösterreichischen Stadt. Hier scheiterte er im Realgymnasium, hier verlor er im Alter von 17 Jahren seine Mutter. In Linz wollte Hitler nach dem Krieg in Ruhe alt werden. Bereits als 15-Jähriger entwarf Hitler im Kopf das neue Gesicht, das er seiner Lieblingsstadt später einmal geben wollte. "Auch ohne die nie verwirklichten Prunkbauten und Prachtstraßen hat Linz eine starke Prägung aus der NS-Zeit, ob einem das nun gefällt oder nicht", sagt Kirchmayr. Man müsse nur die Hermann-Göring-Werke (heute die voestalpine) anschauen, den damit verbundenen Bevölkerungszuwachs und Wohnbau. "Linz hat sich während der Nazi-Herrschaft stärker verändert als jede andere Stadt in Österreich." In Linz sollten nicht nur die Fabriksschlote rauchen. Hier sollte auch Bruckner in einem nach ihm benannten Opernhaus gehuldigt, im "Adolf-Hitler-Museum" sollten die schönsten Gemälde von Dürer, Rembrandt, Vermeer oder Spitzweg bewundert werden.

Während Hitlers Architekten gigantische Repräsentationsbauten entwarfen, kauften und beschlagnahmten seine Kunstsachverständigen Bilder, Skulpturen, Kirchenschätze und alte Möbel. Für diesen nie da gewesenen (Raub-)Kunstbeutezug, den "Sonderauftrag Linz", standen schier unbegrenzte Mittel zur Verfügung. Hitler richtete einen eigenen Kulturfonds ein, der sich unter anderem aus dem Verkauf von Sonderbriefmarken mit seinem Konterfei und den Erlösen aus dem abstrusen Pamphlet "Mein Kampf" speiste. "Noch 1945, als längst alles verloren war, gaben Hitlers Kunsthändler irrational hohe Millionenbeträge für Bilder aus", sagt Kirchmayr. Diese Manie des Führers stieß nicht nur auf Gegenliebe. "Linz kostet uns viel Geld", hat Propagandaminister Joseph Goebbels einmal geäußert. Reichsmarschall Hermann Göring hortete selbst Kunst in großem Stil und kam seinem Chef mehr als einmal in die Quere.

Hitlers rechte Hand für den "Sonderauftrag Linz" war der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Hans Posse aus Dresden. Ihm folgte der Bilderexperte Hermann Voss nach.

Waggons voller Kunstschätze

Ein sogenannter "Führervorbehalt" sicherte Posse im angeschlossenen Österreich das Zugriffsrecht auf beschlagnahmte jüdische Sammlungen der Familien Rothschild, Gutmann oder Bondy. Im Verlauf des Krieges wurden Kunstschätze waggonweise aus den besetzten Gebieten ins Dritte Reich gekarrt, von Polen über die Niederlande bis Frankreich. Nach Schätzungen rafften die Nazis insgesamt 16 Millionen Kunstgegenstände zusammen, allein für den "Sonderauftrag Linz" wurden zwischen 4000 und 6000 Gemälde gekauft und beschlagnahmt. Dieser teils geraubte Linzer Kunstschatz hätte heute einen ungefähren Wert von fünf Milliarden Euro.

Was die Nazis als Kunst schätzten und welche Bilder als "entartete Kunst" verteufelt wurden, bestimmte Hitler persönlich. Er mochte die Romantik sowie Münchner und Wiener Malerei des 19. Jahrhunderts. Der gebürtige Braunauer sah sich obendrein selbst als begnadeten Maler und Architekten. "Die Nationalsozialisten haben immer klar definiert, wie es nicht sein soll. Aber was genau NS-Kunst ist, das blieb man schuldig", sagt Historikerin Kirchmayr. Verhasst waren Hitler alle modernen "Ismen" – Kubismus, Impressionismus, Expressionismus.

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Kunsthändler angezogen

Von den vollen Geldtaschen von Posse und Voss fühlten sich Kunsthändler angezogen. Viele wollten ein Stück vom "Sonderauftrag-Kuchen". "Entartete Kunst" wurde über den Umschlagplatz Schweiz ins Ausland verkauft, alte Meister wiederum mit diesen Erlösen erworben. Im Dunstkreis von Voss taucht auch immer wieder der Name Gurlitt auf.

Bis zu seinem Ende ließ Linz Hitler nicht los. In seinem letzten Schriftstück, einem privaten Testament, tat er kund, dass er all die Bilder nicht für sich, sondern für die Linzer Galerie gesammelt habe. Er wünsche, dass die Pläne für seine Lieblingsstadt in die Tat umgesetzt würden. Bekanntlich ist das bis auf die Nibelungenbrücke nicht geschehen. "Das Führermuseum" existierte nur als Gipsmodell. Seine Bestände wurden bis Kriegsende in einem Stollen in Altaussee aufbewahrt. Die Rückführung der Kunstgüter ist noch nicht abgeschlossen. Das Erbe des "Sonderauftrags Linz" beschäftigt Museen, den Kunsthandel, Historiker und Politiker bis heute.