„Fremdbestimmung war nicht ihres“

Von Von Helmut Atteneder   20.Juni 2009

In einem Aktenordner hat Veronika Pitschmann alles gesammelt, was ihr nach dem Tod ihrer Tochter untergekommen ist oder wichtig war. Zeitungsberichte, Beileidswünsche, Urkundenkram, Handnotizen. Von ihren Gesprächen mit der Polizei, mit der Staatsanwaltschaft, mit dem Pathologen.

Für sie alle ist klar, dass Pitschmanns Tochter irgendwann nach der Pressekonferenz am 12. Mai ins Auto gestiegen und in Richtung Stausee Ottenstein (Niederösterreich) gefahren ist. Für sie ist auch klar, dass sie sich dort einen Anorak angezogen, einen Rucksack – gefüllt mit 18 Kilogramm Steinen – übergestreift hat und dann ins Wasser gegangen ist. „Ich glaube, ich muss diese Tatsache akzeptieren. Wenn ihr jemand Gewalt angetan hätte, wäre es noch schlimmer.“ Barbara Pitschmann hinterlässt einen 13-jährigen Sohn.

N.S. Die Subversiv-Messe wurde ein großer Erfolg.

OÖN: Frau Pitschmann, am 12. Mai ist Ihre Tochter spurlos verschwunden. Was war Ihr erster Gedanke?

Pitschmann: Sie war bei der Pressekonferenz vor Nervosität fast aufgelöst. Danach gingen alle wieder an die Arbeit – auch meine drei anderen Kinder, die bei diesem Projekt mitgeholfen haben. Auf der großen To-Do-Liste stand: Barbara frei. Zunächst dachten alle, dass ihr Verschwinden Teil der Performance ist. Einen Tag später hat mich meine zweite Tochter vom Verschwinden informiert. Mir wurde unendlich bange.

OÖN: Neun Tage später wurde Ihre Tochter tot gefunden. Können Sie diesen Schmerz beschreiben?

Pitschmann: Ich war die ganzen Tage über sehr traurig... Ja... Es hat sich gesteigert. Bis zum Christi-Himmelfahrts-Tag, da haben sie sie gefunden. Ich habe den Kriminalbeamten angerufen und gefragt: „Gibt es etwas Neues?“ Darauf er: „Gut, dann kann ich es ihnen gleich sagen.“ Brutal, brühwarm und alle Details. Ich habe mich hinsetzen müssen. Wir waren dann alle unter Schock. Wir konnten gar nicht weinen. Dann kam ein Grauschleier. Er liegt über unserer Welt.

OÖN: Wie sagt man einem 13-Jährigen, dass seine Mutter nie wieder kommt?

Pitschmann: Wir haben es ihm drei Tage lang verheimlicht. Er war so unendlich brav in dieser Zeit. Er hat es gespürt.

OÖN: Ist der Bub für Sie eine Hoffnung, eine Stütze, dass in ihm Ihre Tochter weiterlebt?

Pitschmann: Freilich. Sie hat ja so viel investiert in ihn. Er ist so ein liebenswerter Mensch.

OÖN: Haben Sie nie einen Verdacht, eine Wahrnehmung, einen Nebensatz, eine Wesensänderung an Ihrer Tochter bemerkt?

Pitschmann: Barbara war ein sehr selbstbestimmter Mensch. Fremdbestimmung war nicht ihres. Ich denke mir, sie hat ihr humanistisches Recht auf Selbstbestimmung wahrgenommen. Ich beende mein Leben, wenn ich es nicht mehr leben kann. Auf der anderen Seite denke ich, das stimmt ja nicht, das ist nicht sie. Dass sie ihr Kind verlässt.

OÖN: Hatten Sie nach dem Tod das Gefühl, dass Sie Ihr Kind womöglich nie richtig gekannt haben?

Pitschmann: Man macht sich Vorwürfe, dass man etwas falsch gemacht hat, dass es so hat kommen müssen. Sie war eine wilde Biene. Wild und subversiv. Dass sie so ohne ein Wort geht, das begreife ich noch nicht.

OÖN: Wut?

Pitschmann: Dieses Verlassen-worden-Sein tut mir am meisten weh. Wenn dich jemand verlässt, hast du keine Wut. Ein Stück Herz ist mir herausgerissen. Andererseits: Wir hatten sie 32 Jahre. Unheimlich turbulente Jahre. Künstler, kreative Menschen, haben eine andere Sicht des Lebens. Sie war kreativ und sehr kritisch. Wir haben auch viel gefightet miteinander. Weil ich manches nicht verstanden habe, in meinem bürgerlichen Denken. Sie hat uns auch ein Stück weit angeschoben.

OÖN: Was hätten Sie Ihrer Tochter gerne noch gesagt?

Pitschmann: Du bist immer noch bei uns.