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Ein Kronzeuge wider das Vergessen

Von Von Alfons Krieglsteiner   21.November 2009

Auch wenn er darauf keinen besonderen Wert legt: Seit 1980, seit dem Erscheinen seines Buches „Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen“, darf sich der heute 95-Jährige „Hofrat“ nennen. In den Jahrzehnten davor hat man ihm immer wieder Ehrungen und Orden angetragen, doch jedes Mal hat er abgelehnt, „weil ich sie oft aus den Händen von Leuten hätte entgegennehmen müssen, die Hitler gedient hatten und unbeschadet davongekommen waren!“

Geboren wird Hans Marsálek am 19. Juli 1914 in Wien. Der Vater ist Baumeister, die Mutter arbeitet als Bedienerin, beide stammen aus Böhmen. Mit 20 tritt er der Arbeiterjugend bei: „Da habe ich Solidarität gelernt!“ In Hernals gründet er den ersten Arbeiterturnverein, lebt nach dem Krebstod des Vaters mit Mutter und Schwester in Brigittenau. Als er im Mai 1938 zur Infanterie der Wehrmacht einrücken soll, flieht er mit einer Handvoll sozialdemokratischer Funktionäre nach Prag.

Dort ist Marsálek Buchhalter eines österreichischen Verlages, für den er nach seiner illegalen Rückkehr nach Wien als „Hilfsredakteur“ Inserate bearbeitet und sich dem Widerstand gegen das NS-Regime anschließt. Im Oktober 1941 wird er in Prag wegen angeblicher Verbindung zum Zentralkomitee der tschechischen Kommunisten verhaftet und nach monatelanger Haft in Wien im Auftrag der Gestapo am 29. September 1942 ins KZ Mauthausen überstellt.

„Privilegierter Sklave“

„In den ersten Wochen war ich dem Holzfällerkommando zugeteilt, war dann im Steinbruch Wiener Graben.“ Weil er sich als ausgebildeter Schriftsetzer gut aufs Zeichnen und Schreiben versteht, kommt er in der Schreibstube des Lagers unter, fertigt Karteikarten an und avanciert im Mai 1944 zum Lagerschreiber, der die Namen der Häftlinge ins „Journalbuch“ eintragen muss.

„In dieser Funktion war ich ein privilegierter Sklave“, sagt Marsálek. Kurz vor seiner Bestellung lässt er sich ins Innenfutter seiner Häftlingsjacke eine Zyankali-Kapsel einnähen. „Damit hätte ich mich selbst getötet, wenn sie mich bei einem Verstoß gegen die Lagervorschriften erwischt hätten!“

Marsálek organisiert Sabotageakte und Häftlingsverlegungen. Als im August 1944 hundert jüdische Kinder aus dem Ghetto Plaszow bei Krakau nach Mauthausen kommen, rettet er als Lagerschreiber vielen das Leben, indem er sie ein paar Jahre älter macht. Sie werden zum Erdäpfelschälen in die Lagerküche abkommandiert und entgehen der sofortigen Ermordung in der Gaskammer.

In der Schreibstube wird er Augen- und Ohrenzeuge entsetzlicher Gräueltaten der SS-Kommandanten, allen voran die Lagerleiter Franz Ziereis und Georg Bachmayer. Häftlingen, die Briefe heraus zu schmuggeln versuchen, werden im Bunker vor ihrer Ermordung die Hoden zertrümmert, ergriffene Flüchtige werden auf dem Appellplatz gehenkt.

In den Tagen vor der Befreiung riskiert Marsálek ein letztes Mal sein Leben. Mit einem nachgefertigten Schlüssel holt er jeden Abend zur Liquidierung vorgesehene Kranke aus dem Krankenlager, nachdem er zuvor falsche Häftlingsnummern ins Journalbuch eingetragen hat.

Der Albtraum ist vorbei

Am 3. Mai 1945 zieht die SS ab, überlässt die Bewachung Einheiten der Wiener Feuerwehr. Zwei Tage später trifft der Schweizer Louis Häfliger vom Roten Kreuz mit einem US-Panzerfahrer ein, am 7. Mai folgen reguläre US-Einheiten: Der Albtraum ist vorbei.

Nach der Befreiung organisiert Marsálek Versorgung und Abtransport der Häftlinge in ihre Heimatländer, wird Mitbegründer des Lagerkomitees. Er geht zurück nach Wien, wird als Abteilungsleiter bei der Wiener Polizei zuständig für die Ausforschung von Nazi-Funktionären – und initiiert den Aufbau der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, wird zum Chronisten des Grauens.

Heute lebt er mit seiner Frau Hedda in Wien. Auch mit 95 erfreut er sich, trotz Sehbehinderung, guter Gesundheit. Untrüglich sind die Erinnerungen, die er in präzisen Sätzen aus abgeklärter Distanz zu den Geschehnissen schildert. In der Ehrendoktorwürde sieht Marsálek „eine späte Anerkennung, die mir innerlich große Freude bereitet“. Verbitterung über das Erlebte empfindet er keine: „Ich werde aber nie verstehen, wie Menschen zu so etwas fähig sind!“

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26. April 2024