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Die Stoppuhr

Von Roman Sandgruber   01.April 2017

Die Uhren sind genau geworden. Auch die Stoppuhren. Nur eine Hundertstelsekunde trennte bei der Ski-WM in St. Moritz den Erst- und Zweitplatzierten. Das kann kein Mensch mehr wahrnehmen. Nicht mehr ein Mensch, der die Stoppuhr drückt, sondern ein Chip, der die Messung auslöst, kann das leisten. Die Präzision dieser Messungen versetzt in Erstaunen. Aber die fast unmenschliche Härte, die damit verbunden ist, lässt auch erschauern. Ist es gerecht, mit dem Hundertstel einer Sekunde über menschliche Leistungen zu entscheiden?

Stoppuhren gibt es seit dem frühen 19. Jahrhundert. Die ersten wurden für den Pferde- und später auch für den Laufsport gebaut. Man wollte über die erzielten Zeiten Bescheid wissen und diese mit früheren Ergebnissen oder solchen auf anderen Rennbahnen vergleichen. Immer mehr wurde die Stoppuhr zum unbarmherzigen Richter, auch wenn es, solange es Menschen waren, die die Uhren auslösten, zu Diskussionen über die Schwächen oder gar die Parteilichkeit der Zeitnehmer kam.

Die Möglichkeit, die Dauer einzelner Arbeitsschritte genau zu stoppen, hat auch die Arbeitswelt revolutioniert. REFA, die Abkürzung für den 1924 gegründeten "Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung", wurde zum Streitobjekt und Kampfbegriff der Zwischenkriegszeit. Die mit Hilfe von Stoppuhren durchgeführte exakte Erfassung der Arbeitsabläufe konnte Rationalisierungsmöglichkeiten und Leerzeiten aufzeigen, aber auch zu schwerwiegenden sozialen Konflikten führen. Die Arbeitsabläufe wurden in kleinste Abschnitte zerlegt. Alles konnte gemessen und optimiert werden: nicht nur jeder Arbeitsgang, sondern auch die Essenspausen, Zigarettenlängen und Pinkelzeiten. Die Zeitnehmer, die mit der Stoppuhr in der Hand die Arbeiter begleiteten, wurden zu Feindbildern der Gewerkschaften und zum Symbol für vermehrten Arbeitsdruck. Das führte auch zur Erkenntnis, dass menschengerechte Arbeitsgestaltung als gleichrangiges Ziel neben die Wirtschaftlichkeit treten muss.

Die ältesten Stoppuhren sind die Sanduhren. Auf Schiffen waren sie lange unentbehrlich, um die genaue Position auf hoher See zu messen. Die Sanduhr fand ihren Einsatz in vielen Bereichen, wo es um die Bemessung und Begrenzung der Zeitdauer ging: zur Bemessung der Redezeit in Parlamenten, zur Messung von Brenn- und Kochzeiten, in der Keramik oder beim Eierkochen, oder zur Dauer einer Prüfung. Keine andere Uhr zeigt die Begrenztheit der Zeit so deutlich. So wurde sie auch zum bevorzugten Symbol des Todes. Dass alles seine begrenzte, gestoppte Zeit hat, auch das Leben.

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23. April 2024