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Die Feinde des engagierten Lehrers - Interview mit Autor Glattauer

Von Von Christina Tropper   10.September 2010

OÖN: Fühlen Sie sich in Ihrer Funktion als Lehrer manchmal als Trottel?

Glattauer: Ich nicht, weil ich das Schreiben zur Psychohygiene benütze und mir so meine Befindlichkeiten von der Seele schreiben kann. Mir tun aber Kollegen leid, die dieses Ventil nicht haben. Denn das Lehrerleben ist nicht einfach: keine Aufstiegsschancen, katastrophale Arbeitsbedingungen und wenig Verdienst. Das kann schon zu Frust führen, wenn man auch noch der Prellbock der Öffentlichkeit ist.

OÖN: Wer sind die Feinde des engagierten Lehrers?

Glattauer: Das System. Die Schule ist mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr kompatibel: Patchworkfamilien, Alleinerzieherinnen und berufstätige Eltern brauchen andere Rahmenbedingungen. Und die Schüler sowieso. Wir reden ja von aktiven und kreativen Kindern. Doch in der Schule herrscht immer noch eine Kasernenideologie, alleine von der Architektur her.

OÖN: Das heißt, der engagierte Lehrer bekommt erst gar keine Chance, Talente zu fördern?

Glattauer: Genau. Unsere Lehrer tun ihr Möglichstes. Doch wer schon alleine vom Baustil her in einer Kaserne unterrichtet, wird zum Soldaten. Man muss schon einmal den Arbeitsplatz eines Lehrers anschauen: Da teilen sich manchmal drei Kollegen einen Schreibtisch. Es muss ein Paradigmenwechsel her. Die Lehrer haben eine Klasse als Büroraum, können diesen auch nach ihrem Geschmack gestalten, und die Schüler kommen zu den Lehrern.

OÖN: Ihr Buch ist ein Gegenbuch zu Andreas Salchers „Der talentierte Schüler und seine Feinde“...

Glattauer: Ich denke, mein Buch ist weiterführend. Ganz möchte ich Salcher (Anm. d. Red.: Der Ex-Politiker ist durch sein Buch zum „Schüleranwalt“ einer Tageszeitung und „Bildungs-Experten“ avanciert) ja nicht widersprechen, denn die Talente des Schülers werden im derzeitigen Rahmen nicht gefördert. Schuld ist nicht der Lehrer, im Gegenteil, er ist ebenso Opfer des Systems.

OÖN: Welche Lösungen gibt es Ihrer Meinung nach?

Glattauer: Die Politik muss dafür sorgen, dass die Kinder mehr vernünftige Zeit an der Schule verbringen. Etwa von 9 bis 5 Uhr, ich spreche also von der Ganztagsschule. Der Schulversuch „Neue Mittelschule“, den es in Wien schon seit 20 Jahren gibt, gehört sofort gestoppt und flächendeckend in ganz Österreich eingeführt.

OÖN: Das würde ein zusätzliches Erziehersystem erfordern.

Glattauer: Angehende Lehrer könnten ihre Praxis an den Schulen ausweiten und mit Lernstunden, anregender Freizeitgestaltung und unverbindlichen Übungen so den Schulbetrieb besser kennen lernen. Außerdem bin ich prinzipiell dafür, dass Lehrer länger an der Schule bleiben sollten. Das heißt ja nicht, dass sie deswegen mehr arbeiten – nur eben nicht zu Hause, sondern an der Schule.

OÖN: Sie schreiben in Ihrem Buch auch von einer Wiener Schule mit Klassen, in denen 100 Prozent Migrantenkinder sitzen. Das erschwert den Bildungsauftrag zusätzlich?

Glattauer: Das Problem ist die Ghettoisierung, verantwortlich dafür ist eine falsche Wohnpolitik. Die Lösung ist ganz einfach: Die gemeinsame Schule für alle würde zu einer Durchmischung führen. Zusätzlich wollten sich die Schulen noch mehr spezialisieren. Dann geht das höhere Töchterl nicht mehr auf dieselbe Schule wie der Papa, sondern in die Schule, die ihre Talente besonders fördert.

OÖN: In der Schuldiskussion steht derzeit auch zur Debatte, dass die Bundeslehrer zu Landeslehrern werden sollten...

Glattauer: Ich halte das für eine Provinzialisierung, gerade in Zeiten des Bologna-Prozesses. In ganz Europa werden die universitären Bildungsabschlüsse vereinheitlicht, und jetzt sollen die Schulen zur Ländersache werden? Eigentlich sollten die Schulen das Geld bekommen und nicht die Politiker. So könnten sie ihre Autonomie entwickeln – kontrolliert, versteht sich.

Auskunft: Niki Glattauer: „Der engagierte Lehrer und seine Feinde – Zur Lage an Österreichs Schulen“. 200 Seiten, 19.95 Euro.

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