Das grüne Herz des "Hagel-Kurt"

Von Annette Gantner   16.Juli 2016

Schon bei der Begrüßung fallen rasch die Worte "hässlich" und "verschandelt". Er komme aus Aichkirchen bei Lambach, erzählt Kurt Weinberger und beklagt, dass die Gegend früher viel schöner gewesen sei. "Ein Riesenareal ist einfach zubetoniert worden."

Die Nutzung der heimischen Böden ist schon berufsbedingt eines der zentralen Themen des Vorsitzenden der Hagelversicherung. 1946 schlossen sich die Versicherer Österreichs zusammen und boten den Bauern eine Möglichkeit, das Risiko eines Ernteausfalls aufgrund von Hagelschäden zu vermindern. Der sperrige Name blieb, die Produktpalette hat sich seither verändert: Die Landwirte können sich gegen Dürre, Stürme, Frostschäden, Hochwasser und Überschwemmung versichern.

Seit dem letzten Jahr bietet Österreich als einziges Land die Möglichkeit, auch die Apfelernte zu versichern. Nach dem verheerenden Frost im April eine Abhilfe für die Obstbauern.

Weinberger stieg 1993 eher zufällig bei der Hagelversicherung ein, nicht einmal zehn Jahre später war er bereits Vorstandsvorsitzender. Die Methoden sind überraschend modern: Die Anträge der Bauern auf Ersatz gehen mittlerweile zu 90 Prozent online ein, per Satellit werden große Ackerflächen auf Schäden gescreent, nach dem Besuch des Sachverständigen erhalten die Landwirte vier Tage später den Schadenersatz überwiesen.

"Wir sind mit einem sehr volatilen Geschäftsmodell konfrontiert", umschreibt er liebevoll die Wetterkapriolen. In Österreich ist die Hagelversicherung Platzhirsch, seit 2006 werden auch die osteuropäischen Märkte betreut.

Nachhaltiges Reden mit Charles

Weinberger war 2011 überraschend zum Präsidenten der weltweiten Vereinigung der Agrarversicherer gewählt worden. In dieser Funktion war er international viel unterwegs. In Cambridge hielt er in kleinem Rahmen einen Vortrag über den Bodenverbrauch und diskutierte dabei mit Prince Charles über Nachhaltigkeit.

Wenn Weinberger über die heimischen Böden spricht, weicht seine Zurückhaltung der Emotion. Da fallen Sätze wie "Ein Land ohne Acker wäre wie ein Mensch ohne Haut" oder "Die Umwelt hat in Österreich keinen Anwalt".

Der 55-Jährige kommt selbst von einem Bauernhof und bewirtschaftet heute in Aichkirchen ein Gut, das er von seinem Onkel übernommen hat. Als Bub saß er am Traktor, schlachtete Hühner und arbeitete auf dem Feld. "Mein Traumberuf war immer, Bauer zu werden." Der Familienname würde auf einen Winzer schließen lassen. "Er geht auf 1560 zurück. Weinbau hat es im Hausruck immer gegeben", gibt der Topmanager Auskunft.

In Lambach ging er bei den Benediktinern in die Schule. Ora et labora als Lebensanleitung. Die Prägung durch die katholische Kirche und der Hang zur Philosophie sind bei Weinberger spürbar. Voller Begeisterung holt er die Enzyklika "Laudato sí" von Papst Franziskus hervor, die sich der Bedeutung der Umwelt widmet, und zitiert daraus.

Nach der Schule begann Weinberger in Wien Agrarökonomik zu studieren, er lernte seine Ehefrau Renate, von Beruf Steuerberaterin, kennen. Beide gingen zurück nach Oberösterreich, der frischgebackene Akademiker fing bei der Landesregierung in der Agrarrechtsabteilung an – dem Leben als Beamten stand nichts mehr im Weg.

Schnuppern in Brüssel

Doch Weinberger entschied sich anders. Es war die Phase, als Österreichs EU-Beitritt schon greifbar war, die EU-Kommission bot Beamten die Möglichkeit, in Brüssel anzudocken. 1992 wechselte Weinberger für ein Jahr in die Generaldirektion für Landwirtschaft in der EU-Kommission. "Wir waren damals drei Österreicher in Brüssel", erinnert er sich. Der österreichische Botschafter lud wöchentlich zum Gespräch. Dort sollte der 31-jährige Agrarrechtler seinen – aus heutiger Sicht – Vorgänger in der Hagelversicherung kennenlernen.

Ein Jobangebot folgte, der pragmatisierte Staatsdienst war passé. "Für mich war klar, ich gehe dorthin, wo ich mehr gestalten kann." Er arbeitete sich hoch, wurde als Trainee nach Dublin und Paris geschickt. Das Familienleben kam dennoch nicht zu kurz: Weinberger ist Vater dreier Kinder, der Sohn wird den Hof übernehmen. Eine Tochter studiert in Wien und ist in die gemeinsame Wohnung in der Josefstadt gezogen. Jedes Wochenende fährt er mit dem Zug zu seiner Frau nach Aichkirchen.

Zufallsbekanntschaft in Rom

Dass er die Eisenbahn nutzt, ist nicht verwunderlich. Brigitte Ederer holte ihn in den ÖBB-Aufsichtsrat, dort lernte er auch den jetzigen Kanzler Christian Kern kennen. Weinberger ist bestens vernetzt, ab und zu ergeben sich auch unerwartete Zufallsbekanntschaften. Am Flughafen in Rom lernte er 2015 Kardinal Christoph Schönborn kennen. Beide fanden sich beim Thema Klimaschutz, seither unterstützt selbst der Erzbischof die Umwelt-Kampagne.

"Hagel-Kurt", wie er in seiner Branche genannt wird, kann überzeugend sein. Er hat eine ganze Liste zusammengestellt, wo Österreich negativer Rekordhalter ist. Nirgendwo sonst in Europa gebe es mehr Supermarktflächen pro Kopf und ein dichteres Straßennetz als in Österreich. Jeden Tag werde eine Fläche von 30 Fußballfeldern zerstört. "Die Kommunalsteuer ist eine wesentliche Ursache dafür, dass Bürgermeister immer mehr Siedlungsraum erschließen, die Raumordnung ist einzigartig falsch", ärgert sich Weinberger.

Seine Versicherung bekommt die Auswirkungen unmittelbar zu spüren. "Dort, wo wir eine massive Zubetonierung haben, hat es beim letzten Hochwasser die größten Schäden gegeben."

Man hört richtig das grüne Herz klopfen, wobei sich der Intellektuelle gegen jegliche parteipolitische Zuordnungen wehrt. In die Politik will er dennoch nicht gehen, um sich für die Umwelt zu engagieren. "Ich fühle mich in meiner Rolle extrem wohl."

Nachgefragt

Heimat ist für mich ... unverbauter Boden, meine Familie
Das fehlt mir in Wien aus Oberösterreich … mein Zuhause in Aichkirchen
Das gibt es nur in Wien ... sehr viele nette Beisln
Mein Lieblingsplatz in Wien ... Mein Büro, es ist das erste CO2- neutrale Bürohaus Wiens mit Photovoltaik-Anlage
Der größte Unterschied zwischen Wienern und Oberösterreichern ist ... der Dialekt

 

1946 wurde die Hagelversicherung durch alle österreichischen Versicherungsgesellschaften auf Drängen der Landwirte gegründet.

Sechs Märkte bedient die Hagelversicherung: Österreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien und Rumänien.

2,1 Millionen Hektar Fläche sind bei der HGV versichert, insgesamt haftet sie für vier Milliarden Euro, das Prämienvolumen beträgt 11 Millionen Euro.

5000 Außendienstmitarbeiter beschäftigt die HGV.