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Das Nürnberg des jüdischen Volkes

Von Martin Dunst, 17. Dezember 2011, 00:04 Uhr
Das Nürnberg des jüdischen Volkes t Einer der größten NS-Verbrecher, Adolf Eichmann, musste sich vor 50 Jahren vor Gericht in Israel verantworten und wurde mit dem Tod bestraft
Vor Gericht spielt der ehemalige Judenreferent der Nazis seine Rolle herunter, gab sich als pflichtbewusster Beamter und reiner Befehlsempfänger aus Bild: APA

Adolf Eichmann. Der NS-Verbrecher ist das Gesicht der Shoah. Der Name steht wie kein Zweiter für sechs Millionen ermordete Juden. Aufgewachsen ist Eichmann in Linz. Am 15. Dezember 1961 wurde der „Sekretär des Todes“ von einem Gericht schuldig gesprochen.

Wer war dieser Adolf Eichmann? Eine Bestie in Menschengestalt, ein kleines Rädchen im NS-System, ein Schreibtisch-Täter? Die Wahrnehmung und Einschätzung des Verantwortlichen für Deportationen von Millionen von Menschen hat sich im Lauf der Zeit mehrfach gewandelt. Heute sind sich Historiker einig: bei Eichmann handelte es sich um einen Schreibtisch-Mörder.

Adolf Eichmann wurde 1906 in Solingen (Deutschland) geboren. Acht Jahre später zog die siebenköpfige, streng protestantische Familie Eichmann nach Linz in die Bischofstraße 3. Eichmann besuchte die Franz-Joseph-Oberrealschule, den Vorläufer des heutigen Fadinger-Gymnasiums. Einige Jahre zuvor hatte bereits Adolf Hitler diese Schule besucht.

Eichmann war kein guter Schüler, er schloss weder eine Schule noch eine Berufsausbildung erfolgreich ab. 1932 trat er in Linz der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und der Schutzstaffel (SS) bei. Ein Freund der Familie, Ernst Kaltenbrunner, später Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, soll im Linzer Märzenkeller zu Eichmann gesagt haben: „Du gehörst zu uns!“

In der Zeit des Ständestaates unter Engelbert Dollfuß wurde die NSDAP verboten. Eichmann packte seine braune Uniform ein und übersiedelte nach Deutschland. Nach einer militärischen Ausbildung in den Reihen der SS bewarb sich Eichmann beim Sicherheitsdienst (SD) in Berlin. Zu Beginn war er nicht mehr als ein Aktenschlichter und Karteikartensortierer. Als der SD-Mann 1935 eine neue Aufgabe in der Abteilung für Juden zugewiesen bekommen hatte, zeigte er sich begeistert.

Vorgesetzte und Freunde beurteilten ihn in Folge als „überzeugten Nationalsozialisten“, der „bedingungslos“ der Ideologie des Nationalsozialismus folgte. „Mit fünfzig Eichmännern hätten wir den Krieg gewonnen“, sagte ein SS-Offizier und Bekannter Eichmanns nach dem Zerfall des Dritten Reichs.

Fließbandsystem in Wien

Als Österreich an das Dritte Reich angeschlossen worden war, galt Eichmann bereits als Spezialist für Judenfragen. Er wurde mit der Leitung des Auswanderungsbüros in Wien betraut. Dieses Büro bestand anfangs gerade einmal aus zwei Leuten. „Dort etablierte er das Eichmann-System, war aus Sicht des damaligen Regimes höchst erfolgreich“, sagt Philipp Lesiak, Historiker am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung. Eichmann etablierte in Wien ein Fließbandsystem für Ausweisungen. „Vermögende Juden mussten die Ausreise für die Ärmeren bezahlen.“ Die Juden waren perplex, empfanden die Schikanen und ihre Ausweisung als „einen automatisch laufenden Betrieb. Auf der einen Seite kommt ein Jude herein, der noch etwas besitzt, einen Laden oder eine Fabrik oder ein Bankkonto. Nun geht er durch das ganze Gebäude, von Schalter zu Schalter, und wenn er auf der anderen Seite herauskommt, ist er aller Rechte beraubt, besitzt keinen Pfennig, dafür aber einen Pass, auf dem steht: Sie haben binnen 14 Tagen das Land zu verlassen, sonst kommen sie ins Konzentrationslager.“

Laut Lesiak verstand es Eichmann gegenüber seinen Vorgesetzten zu übertreiben, sich wichtig zu machen, fremde Ideen als seine zu verkaufen. „Das Eichmann-System wurde exportiert, er sollte seine Wiener Erfolge in Prag wiederholen.“ Das gelang nicht, weil kaum noch Länder bereit waren, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen.

Im Jahr 1942 leitete Eichmann das Amt IV B 4 „Juden- und Räumungsangelegenheiten“ im Reichssicherheitshauptamt. „Eichmann hatte weder eine hohe Funktion noch einen der ganz oberen Dienstgrade, aber er saß an einer zentralen und wichtigen Stelle“, sagt Historiker Lesiak. „Die Befehlskette zu Vorgesetzten wie Heydrich oder später Kaltenbrunner war kurz.“

Heydrich vertraute Eichmann in der Judenfrage. So ist es auch zu erklären, dass der Referatsleiter im Rang eines Obersturmbannführers die Wannsee-Konferenz mitorganisiert hatte und dort das Protokoll führte. Beinahe alle Nazi-Größen trafen bei dieser Konferenz in Berlin zusammen und besiegelten die längst angelaufene „Endlösung der Judenfrage“.

Eichmann agierte keineswegs nur vom Schreibtisch aus. „Er wusste um die Konsequenzen, die seine schriftlichen Anweisungen zur Folge hatten“, sagt Lesiak. Eichmann habe Konzentrationslager besucht, interessierte sich für Giftgas, wurde Zeuge, wie ein Erschießungskommando wehrlose Familien umbrachte. „Seine Männer saßen überall da, wo es besonders grauslich zuging, er hatte ein Team von getreuen Informanten aufgebaut, die Befehle in seinem Sinn ausführten und ihm treu ergeben waren.“

Zwei Jahre nach der Wannsee-Konferenz, im März 1944, wird Eichmann per Sonderbefehl nach Budapest beordert. Er soll sich um die Deportation und damit verbunden um die systematische Vernichtung der ungarischen Juden kümmern. Wie so oft, füllt er seine Aufgabe pflichtbewusst aus. Zu einem Zeitpunkt, wo die militärische Niederlage der Nazis bereits unabwendbar war, hätte Eichmann Tausende Menschenleben retten können. Doch er selbst stellte sicher, dass täglich die vollbesetzten Züge bis vor die Tore des Vernichtungslagers Auschwitz rollten.

Gegenüber dem niederländischen Journalisten und ehemaligen SS-Kämpfer Willem Sassen sollte Eichmann 1957 in Argentinien in Interviews sagen: „Hätten wir 10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich befriedigt und würde sagen, gut, wir haben einen Feind vernichtet.“ Beim Prozess gegen Eichmann waren diese Interviews zwar nur in Auszügen zugelassen, dennoch belasteten sie ihn schwer, liefen seiner Verteidigungsstrategie zuwider. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs sollte es allerdings 15 Jahre dauern, bis man den ehemaligen Leiter des Judenreferats gefunden hatte und vor Gericht stellen konnte.

Zugriff durch Mossad

Eichmann war bereits vor Kriegsende in Bad Aussee untergetaucht. Über die sogenannte Rattenlinie gelang ihm mithilfe von Bischof Hudal im Vatikan die Flucht nach Argentinien, wo er als Ricardo Klement mit seiner Familie in relativ bescheidenen Verhältnissen lebte.

1960 tauchten drei Agenten des israelischen Geheimdienstes bei Eichmann auf und setzten ihn in ein Flugzeug Richtung Israel. Am Jerusalemer Bezirksgericht namens „Haus der Gerechtigkeit“ wurde dem einstigen Judenreferent der Prozess gemacht. Der erste israelische Ministerpräsident, David Ben-Gurion, sprach vom „Nürnberg des jüdischen Volkes“ in Anlehnung an die vorausgegangenen Tribunale der Amerikaner gegen führende Nazis. „Mit mir klagen Sie sechs Millionen Opfer an“, sagte Generalstaatsanwalt Gideon Hauser. Eichmann seinerseits spielte seine Verantwortung herunter. Der unscheinbar wirkende Mann mit schütter werdendem Haar und Brille stellt sich vor Gericht als pflichtbewusster Beamter und Befehlsempfänger dar, der mit Massenvernichtungen nichts zu tun gehabt hätte.

Nach einem Verhandlungsmarathon fällten die drei Richter am 15. Dezember 1961 das Todesurteil über Eichmann. Er wurde unter anderem wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk bestraft. Die Leiche Eichmanns wurde verbrannt, seine Asche über dem Mittelmeer ausgestreut. „Keine Spur sollte übrig-, seine Schuld aber unvergessen bleiben.“

Simon Wiesenthal beginnt sein neues Leben und die Suche nach Adolf Eichmann in Linz

Simon Wiesenthal (1908 bis 2005) beginnt in der oberösterreichischen Landeshauptstadt den Lebensabschnitt nach dem Konzentrationslager Mauthausen. Der gelernte Architekt ist abgemagert auf 45 Kilogramm, weiß zunächst nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll, wofür es sich lohnt, weiterzumachen. Für die amerikanischen Befreier erstellt Wiesenthal noch im KZ Mauthausen eine Liste mit 91 Namen von Nazi-Verbrechern. Wiesenthal arbeitet in der Folge eng mit den Amerikanern zusammen, organisiert Fotos, befragt ehemalige Häftlinge, sucht NS-Verbrecher.

Vom ehemaligen Todesblock in Mauthausen übersiedelt der Überlebende des Nazi-Terrors zunächst nach Leonding. Von seinem Fenster sieht er unmittelbar auf den Friedhof und auf den Grabstein von Hitlers Eltern. Da ihm dieser Ausblick missfällt, zieht er um in eine kleine Wohnung in der Linzer Landstraße. Wiesenthals Frau hat den Holocaust überlebt, kommt zu ihrem Mann nach Linz. Der gründet 1947 sein eigenes Dokumentationszentrum in der Goethestraße. Seine Hauswirtin macht Wiesenthal darauf aufmerksam, dass Adolf Eichmann in Linz geboren ist, er jeden Tag auf dem Weg ins Büro am Geschäft seiner Eltern vorbeikomme. „Zu diesem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass Eichmann der Hauptschuldige war, der 1944, als Himmler versuchte, eine Million Juden gegen Lastwagen auszutauschen, immer noch weitergemacht hat.“ Wiesenthal gelingt es, über eine Geliebte ein Foto von Eichmann aufzutreiben, der es meisterhaft verstanden hatte, weitgehend unsichtbar zu bleiben. Immer wieder schreibt Wiesenthal Briefe, lässt Kontakte spielen, lässt die Spur zu Eichmann nicht erkalten.

1960 sind seine Bemühungen schließlich von Erfolg gekrönt. Wiesenthals Rolle bei der Ergreifung Eichmanns wird immer wieder in Zweifel gezogen. „Ich habe nie behauptet, dass ich Eichmann alleine gefangen habe. Aber ich habe mitgeholfen, dass sein Name nicht einfach aus den Akten verschwindet, die Suche nach ihm nicht aufgegeben wird.“ So zu hören in der Dokumentation über Wiesenthals Leben „Ich habe Euch nie vergessen“. In diesem Film sagt Wiesenthal auch, was es braucht, damit sich der Holocaustnicht mehr wiederholt: „Toleranz und Weltoffenheit“.

„Herr Karl“ traf den Nerv

Historiker und Juristen diskutierten Mittwochabend im Festsaal des Justizministeriums in Wien öffentlich über den Eichmann-Prozess und seine Folgen in Österreich und Deutschland. „Das Verfahren am Bezirksgericht in Jerusalem war das erste globale Medienereignis des tele-medialen Zeitalters“, sagte Gerhard Paul Universitätsprofessor an der Universität Flensburg. So hätten etwa Fernsehanstalten in Deutschland, Österreich und den USA umfassend berichtet. „In Israel gab es noch kein staatliches Fernsehen, da verfolgten die Menschen den Prozess im Rundfunk.“

Laut Paul war der Prozess eine Inszenierung. „Vor allem Eichmann nützte seinen Glaskasten, der ihn vor Anschlägen schützen sollte als Bühne, mimte den Bürokraten, der nicht verantwortlich zu machen ist.“ Es sei Eichmann gelungen, dieses Bild des beliebig austauschbaren Schreibtischtäters zu vermitteln – „unter Mithilfe der Publizistin Hannah Ahrendt, die auf Eichmanns Inszenierung herein gefallen ist, eine ganze Generation verwirrt und ein schiefes Bild von Eichmann gezeichnet hat“, kritisierte Paul. Für die Historikerin Heidemarie Uhl von der Uni Wien sind mit dem Eichmann-Prozess drei Besonderheiten verknüpft: „Der öffentliche Diskurs wurde stark forciert, es kam ins kollektive Bewusstsein, dass viele NS-Täter noch frei herum laufen und erstmals richtete sich die Aufmerksamkeit stark auf die Überlebenden des Nazi-Terrors.“

Während in Deutschland Bundeskanzler Adenauer eine öffentliche Rede zum Eichmann-Prozess hielt, „gab es in Österreich zwar auch den medialen Rummel, aber keine politischen Statements, mit Ausnahme einer Wortmeldung des damaligen Justizministers Christian Broda“, sagte Winfried Garscha vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Das politische Schweigen habe dazu beigetragen, dass der Prozess und die Berichte der Überlebenden zwar „Irritation aber kein Erdbeben ausgelöst haben“. Das kam laut Garscha erst viel später mit der Waldheim-Affäre. In Deutschland hingegen zog der Eichmann-Prozess die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt und weitere Strafverfahren nach sich.

Blick auf die Gesellschaft richten

„In Österreich war Eichmann ein Deutscher und damit deren Problem“, konstatiert Uhl. Das Medienereignis des Jahres 1961 sei nicht Eichmann, sondern Qualtingers „Herr Karl“ gewesen. „Der war eher ein kleiner Nazi, ein Mitläufer, dennoch hat im Gegensatz zum Eichmann-Prozess ein ganzes Volk empört aufgeschrien.“

Laut den Historikern herrschte in Österreich und Deutschland lange Zeit die Meinung vor, das Volk trage keine Schuld, es sei von der NS-Spitze verführt worden. Dieses Bild sei erst nach und nach langsam aufgebrochen. Genauso habe sich die Wahrnehmung von Judenreferent Adolf Eichmann verändert. „Der war nach dem Krieg eine Bestie in Menschengestalt, dann ein funktionierender Bürokrat, die Banalität des Bösen und ist jetzt so etwas wie ein Schreibtischmörder, der sehr wohl aus eigenem Antrieb und aus Überzeugung heraus gehandelt hat“, sagte Universitätsprofessor Paul.

In der Diskussion wurde auch die Frage gestellt, wo wir denn in Österreich heute in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit stehen. „Die Historiker richteten lange den Blick nicht auf die Gesellschaft selbst“, sagte Paul. Doch auch seitens der Zivilbevölkerung ist es vor allem am Ende des Krieges, während der Todesmärsche, zu Verbrechen und Gräueltaten gekommen. „Da gibt es noch viel zu tun, stehen wir erst ganz am Anfang“, sagten die deutschen und österreichischen Geschichtsforscher.

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Urlauber (15 Kommentare)
am 17.12.2011 15:09

Leider immer noch aktuell: Hannah Arendt hat in ihrem Buch: "Eichmann in Jerusalem" befunden: "Das Beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, daß er war wie viele und daß diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind. Vom Standpunkt unserer Rechtsinstitutionen und an unseren moralischen Urteilsmaßstäben gemessen, war diese Normalität viel erschreckender als all die Greuel zusammengenommen."
Wer angesichts dieser Greuel einen gesunden Ekel gegenüber den Tätern entwickeln kann, sich selbst nicht als ewiggestrig rechtsextrem einschätzt und dennoch kein Problem damit hat, die FPBZÖ zu wählen, sollte sich zumindest fragen, ob sie oder er nicht schon längst jenem Teil der inzwischen in der gesellschaftlichen Mitte angekommenen "Normalen" angehört, der vor mehr als siebzig Jahren Auschwitz erst möglich gemacht hatte und heute erneut mit einfachen Scheinlösungen und mit Rassismus und Xenophobie "nur" Politk macht.

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