Das Land der Räte

Von Roman Sandgruber   09.September 2017

Alle paar Jahre wählen wir in Österreich Räte, die dem Wortsinn nach nicht zu entscheiden, sondern nur zu beraten haben. Und das schon seit der Zeit Kaiser Franz Josephs, der den 1848 gewählten Reichstag nach der Niederschlagung der Revolution loshaben wollte und in seinem neoabsolutistischen Regime bestenfalls eine Beratung, aber keine Mitbestimmung duldete. Seither haben wir in Österreich einen Reichsrat und in einer nahtlos daran anschließenden Tradition einen Nationalrat.

Auch das Beispiel der russischen Oktoberrevolution und ihrer Bauern-, Arbeiter- und Soldatenräte und der kurzzeitigen Räterepubliken in Ungarn und Bayern hat zur Verstärkung des Rätewesens beigetragen: Daher haben wir in den Unternehmen Betriebsräte statt der vorher üblichen Vertrauensleute.

Österreich ist ein Land der Räte: Hofräte, Amtsräte, Regierungsräte, Schulräte, Studienräte, Medizinalräte, Bauräte, Bergräte, Ökonomieräte, technische Räte, Kommerzialräte und bei allen Sozialpartnern Kammerräte. Der ORF hat Stiftungsräte und Publikumsräte. Auch bei den Museen wimmelt es von Räten, gleich drei verschiedene beim neu gegründeten Haus der Geschichte in Wien.

Auch die Wissenschaft wird beraten: Wir haben an jeder Universität Universitätsräte, einen Wissenschaftsrat, einen Rat für Forschung und Technologieentwicklung und zahlreiche europäische und regionale Forschungsräte. Nur die Frauen hinken nach. Aber sie tun alles, um diese Genderlücke mit Quoten zu füllen. Sogar die Kirche lässt inzwischen Pfarrgemeinderätinnen wählen. Nur den Titel "Geistliche Rätin" und "Konsistorialrätin" wird es erst geben, wenn es auch Pfarrerinnen gibt.

Das Rätewesen boomt. Überall gibt es Beratung: Unternehmensberatung, Politikberatung, Wahlberatung, Beamtenberatung, Patientenberatung, Konsumentenberatung, Kunstberatung, Sexberatung. Eine Beratung von Laien kann Sinn geben. Aber die Beratung der Experten, denen in den Unternehmen oder in der Verwaltung Dinge erklärt werden, die sie selbst viel besser wissen oder wissen sollten, dient meist nur der Festigung der eigenen Meinung: als Argumentationshilfe, Alibi und Blitzableiter.

Dieser Wildwuchs an Beratung ist keineswegs gratis, auch dort nicht, wo sie ehrenamtlich erfolgt: Sekretariate, Räume, Reisespesen, Sitzungsgelder und die alternativen Kosten für den Zeitaufwand, die natürlich in die Rechnung einfließen müssten. Mit der Abschaffung oder Reduzierung der vielen Räte und Berater wäre hinsichtlich der versprochenen Ausgabenreduzierung schon viel erreicht.