Auf den Spuren des Pinselohrs
200 Kilometer und 10.000 Höhenmeter durch Österreichs "wilde Mitte" – der neue Weitwanderweg namens "Luchs Trail" verbindet länderübergreifend einzigartige Naturschätze.
Der ab Mitte September durchgehend markierte "Luchs Trail" nimmt seinen Ausgang in Reichraming. Ein ehemaliger Holzknechtsteig führt ins Hintergebirge, begleitet vom glasklaren Wasser des naturbelassenen Reichramingbaches. Durch zwei kurze Tunnel gelangt man zur Großen Klause und zur Jausenstation Klaushütte, deren Historie bis ins Jahr 1758 zurückreicht. Sie diente einst den Waldarbeitern als Unterkunft, die das gefällte Holz auf dem Wasser transportierten. Die letzte Trift fand 1936 statt. Die mehr als siebenstündige Gehzeit für 23 Kilometer und 1140 Höhenmeter wird mit der Einkehr auf der sonnig gelegenen Anlaufalm belohnt, die einen prächtigen Blick auf den höchsten Gipfel des Hintergebirges bietet. Der heißt nicht zufällig Größtenberg.
Elf anspruchsvolle Etappen
Dies ist die erste von elf Etappen des Weiterwanderwegs, der durch den südlichen Nationalpark Kalkalpen und die Haller Mauern in die Steiermark nach Admont führt. Von dort geht es weiter durch den Nationalpark Gesäuse, bevor der Pfad nach Norden schwenkt, durch den Natur- und Geopark Steirische Eisenwurzen nach Niederösterreich leitet und seinen Abschluss im Wildnisgebiet Dürrenstein und in Lunz am See findet.
Die zwischen 350 und 1870 Meter Höhe gelegenen Abschnitte sind durchaus anspruchsvoll und auf den geübten Bergwanderer zugeschnitten, der nicht über ausgeprägte Kletterkünste verfügen muss.
Der Luchs ist das verbindende Element. Vor 20 Jahren wanderte das erste Pinselohr in den Nationalpark Kalkalpen ein, der 13 Jahre allein blieb. Um den Bestand zu stützen, wurden 2011 Wildfänge aus der Schweiz freigelassen, in den folgenden beiden Jahren gab es Nachwuchs. Trotz Rückschlägen wegen wildernder Jäger wanderten Jungluchse auch in den Nationalpark Gesäuse und in das Gebiet Dürrenstein.
Der Wanderer entdeckt auf der naturnahen Strecke Vielfalt durch Wildnis. In den Bergwäldern verschwinden zunehmend die Spuren einstiger menschlicher Eingriffe, neue Lebensräume entstehen.
Der Weitwanderweg wurde von Trail Angels mitentwickelt, die individualisierte und flexible touristische Pakete anbieten – mit Gepäckservice und ausgesuchten Partnerbetrieben von der Almhütte bis zum Vierstern-Hotel.
Erste Entdeckungstour
Zur Einführung gibt es etwa von 19. bis 22. September eine viertägige sogenannte Discovery-Tour mit einem Nationalpark-Ranger auf den ersten drei Etappen von Reichraming über die Anlaufalm, weiter über den Hengstpass zur Laussabaueralm und schließlich über die Haller Mauern bis nach Admont mit dem berühmten Stift. Mit Handpeilungen und Fotofallen wird unterwegs dem scheuen Luchs nachgespürt. www.bookyourtrail.com
Auf dem Weg zurück zur Wildnis
Seltene Arten wie Bechsteinfledermaus, Eschen-Scheckenfalter, Scharlachkäfer oder Luchse finden im seit 1997 bestehenden Nationalpark Kalkalpen beste Lebens- und Nahrungsbedingungen vor. Schroffe Kalkklippen und Schluchten prägen das zerklüftete, buchenwaldreiche Hinter- und Sengsengebirge.
800 Quellen versorgen ein natürliches Bachnetz von 480 Kilometern Länge mit kostbarem Nass. In den Bergwäldern verstecken sich kleinere Urwald-Verdachtsflächen.
Sie sind Oasen für hochspezialisierte Reliktarten wie den anspruchsvollen und seltenen Weißrückenspecht, der totholzreiche Wälder benötigt. Seit 1994 gibt es keine planmäßige Holznutzung mehr im größten Waldschutzgebiet Österreichs. Auf einer Fläche von 156 Quadratkilometern setzen Stürme, Lawinen, Schneedruck und Hochwässer natürliche Impulse, wodurch sich eine bemerkenswerte Vielfalt in der zurückkehrenden Wildnis eingestellt hat. www.kalkalpen.at
Wildes Wasser und steiler Fels
Am Gesäuseeingang, wo die Enns zwischen Himbeerstein und Haindlmauer ihren Durchbruch findet, beginnt der jüngste Nationalpark Österreichs unter tosendem Rauschen des wild gewordenen Flusses. Flussabwärts türmen sich die hell gleißenden Kalk- und Dolomitfelsen der Hochtorgruppe mit einem direkten Höhenunterschied von mehr als 1800 Metern auf – ein einzigartiger Kontrast.
Aber nicht nur die Landschaft ist schützenswert. Das Gesäuse gilt wie der Nationalpark Kalkalpen als Endemiten-Hotspot Österreichs. So bestechen diese Gebiete durch eine außergewöhnliche Vielfalt an weltweit nur hier vorkommenden Tier- und Pflanzenarten. Als Beispiel sei die Zierliche Federnelke im Gesäuse genannt, eine Bewohnerin der Kalkschuttflächen. Flussuferläufer sind dagegen mobil und haben ein größeres Verbreitungsgebiet. Zum Brüten sind diese Vögel auf die Schotterbänke der Enns und ihre wilden Zubringer angewiesen. Somit findet sich auch die größte Brutpopulation der Steiermark an der wilden Enns im Gesäuse.
www.nationalpark.co.at
Uraltbäume und Tannenstachelbart
Charakteristisch für die Urwälder des 3500 Hektar großen Wildnisgebietes Dürrenstein im Südwesten Niederösterreichs sind Bäume mit einem Alter von bis zu 1000 Jahren und Höhen von bis zu 60 Metern sowie riesige Totholzmengen und ungestörtes Bodenleben mit natürlichen Lebensgemeinschaften. Sein lassen, Zeit lassen, zulassen, so lautet die Devise, damit natürliche Prozesse ungestört ablaufen können.
Zu den besonderen Arten zählen der Habichtskauz und der Tannenstachelbart, ein Pilz, der als Wundparasit an lebenden Bäumen oder an Totholz wächst. Anspruchsvolle Arten wie Alpenbock, Weißrückenspecht und Waldfledermäuse finden geeignete Lebensräume. Aber auch Steinadler, Wanderfalke, Raufuß- und Sperlingskauz und sogar Luchse nennen das Wildnisgebiet ihr Zuhause.
Aufgrund der Einmaligkeit des UNESCO-Weltnaturerbes wurde das freie Betretungsrecht mit Ausnahme weniger markierter Wege aufgehoben. Nur bei geführten Wanderungen ist das Kleinod zur erleben.
www.wildnisgebiet.at