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"Am Freitag in der Nacht sind in Saiga Hans die Uhren stehengeblieben"

21.August 2017

Wolkenfetzen ziehen wie Trauerflor über die dunklen Wipfel des Kobernaußerwaldes, der Himmel über Sankt Johann am Walde ist grau an diesem kühlen Sonntagmorgen. Es ist kein Sonntag wie sonst. Auch wenn man es vergessen oder ungeschehen machen möchte, es gelingt nicht: Die schwarze Fahne vor dem Gemeindeamt erinnert gnadenlos an das schreckliche Unglück am späten Freitagabend. Zwei Tote, 140 Verletzte – das sind nicht nur Zahlen, die für immer die Geschichte von "Saiga Hans" prägen werden. Damit wird das Leben in der idyllischen Kobernaußerwaldgemeinde neu geschrieben.

Nach und nach kommen die ersten Kirchenbesucher zum Sonntagsgottesdienst, bleiben am Kirchenvorplatz stehen oder gehen stumm zur Aufbahrungshalle, um sich von Christoph A. (28), einem der beiden Todesopfer, zu verabschieden. Ihre Gesichter sind ernst, die Augen von den Tränen gerötet, die Blicke bleiern, die Köpfe gesenkt. Die Menschen wollen nicht reden über die Unglücksnacht, über den "schwarzen Freitag", wie Diakon Anton Baumkirchner zu Beginn des Gottesdienstes sagt. Es sind auch keine Worte nötig, Trauer und Schrecken sind den Menschen von Saiga Hans ins Gesicht gezeichnet.

Jetzt rücken alle zusammen

Die Stille in der vollbesetzten Pfarrkirche ist bedrückend, bis der Diakon mit gedämpfter Stimme sagt: "Die Uhren sind am Freitag stehengeblieben in Saiga Hans. Und das im buchstäblichen Sinne und nicht nur, weil auch die Turmuhr stehengeblieben ist. Die Naturgewalt hat sich uns gezeigt, im Nu war das Festzelt weggefegt. Zwei Tote gibt es zu beklagen." Er ruft zum Gebet auf für die beiden Todesopfer, Christoph aus Sankt Johann, und Alexandra-Ionela P. (19) aus Höhnhart. "Unsere Gedanken sind bei ihren Angehörigen und bei allen Opfern und Betroffenen, die zum Teil schwer verletzt in den Krankenhäusern liegen", sagt der Diakon. Die Art und Weise, wie die Menschen jetzt im Ort zusammenrücken, sei bezeichnend für Saiga Hans: "Der ganze Ort leidet mit, fühlt mit, es sind furchtbare Zeiten, durch die wir hindurch müssen. Aber die Anteilnahme, das Mitgefühl, das Dasein füreinander, das Zuhören – das hat bei uns Tradition und wird auch so bleiben." Es ist nicht pathetisch, es ist tröstend, was der Diakon predigt, der nicht müde wird, auch den Hilfskräften für ihren Einsatz zu danken.

In kleinen Gruppen stehen die Kirchenbesucher nach dem Gottesdienst beisammen, reden, schweigen, und was man hört, fügt sich zusammen zu dieser schrecklichen Geschichte, der Frauscherecker Sturmtragödie. "Unser Enkerl hat sich die Nasn brochn…", "Warst du a drinnen…?", "…da hebt´s einfach alles aus, da kannst nix machen!", "Gott sei Dank, i kanns gar net glauben, dass alle unverletzt bliebn san…", "Auf oamal is dös Zelt weggwesen, innerhalb von Sekunden…", "Und, was tuat ma, wenn ma an Schuldign findt…?".

Es hat immer alles gepasst

Hans Berer (66), ehemaliger Wirt und Kaufmann, erzählt: "Es war wie in einem Horrorfilm, überall die Rettungs- und Feuerwehrwägen. So etwas vergisst man nie!" Gerade die Frauscherecker Feuerwehr sei immer mit Akribie am Werk gewesen: "Die haben immer alles perfekt organisiert", sagt er.

Dass nun die Frage nach einem Schuldigen oder Verantwortlichen gestellt wird, können manche nicht verstehen: "Was hilft es denn?", fragt ein Pensionist (83) und sagt: "Davon wird keiner mehr lebendig." Regina M., eine entfernte Verwandte des verunglückten Saiga Hansers, kämpft mit den Tränen, wenn sie von Freitagnacht erzählt: "Eigentlich wollten wir mit unseren Kindern auch gehen, aber wir waren bei Bekannten, und das war so gemütlich… – ich darf gar nicht daran denken", sagt sie. Auch die verunglückte Höhnharterin hat die Lehrerin gekannt: "Sie hat im Vorjahr maturiert, und ich war Beisitzerin bei der Prüfung. Mein Gott, wie sich die damals gefreut hat."

Beim Schlusssegen zittert die Stimme von Diakon Anton Baumkirchner. "Ganz Saiga Hans steht hinter euch!", lässt er die vom Unglück schwer getroffene Feuerwehr Frauschereck wissen. Die ersten Sonnenstrahlen dringen durch die Kirchenfenster. Draußen ist es indessen heiter geworden, und wärmer. Doch die Trauer in St. Johann ist geblieben.

 

Video: In der 2.000-Seelen-Gemeinde St. Johann am Walde sind die Menschen zwei Tage nach dem verherrenden Unglück beim Zeltfest der Feuerwehr in Trauer vereint.

 

Video: Ermittlungen nach Festzelteinsturz

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft 

Die Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis zur Unfallursache und eventuellen Schuldfrage laufen. "Ermittelt wird wegen Fahrlässigkeit gegen unbekannt", erklärte Staatsanwalt Alois Ebner am Montag. Zur Abklärung der Unfallursache werden nun zwei Gutachten eingeholt. Ein technischer Sachverständiger soll klären, ob das Festzelt aus statischer Sicht den Vorgaben entsprochen oder ob es Gebrechen gegeben hat. Zudem wurde eine Stellungnahme bei der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Auftrag gegeben, die darlegen soll, ob es im Vorhinein bereits Wetterwarnungen gegeben hätte, die eine Absage des Festes erfordert hätten. Zudem soll die ZAMG beurteilen, wie stark das Unwetter am Ort des Geschehens tatsächlich war.

Das erlebten Besucher im Festzelt

„Wir kamen um 22.15 Uhr zum Fest. Eine Viertelstunde später kam es zum Unglück. Wir konnten uns unter Biertische retten. Ich hatte wirkliches Glück, hab’ nicht einmal einen Kratzer. Freunde von mir kamen mit Platz- und Schnittwunden davon. Einer hat einen Nasenbeinbruch, ein anderer eine Gehirnerschütterung erlitten.“
Thomas Wimmleitner, der 21-Jährige war mit sieben Freunden vor Ort

„Ich konnte meinen Freund nicht mehr finden. Ich schrie panisch nach ihm. Es war vollkommen finster. Ich rannte nach draußen, wo er mit Freunden nach mir suchte. Ich sah so viele blutüberströmte Menschen. Mir war übel und schwindlig, ich zitterte, weinte. Ich wurde im Feuerwehrhaus erstversorgt und dann ins Krankenhaus Braunau gebracht.“
Julia Zauner, die Aspacherin war mit drei Freundinnen in Saiga Hans

„Ein lauter Knall, und plötzlich war das Zelt weg. Alles flog durch die Luft. Die Helfer an der Bar wurden mit der Plane mitgerissen, der Sänger stürzte von der Bühne, die plötzlich einstürzte. Die Musik verstummte, das Licht ging aus.“
Eine Einheimische, die 34-Jährige besuchte mit ihrer Familie das Fest

„Ich wollte eigentlich mit ihm aufs Zeltfest gehen, war aber verhindert. Ich kann es noch immer nicht fassen, dass er verunglückt ist. Er war ein g’miadlicher Mensch. Es ist einfach schlimm.“
Eine Freundin von Christoph A., eine Angestellte aus Höhnhart

 

 

Wie eine Windböe zur Katastrophe werden kann

Kaltluft aus Frankreich war der Auslöser für jene heftigen Gewitter, die am Wochenende über Oberösterreich zogen. Sie traf auf die aufgeheizte österreichische Luft. Der Vorbote ist der Wind, der sich oft in starken Böen entladen kann. „Wenn sich starke Gewitter in einer Linie zusammenschließen, produzieren sie massive Kaltluft. Die Luft steigt auf und muss woanders wieder herunterkommen“, sagt Michael Butschek, Meteorologe bei der ZAMG.

Ab einer Geschwindigkeit von 103 km/h spricht man von Orkanböen. Im Innviertel erreichten die Windstöße bis zu 126 km/h. Auch Tornados sind ab dieser Geschwindigkeit möglich. „Die Voraussetzungen für schwere Gewitter können wir prognostizieren. Wie stark sie ausfallen, können wir erst maximal zwei Stunden vorher sagen“, erklärt Butschek. Wind in dieser Stärke sei in Oberösterreich aber „ein seltenes Phänomen“. (geg)

 

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Nach Katastrophe ermittelt Staatsanwalt

„Wir haben die Ermittlungen in zwei Richtungen aufgenommen“, sagte Alois Ebner, Sprecher der Staatsanwaltschaft Ried, bereits Samstagmittag auf Anfrage der OÖN. „Zum einen schauen wir uns an, ob das Zelt ordnungsgemäß aufgebaut war.“ Dem ersten Anschein nach sei das Festzelt neu und mit einem frischen TÜV-Siegel versehen gewesen.

Gutachter vor Ort

Ein von der Staatsanwaltschaft bestellter Sachverständigengutachter habe sich am Samstagnachmittag das Gelände und das sichergestellte Zelt ganz genau angesehen, so Ebner. Es wurden auch noch viele detaillierte Luftbildaufnahmen vom Gelände gemacht. Auch die Verantwortlichkeit des Veranstalters des beliebten Zeltfestes werde genauer unter die Lupe genommen, kündigt Ebner an. „Es stellt sich für uns die Frage, ob die Veranstaltung wegen der Unwetterwarnung nicht hätte abgesagt werden müssen.“

„Windhose“ entstanden

Am Unglücksort sei ersten Ermittlungen zufolge eine Art „Windhose“ entstanden. „Es gibt in diesem Bereich viele umgeknickte Bäume, wir gehen von massiven Windgeschwindigkeiten aus“, sagt Ebner. Die Dauer der Ermittlungen schätzt der Rieder Staatsanwalt auf „mehrere Wochen“.

 

 

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28. März 2024