Als Oberösterreich Seidenraupen züchtete
Die Seidenraupenindustrie war im 19. Jahrhundert ein blühender Industriezweig und ein Seidenkleid ein Zeichen für höchsten Wohlstand.
In Gramastetten werden wieder Maulbeerbäume gepflegt. Der von 1841 bis 1906 dort als Bader und Wundarzt ansässige Alois Peither hatte Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Steilhängen hinab zur Rodl Terrassen für eine Maulbeerbaum-Plantage anlegen lassen. Sein Ziel: hier eine Seidenraupenzucht anzusiedeln und damit für die Leute in dem recht armen Mühlviertler Markt eine neue Erwerbsbasis zu schaffen.
Derzeit werden diese inzwischen verfallenen Terrassen zusammen mit der sogenannten "Jahresstiege" mit ihren 365 Stufen zur Rodl hinab mit viel Engagement der Bevölkerung wiederhergestellt, aber nicht mehr zur Seidenraupenzucht, sondern als Naherholungsraum und Touristenattraktion. Die Seidenraupe ist ja ein recht heikler Geselle. Sie ist auf die Blätter des Maulbeerbaums spezialisiert, die ihr massenhaft als Futter geliefert werden müssen, damit sie sich dann in ihrem Kokon verpuppen und den bis zu 800 Meter langen Faden liefern kann, der höchsten Kleiderluxus und Tragekomfort verspricht.
Über Jahrtausende hinweg hatte China das Geheimnis der Seidenraupenwirtschaft bestens gehütet und über die berühmte Seidenstraße die teuer zahlenden Oberschichten im Orient und in Europa mit dieser Wunderfaser versorgt. Weil das die Handelsbilanz belastete, war die logische Lösung, selbst eine Seidenerzeugung zu fördern, auch dort, wo die klimatischen Verhältnisse nicht gerade günstig für die empfindliche Raupe und ihr bevorzugtes Fressen waren. Die heimische Seidenraupenzucht versprach im 18. und 19. Jahrhundert ein großes Geschäft zu werden. 1856 war der "Verein zur Förderung der Seidenkultur in Oberösterreich" gegründet worden. Er bekam bis 1862 jährlich 500 Gulden staatliche Förderung. Von 15. bis 17. Oktober 1867 fand in Wien der erste österreichische Seidenbaukongress statt. "Der Staat weiß, dass der Seidenwurm der beste Steuerzahler ist", schrieb die Neue Freie Presse am 18. Oktober 1867. Doch bald kehrte Ernüchterung ein: 1873 wurde der Linzer Seidenraupenbauverein aufgelöst und 1878 die Verteilung der Maulbeerbäume eingestellt.
Die Seidenindustrie war im 19. Jahrhundert ein blühender Wirtschaftszweig und ein Seidenkleid oder zumindest ein Seidentüchel Zeichen von höchstem Wohlstand: "Mein Vater war a Hausherr und a Seidenfabrikant". Das war einmal. Nicht nur die globale Konkurrenz und das nicht gerade passende Klima haben die mitteleuropäische Seidenraupenzucht scheitern lassen, sondern auch die Entwicklung der neuen, viel billigeren Kunstfasern.
An die einstigen Seidenraupen in Mitteleuropa erinnern nur mehr da und dort in der Landschaft verstreute Maulbeerbäume oder längst von anderen Sträuchern und Pflanzen überwucherte und zerfallende Terrassen wie in Gramastetten.
Roman Sandgruber ist emeritierter Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz.
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