Mostschädel von Welt
Journalist Günter Kaindlstorfer erklärt, warum er stolz ist, ein Welser zu sein.
Sie mögen das exzentrisch finden, aber ich liebe Wels. Es ist die Stadt meiner Kindheit und Jugend – so etwas prägt. Unendlich viele Erinnerungen verbinden sich für mich mit dieser Stadt, die manche – völlig zu Unrecht – für eine der schiachsten Österreichs halten: der erste Kinobesuch meines Lebens ("Micky Maus" im "Zentralkino" am Kaje), das erste Mal Skifahren (auf einem zwanzig Meter hohen Hügel am "Indianerberg"), die ersten religiösen Erlebnisse (beim Kindergottesdienst im Cordatussaal), der erste Kuss (beim Flaschendrehen in Susi Niedermayrs Mädchenzimmer in der Pernau), das erste Billardspiel (im Spielsalon "Patry"), der erste Kaffeehausbesuch (beim "Urbann" in der Bahnhofstraße) und natürlich die erste Arschbombe meines Lebens (vom Dreier im Freibad, Spätsommer 1970).
Wels, das muss ich zugeben, hat sich in den letzten Jahren nicht zu seinem Vorteil verändert. Politisch sowieso nicht – ein rechter Bürgermeister und eine in unnetichen Streitereien versinkende Sozialdemokratie – aber auch städtebaulich hat sich mancherlei verschlechtert, wie ich finde: der Kaiser-Josef-Platz zum Beispiel, in meiner Kindheit das, jawoll, brodelnde Zentrum der Stadt. "Der Kaje" ist zu einer trostlosen Innenstadtbrache verkommen, mit Ramschläden, Wettbüros und trostlosen Leerständen. Aber auch die Welserinnen und Welser selbst haben sich verändert, ob zum Guten oder Schlechten, traue ich mich nicht zu sagen. Zum einen sind sie mehr geworden, zahlenmäßig, zum anderen hat sich die Stadt in eine migrantischere, buntere, multikulturellere Richtung entwickelt – mit allen Chancen und Risiken, die das mit sich bringt.
Wobei man gleich dazusagen muss: Den typischen Welser, die typische Welserin gibt es nicht. Die Spezies des Homo welsensis hat die unterschiedlichsten Ausformungen hervorgebracht. Der typische Welser liebt den Most und ein resches Schweinsbratl, Spezialitäten, die er bevorzugt in Gastgärten in Oberthan oder Wimpassing zu sich nimmt. Die typische Welserin ist in Diyarbakir geboren oder in Bingöl und wohnt in einem Appartement in der Noitzmühle, von wo aus sie sich engagiert für ein freies, demokratisches Kurdistan ins Zeug legt. Der typische Welser hackelt als Roadie im "Alten Schlachthof" und steht auf Yung Hurn. Die typische Welserin betreibt eine stylische Fetzen-Boutique in der Schmidtgasse und steht auf Sebastian Kurz. Der typische Welser schiebt fünf Achtstunden-Schichten wöchentlich im "Reformwerk" und würde die Sozis wählen, wenn sie endlich wieder mit einer Stimme sprächen. Die typische Welserin ernährt sich flexitarisch und gönnt sich zwei Mal im Jahr einen Yoga-Kurs auf Kreta.
Das könnte man endlos so fortführen. Die Welser Bevölkerung ist diverser, als man glaubt. Wobei die Menschen dieser Stadt, so scheint mir, eines gemeinsam haben: Städtisches und Ländliches, Bodenständiges und Weltbürgerliches, Urbanes und Rurales ist in der Welser Seele untrennbar miteinander verbunden. Wir Welser sind Mostschädel. Aber Mostschädel von Welt.
Günter Kaindlstorfer nennt sich als Schriftsteller Günter Wels, ebendort wurde der Ö1-Journalist, was er heute ist.
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