Ein Temperament wie das Wetter
Schriftstellerin und Biologin Andrea Grill über die Salzkammergutler und was sie vereint.
Der Garten schnaubt und wir trinken Kaffee, schauen aufs Wasser, von der Sonne gewärmt auf über 20 Grad, wie wir mit dem Thermometer, den wir bei uns haben, messen. Wer sind wir? Eigentlich doch auch einige Schriftsteller; auch wenn wir selten dauerhaft dort wohnen – wir machen hier Ferien, wir schreiben hier und von hier aus, und nicht nur Briefe. Eine will ich doch nennen, eine für alle: Friederike, wie sie morgens und moosgrün. Ans Fenster tritt (Friederike Mayröcker. "da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete." Suhrkamp 2020 ) ist sie, denke ich, die ideale Salzkammergutlerin, eine Art Prototypin.
Nicht nur, weil sie so oft Ischl schreibt, Bad Ischl, vom Plätschern der Quelle dort damals in Bad Ischl an dem Strome wo wir von Tränen überströmt1 schreibt auf der ersten Seite ihres neuesten Buchs, es ist ungerecht, ich weiß, aber ich kann nicht anders. Denn für mich wie für sie schreibt sich vor neben und unter das Wort SALZKAMMERGUT ständig der Gedanke Ischl, es ist ungerecht, aber den Geburtsort konnte sich noch keine aussuchen. Bei ihr, Friederike, ist es Wien, bei mir – eben wie gesagt.
Weil es die Salzkammergutler eigentlich nur von außen gibt, aus der Ferne, ist Friederike eine von ihnen. Diesen Landstrich als Gesamtheit wahrzunehmen geht nur von Weitem, wenn die Orte ineinanderrutschen und damit ihre Bewohner.
Was die Salzkammergutler miteinander vereint, würde ich sagen, ist ...
- Eine Vorliebe für warme und alkoholhaltige Getränke, und Wasser, und dann singen sie und spielen sie, also: sie machen Musik, sie können das, und das ist nichts Bürgerliches, nichts Klassisches und kein Folk – etc. Das ist einfach – jeder kann das machen – das ist Punk, würde ich sagen, über alle Generationen hinweg: Punk.
- Das Wetter, die ständige Beobachtung des sich oft rapide verändernden Wetters, dieses Schauen auf die Wolken und ihre Bewegungen, stetige Sorge um die dem Wetter entsprechende Bekleidung, Jacken und Tücher und Handschuhe im Gepäck; Westen, Stutzen, noch ein Hut, eine Haube.
- Ein Temperament wie das Wetter (Gewitterneigung).
- Der Zweifel, es – wir – sei womöglich eine Erfindung der Tourismusindustrie, die keine Entsprechung in der realen Welt hat als die der schwarzen Umrandung des durch den Feldstecher fotografierten Bildes davon?
- Eine Liebe zu Singvögeln, ich will sie haben, zuhause im Käfig, sie sollen mir im Winter Gesellschaft leisten, Blumen vor die Fenster singen, knallgrüne Wiesen zwischen die Eiskristalle. Und wir dürfen das, Vögel fangen, Zeisige, Gimpel, Finken, Rotkehlchen; und Friederike tut das auch. Weil sie es kann und ich ihr glaube, dass es gut ist für die Vögel, sie so sicher durch kalte Winter kommen; weil wir das auch glauben.
MEIN COUSIN, und ich will ihn hier jetzt neben Friederike nennen, ist einer von ihnen und einer von uns. Was würde er sagen?
- Diese Gegend ist die schönste des Universums, ich will nie von hier weg. Nie.
- Und: Das Vogelfangen lasse ich mir nicht nehmen. Nie.
- Dass man im Regionalzug von Attnang-Puchheim nach Stainach-Irdning dem einzelnen Passagier anhand seines Dialekts die Haltestelle zuordnen kann, bei der er aussteigen wird. (Wobei: Mein Cousin fährt natürlich nie Zug. Aber er weiß das trotzdem.)
Salzkammergutler wissen Dinge: Wos i ois dalebt ho, nua wei i’s aushoid.
Andrea Grill ist Schriftstellerin und Biologin.