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"Wir müssen reden - und kooperieren"

Von Ulrike Rubasch   27.November 2021

Selbstfahrende Autos in großer Anzahl auf Österreichs Straßen bereits 2025 – das hatte Sepp Hochreiter vor zwei Jahren für möglich gehalten. Das ist jetzt anders. Die Koryphäe auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI), derzeit an der Linzer Johannes Kepler Universität, hat festgestellt, dass sich das bzw. die breite Anwendung von KI wegen der Fokusänderung durch Corona und einer "falschen Mentalität" der Unternehmen nicht mehr ausgeht. Während IT-Riesen miteinander kooperieren, konkurrieren heimische Unternehmen wie in alten Zeiten.

OÖN: Blicken wir ein Vierteljahrhundert zurück: Wie haben Sie den Wandel bei Digitalisierung und künstlicher Intelligenz (KI) persönlich erlebt?

Hochreiter: 1991 habe ich LSTM, Long short- term memory (Deutsch: langes Kurzzeitgedächtnis – eine Technik, die zur Verbesserung der Entwicklung von künstlicher Intelligenz wesentlich beigetragen hat, Anm.), entwickelt. Vor 25 Jahren haben wir versucht, das der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu vermitteln. Dann passierte lange nichts, erst ab 2009 ging es los mit Deep Learning, die neuronalen Netze wurden wieder populär. Sehr schnell griffen Google, Facebook, Amazon, Microsoft, Apple, Baidu das auf. Alle haben es 2016/17 in die Sprachverwaltung und in Übersetzungstools eingebaut, auch in Alexa und Siri. Bei Tesla ist heute diese LSTM-Technologie bei der KI zum autonomen Fahren ebenfalls eingebaut. Die großen Durchbrüche der KI waren zu sehen bei Schach, Go und jetzt Spielen wie Starcraft, wo KI die besten Spieler schlug.

Also ist KI in der Breite der Gesellschaft angekommen?

In den vergangenen 25 Jahren haben wir viel mehr Daten und größere Rechenkapazität bekommen– ohne die hätte die KI keinen Erfolg haben können. Umgesetzt wird sie von den IT-Giganten. In der breiten Bevölkerung und Industrie fehlt noch einiges, weil teilweise die Daten noch nicht vorhanden sind – anders als bei Google, Amazon und Facebook, die von Anfang an auf Daten gesetzt haben. Da sind wir am Aufholen, um überhaupt die Voraussetzungen zu haben für KI-Methoden: Viele Firmen müssen erst Sensoren einbauen und Rechenpower aufbauen, um überhaupt einmal auszuprobieren, ob KI in ihrem Umfeld etwas nutzen würde. Da sind wir in Oberösterreich gerade am Aufholen, ich hoffe, dass wir diese neuen Techniken nutzen können, weil wir, natürlich unter Einhaltung der Datenschutzbedingungen, viel mehr Daten brauchen, die beispielsweise sagen, wie Kunden die Produkte verwenden.

2019 gab es eine Studie, dass 13 Prozent der Unternehmen Österreichs KI einsetzen. Damit lag man weit hinter anderen Staaten, allen voran China. Hat sich der KI-Einsatz inzwischen erhöht?

Es hat sich verschlechtert im Vergleich zu anderen Ländern. Ich sehe das zum Beispiel in Amsterdam – da ist ein ganz anderes Klima. Die Firmen kooperieren dort viel mehr miteinander, sie reden miteinander, und die Mitarbeiter dürfen auf Konferenzen publizieren. Insbesondere bekommt man damit viel mehr qualifizierte Mitarbeiter, weil sie ihre Erfolge herzeigen und darüber reden dürfen. Sie tauschen sich viel mehr aus, wie die neue Technologie in der Produktion umgesetzt und hochskaliert werden kann. In Österreich hingegen fragen mich Industriekonzerne nach Lösungen – die denken ganz falsch und wollen wie früher in 20 Jahren einen Motor entwickeln: "Ich erzähle niemanden, was ich gemacht habe und hab alle Patente für mich allein." Das ist aber so eine schnelle Technologie! Wenn ich warte, bis ich das allein in meinem Kämmerchen entwickelt habe, ist der nächste schon da. Hier ist eine falsche Mentalität, das funktioniert mit den neuen Technologien nicht mehr. Ich muss schauen, wie die anderen das Problem lösen und darüber reden. Das funktioniert in Österreich noch nicht. Wir müssen viel offener sein.

Woran scheitert es?

Seit zwei Jahren fordere ich ein KI-Zentrum, wo Firmen, Start-ups, Exzellenz-Zentren, Entrepreneure und Forschung zusammenkommen. Weil wir das nicht haben, schick ich alle Firmen, die zu mir kommen weg ins Ausland nach Potsdam, nach Prag. In Tübingen gibt es das CyberValley, da ist was los. In Österreich passiert nichts. Deshalb muss ich den Firmen momentan empfehlen, insbesondere Start-ups, Österreich zu verlassen, weil ich die nicht betreuen kann, ich schaff das nicht mehr. Mit ein paar Firmen aus Oberösterreich arbeiten wir gut zusammen und können sie zur Marktführerschaft bringen. Aber wir bekommen die Technologie nicht in die vielen anderen Firmen hinein, da uns die Kapazitäten fehlen.

Wie könnte die oberösterreichische Industrie sinnvoll KI einsetzen?

Gerade der oberösterreichischen und süddeutschen Industrie im Geräte- und Anlagenbau würde ich raten, Dinge so anzugehen wie etwa bei einer Bohrmaschine: Im Gerät Sensoren verbauen, die dem Hersteller mitteilen, ob das Gerät funktioniert, ob es richtig oder überhaupt benützt wird oder ob der Bohrer ständig stumpf ist. Dann kann der Hersteller aktiv werden, bevor der Kunde genervt und zornig ist, weil das Gerät nicht funktioniert. IT-Konzerne wie Facebook und Google holen sich die Daten der Kunden zurück, sie sind direkt am Kunden. Da hoffe ich, dass auch Betriebe in Oberösterreich die Methoden der KI nutzen, weil sie so viel näher am Kunden sind und den Markt sehr genau beobachten können.

Welche Rolle spielt KI bei der Bewältigung der weltweiten Klimakrise?

Wir sind in Linz führend bei KI für Klimawandel. Google hat uns viel Geld gegeben, für KI und Hydrologie, um vorherzusagen, wie viel Wasser in den Flüssen ist. So kann man vorhersagen, wie bei einem Temperaturanstieg von zwei Grad Celsius die Flussbepflanzung verändert werden muss, um Überschwemmungen zu vermeiden. Weil es kein KI-Institut gab, konnte ich diese Leute nicht halten, die gingen mit den Flutvorhersagemethoden aus Linz zu Google. Diese Methoden werden demnächst von der amerikanischen und kanadischen Regierung zur Flutvorhersage verwendet werden.

Insofern ist es ja ein Wunder, dass Sie noch in Linz sind.

Ich habe tatsächlich Angebote, aber ich weiß nicht, wie es weitergeht. Woanders ist es sehr dynamisch, hier ist nichts los, das ist frustrierend, auch wenn jetzt die ersten Absolventen vom KI-Studium in Linz kommen, die supergut sind, und wo sich Topunternehmen der Welt alle Finger abschlecken würden, wenn sie die bekommen würden.

Wo sehen Sie Gefahr bei KI?

Natürlich bei Waffen, da wird mit KI noch mehr Unheil angerichtet. Auch wenn die Militärs sich nicht davon abhalten lassen werden, KI einzusetzen. Eine Maschine kann nie Empathie empfinden, das kennt die KI nicht. Im medizinischen Bereich oder vor Gericht soll die KI nicht entscheiden, ob operiert wird oder ob ein Mensch verurteilt wird. Aber man kann sie immer als Hilfsmittel hernehmen. Sogar das kann problematisch sein: Ein Arzt könnte sich so sehr auf die KI verlassen, dass er selbst nicht mehr richtig prüft mit dem Argument, "das hat das System ja gesagt". Es besteht die Gefahr, den Systemen zu viel Vertrauen zu schenken, weil sie ja schon so gut funktionieren. Beim Tesla sollte man die Hände auch beim Selbstfahrmodus auf dem Steuer lassen.

Sie rechnen nicht mehr mit selbstfahrenden Autos bei uns bis 2025?

Auch weil sich die Einstellung der europäischen Autohersteller geändert hat, sie haben erkannt, dass sie die Technologie besser nicht selbst entwickeln, sondern zukaufen sollten. Die Autokonzerne evaluieren gerade, welche Unternehmen gute KI etwa für Fußgängererkennung haben, die sie dann kaufen wollen.

Inwiefern bremsen Ängste?

Natürlich spielt das eine Rolle. Pharmafirmen machten gute Prognosen für Medikamente, die Chemiker hatten lange Angst, dass sie ersetzt würden. In Deutschland bei der Flutkatastrophe im Sommer hatten wir supergute Modelle, die das vorhergesagt haben, und dennoch wurden sie nicht berücksichtigt. Der Mensch hat Angst vor der KI, nicht einmal so, dass die Maschinen die Welt übernehmen, sondern er hat vielmehr Angst, die Technik zu bedienen, weil er sie nicht beherrscht und versteht. Diese Vorurteile halten Firmen ab, KI anzuwenden. Deshalb müssen sie miteinander reden, um diese Ängste abzubauen.

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28. März 2024