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Endlich Weltbürger - über die Wichtigkeit von ganzheitlicher Bildung

Von Meinhard Lukas   27.November 2021

Das Ziel wahrer Bildung wird sich in den nächsten 25 Jahren ebenso wenig ändern wie in den letzten 2500 Jahren. Die "Paideia" (Erziehung, Bildung) ist ein Schlüsselbegriff der Antike. Es geht dabei gerade nicht um Vielwisserei. Ziel der Paideia ist die Hinwendung des Menschen zum Denken dessen, was die menschliche Existenz ausmacht. Die Ausbildung der elementaren Tugenden des Menschen steht im Mittelpunkt.

Der antike Bildungsbegriff wurde wesentlich durch das Höhlengleichnis in Platons "Politeia" ("Der Staat") geprägt. Es handelt davon, wie der Mensch aus der finsteren Welt der Schatten, Trugbilder und Gefangenschaft heraus und hinauf zum "Licht der wahren Erkenntnis" gelangt.

Wie im Höhlengleichnis wird Bildung auch im Zeitalter der Aufklärung als Akt der Befreiung verstanden und untrennbar mit den Prinzipien Vernunft, Emanzipation und Mündigkeit verknüpft. Das kommt in einem der berühmtesten Zitate Immanuel Kants (1724 – 1804) zum Ausdruck: "Aufklärung ist der Ausgang der Menschen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit." Daraus leitet Kant die Forderung ab: "Sapere aude! – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Der solcherart aufgeklärte Mensch findet im Wutbürger sein Gegenmodell.

Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit

Von Kants Imperativ ist es naturgemäß nicht weit zum Humboldtschen Bildungsideal: Nicht die Ausbildung zu einem Beruf steht hier im Mittelpunkt, sondern Bildung als Selbstzweck, der sich in der vollen Entfaltung des Menschen und seiner Potenziale erfüllt. Diese Selbstbezogenheit darf aber keinesfalls als Individualismus missverstanden werden. Das Bildungssystem soll ja nach Humboldts Konzept Weltbürger hervorbringen, die schon kraft ihrer Bildung Menschen mit Gemeinschaftssinn sind. Weltbürger sein heißt demnach, sich um Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, um den Austausch der Kulturen, zeitgemäße Geschlechterverhältnisse oder eine neue Beziehung zur Natur zu bemühen.

Das angesprochene Bildungsideal ist der Fels in der Brandung einer Welt, die nicht nur durch Naturkatastrophen oder Corona zunehmend aus den Fugen gerät. Nicht zu reden vom exponentiellen Wissenszuwachs und einer stetig steigenden Komplexität. Allein die technologische Entwicklung raubt einem den Atem. Der erste Personal Computer (Apple I – 1976), die Kommerzialisierung des Internets (1989) oder die Einführung des iPhones (2007) haben nicht nur technische Standards, sondern auch gesellschaftliche Verhältnisse revolutioniert. Soziale Netzwerke (Facebook-Einführung: 2004 für Studierende der Harvard University) haben die Art, wie wir kommunizieren, auf den Kopf gestellt.

Damit haben sich auch die Bedingungen für das Bildungssystem in dramatischer Weise geändert. Die bahnbrechenden Innovationen transformieren – wenn auch von Schulen und Hochschulen lange unbemerkt – den Bildungsgegenstand. So gehören Informationstechnologien längst zu den Kulturtechniken. Ihre sozialen und ökonomischen Wirkungen müssten ebenso Teil des Unterrichts sein. Zudem verändern sich die Perspektiven auf Phänomene wie das Wirtschaftswachstum und die damit zusammenhängende Ausbeutung der Ressourcen. Eine seriöse Auseinandersetzung mit Klimakrise, Dekarbonisierung oder Energiewende setzt ein Wissen voraus, das den Rahmen des heutigen Bildungskanons bei weitem sprengt.

Die angesprochenen Innovationen haben nicht nur den Bildungsgegenstand verändert, sie haben auch ganz neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung geschaffen. Die Digitalisierung analoger Lehre war nur eine erste Annäherung. Digital-analoge Lernräume, welche die unterschiedlichsten Sinne ansprechen und einer Lehr- und Lerndramaturgie folgen, sind die Zukunft. Dabei kann auch die aktuelle Vision von einem Metaversum eine wesentliche Rolle spielen. Das Metaversum ist ein kollektiver Raum, in dem die Grenzen zwischen physischer und virtueller Realität fließend verlaufen. Man könnte auch von einer vollkommen vernetzten Wirklichkeit oder – wie Facebook-Gründer Marc Zuckerberg – von einem Internet sprechen, das Gestalt annimmt.

Ein Manifest für ganzheitliche Bildung

Wie sollen nun all diese Herausforderungen im Bildungssystem angenommen werden? Weitere 25 Jahre werden nicht reichen, wenn wir uns nicht endlich der Tugenden des eingangs skizzierten Bildungsideals besinnen. Die Universität für angewandte Kunst Wien und die Johannes Kepler Universität haben dazu schon Ende 2019 einen Vorstoß unternommen. Mit ihrem Manifest "Innovation durch Universitas" haben sie ihre Vision von ganzheitlicher Bildung skizziert.

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Ein Schlüsselsatz dieses Manifests lautet: "Humboldts Konzept der Universitas gewinnt in einer Zeit wieder dramatisch an Aktualität, die durch ein granulares, ja fast schon atomisiertes Wissen und eine zunehmend sinnentleerte Spezialisierung geprägt ist. Der humanistische Bildungskanon, angereichert um die Entwicklung einer digitalen Kompetenz (und nicht bloßer Fertigkeiten), kann, ja muss die Antwort des europäischen Bildungssystems auf die Herausforderungen aus dem Osten und dem Westen sein."

Ob wir dafür noch 25 Jahre Zeit haben?

Zum Autor: Meinhard Lukas ist Rektor der Johannes Kepler Universität Linz

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26. April 2024