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Erinnerungen an den Bürgerschreck

Von Klaus Buttinger, 07. April 2018, 00:05 Uhr
Erinnerungen an den Bürgerschreck
Das Attentat auf Rudi Dutschke (Faksimile OÖN), den zentralen Agitator der linken Studentenbewegung, wurde zur Zäsur der deutschen 1968er-Bewegung. Bild: APA

Vor 50 Jahren schoss ein Neonazi drei Kugeln auf die linke Führungsfigur der deutschen 1968er-Bewegung, Rudi Dutschke. Die Hassprediger saßen in den Redaktionsstuben von "Bild" und "Nationalzeitung".

Der Weihnachtsbaum war geschmückt, der Braten im Rohr. Die Mutter rief nach den Kindern, sie sollten zum Essen kommen. Sie wunderte sich, dass ihr Mann so lange im Bad blieb – und sah nach ihm. Gretchen Dutschke, Mutter von Polly und Hosea Ché, fand ihren Mann Rudi tot in der Badewanne. Er, die Führungsfigur der 1968er-Bewegung in Deutschland, war während eines epileptischen Anfalls ertrunken – eine der Folgen eines Attentats elf Jahre zuvor.

Am 11. April vor 50 Jahren schoss der 23-jährige arbeitslose Anstreicher Josef Bachmann Dutschke von der Spitze der deutschen Protestkultur. Jene "drei Kugeln auf Rudi Dutschke" – wie Liedermacher Wolf Biermann später singen würde – lösten die schwersten Ausschreitungen der laufenden Proteste aus ("Osterunruhen"). Die Studenten machten die Springer-Presse für das Attentat verantwortlich. Deren Tageszeitung "Bild" hatte Anfang Februar geschrieben: "Man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen" und Tage vor dem Attentat zum "Ergreifen" der "Rädelsführer" der Proteste aufgerufen. Nach dem Attentat stoppten Tausende Demonstrierende die Auslieferung der Zeitung. Die Molotowcocktails, mit denen die Springer-Lieferwagen in Brand gesteckt wurden, hatte übrigens ein V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes unter den Demonstranten verteilt. Parallelen zum NSU-Skandal sind auffällig.

Attentäter Bachmann hatte, wie 2009 aus DDR-Akten bekannt wurde, Kontakt zu Neonazis. Von ihnen bekam er die Tatwaffe, mit ihnen machte er Schießübungen. In seiner Wohnung hing ein Porträt Hitlers. In seiner Kleidung fand man Ausschnitte aus der Nationalzeitung, die getitelt hatte: "Stoppt den roten Rudi jetzt!" Sieben Jahre Haft bekam Bachmann für versuchten Mord.

Rudi Dutschke, schwer verletzt von Treffern am Kopf, lernte in monatelanger Therapie die Sprache wieder und schrieb Bachmann. Er hege keinen persönlichen Groll gegen ihn. Das Opfer versuchte dem Täter sogar seine sozialistische Denkweise nahezubringen. Bachmann beging Anfang 1970 im Gefängnis Selbstmord.

Warum dieser Hass?

Dutschkes Ziel war die "Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft" durch eine "Weltrevolution", so geht es aus seinen Reden und Schriften hervor. Im Sinne von Karl Marx analysierte er den Kapitalismus und kam zum Schluss: Die soziale Marktwirtschaft beteilige das Proletariat zwar am relativen Wohlstand der fortgeschrittenen Industrieländer, binde es dadurch aber in den Kapitalismus ein und täusche es über die tatsächlichen Machtverhältnisse hinweg.

Dutschke knüpfte an den christlichen Sozialismus seiner Jugend an, die er in der DDR verbrachte. 1978 erklärte er, er sei "ein Sozialist, der in der christlichen Tradition steht", und auf diese Tradition sei er stolz. Dutschke sprach sich oftmals gegen terroristische Aktionen aus. Er propagierte gezielte Provokationen und offene Demonstrationen, um Aufmerksamkeit zu erregen und das System zu entlarven. So versuchte er etwa einen Gottesdienst zu einer Diskussion über den Frieden in der Welt umzufunktionieren. "Wascht euch mal" und "Raus, ihr Schweine" beschieden die Kirchgeher den Aktivisten. Dutschke wurde immer mehr zum Bürgerschreck in einer verzopften Gesellschaft, in der die Nazi-Seilschaften in Politik, Justiz, Exekutive und Medien noch prächtig und hübsch leise funktionierten.

Die Studentenbewegung hingegen zerbrach. Ein Teil radikalisierte sich in der RAF, der andere trat den langen "Marsch durch die Institutionen" (Dutschke) an. Wenige haben ihn schadlos überstanden.

„Er wusste, dass Macht korrumpiert“

Die Werte, die von ihrem Vater blieben, sieht Gretchen Dutschke auch bei den drei Kindern von ihr und Rudi Dutschke. „Die Liebe zur Menschheit, dass man die Unterdrückung oder Beleidigung von Menschen nicht akzeptieren kann.“

Hosea-Che (50) leitet eine Gesundheitsbehörde in Dänemark, Polly-Nicole (48) ein Pflegeheim, Rudi-Marek (38) war vorübergehend in Berlin bei den Grünen aktiv.

Sohn Hosea Ché Dutschke an der Seite seines Vaters als Dreijähriger Bild: Archiv

Hosea war dabei, als seine Mutter den toten Vater aus der Badewanne zog, er versuchte ihn wiederzubeleben. Heute lebt er in Aarhus in Dänemark, jener Stadt, in der die Dutschkes nach dem Attentat Exil fanden. Der Direktor für Pflege und Gesundheit im Rathaus ist Mitglied der Sozialistischen Volkspartei und glaubt, dass „eine demokratische Gesellschaft unbedingt gut ausgebildete Bürokraten in der Verwaltung braucht“. Sein Vater meinte noch, die Bürokratie müsse zerstört werden. Hosea: „Er wusste, dass Macht korrumpiert.“ Deshalb versuche er die Verwaltung so transparent wie möglich zu halten und offen zu sein für Kritik. Die Notwendigkeit, den Kapitalismus niederzukämpfen, sieht er nicht.

 

Stolz darauf, was die 68er-Bewegung erreicht hat

Gretchen Dutschke zieht in ihrem jüngst erschienenen Buch Bilanz über 1968 – und die Zeit bis heute. 75 Jahre alt ist die Witwe von Rudi Dutschke. Sie lebt in einem Frauenprojekt in Berlin. Dorthin kam die Studentin mit 21 auf einem Kohledampfer aus den USA, um die Sprache Kants zu lernen. Als sie zufällig Rudi Dutschke in einem Café traf, sei „das Liebe auf den ersten Blick gewesen“, erzählt sie. 1966 wurde geheiratet, Rudi Dutschke zum Wortführer der linken Studentenbewegung, der Rest ist deutsche Zeitgeschichte.

Gretchen Dutschke (75) Bild: privat

Zum Zeitgefühl der Studenten von damals sagt Dutschke: „Während draußen schon die Weltrevolution wartete, regierte drinnen, im Reich der Gardinen, noch Mutti – oder versuchte es zumindest.“ Trotz Mythos um die „Kommune 1“ sah sie das Verhältnis von Männern und Frauen als schlecht an. Die linken Männer seien ihren viel kritisierten reaktionären Vätern in einer Hinsicht doch ähnlicher als ihnen lieb war.

 

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12  Kommentare
12  Kommentare
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Almroserl (7.529 Kommentare)
am 07.04.2018 21:32

Er trat für die Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft ein, deswegen musst er weg.

Hunger, Krieg und Herrschaft müssen bleiben? Nein.

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kratzfrei (19.103 Kommentare)
am 07.04.2018 17:36

Stasi-Hintergrund hatte der Ohnesorg Täter.
Doch alle anderen Vorwürfe bleiben in der Fall aufrecht.

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Almroserl (7.529 Kommentare)
am 07.04.2018 21:32

Neonaziszene.

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kratzfrei (19.103 Kommentare)
am 07.04.2018 17:23

Offenbar hat dieser Dutschke in Buttinger einen glühenden Verehrer gefunden, denn sonst würde er nicht so einen lobhudelnden propagandistischen Beitrag ablassen.

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Almroserl (7.529 Kommentare)
am 07.04.2018 21:33

Du kapierst ja nicht einmal, worum es geht.

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kratzfrei (19.103 Kommentare)
am 07.04.2018 17:18

Nun dieser Quatschkopf hat ständig sinnentleerten Stuss verbreitet.
Erstaunlich war nur, dass ihm überhaupt wer zugehört hatte.
Später hat sich herausgestellt, dass die Stasi hinter dem Attentat steckte, die das bundesdeutsche Klima aufheizen und eine Art Revolution anzetteln wollte.
Es gab zwar 68-iger Krawalle, aber keine echte Revolte. Glücklicherweise.
Nur wer schreibt schon darüber. Über die ganze Wahrheit?

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oblio (25.215 Kommentare)
am 07.04.2018 14:39

jago
Kennst du überhaupt seine Reden???
Er hat zumindest Denkanstöße gegeben!
Und dafür wurden er und andere Ermordet!

Die heutige Gesellschaft wuselt noch immer
unter der Wirtschaftsdiktatur herum.
Gleichberechtigung ist auch noch kein
Fakt oder doch schon wieder weniger als vor
den 68igen!
Die heutigen Regierungen in Europa sind
ebenfalls auf einem guten Weg in den schon
abgehakten Faschismus!
In den meisten Ländern bestimmt eine
Mehrheit über eine (mosl.) Minderheit, um
sie als unerwünscht mit demokratisch
fragwürdigen Mitteln gleich einer Rekonquista
aus Europa zu vertreiben!

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oblio (25.215 Kommentare)
am 07.04.2018 14:40

Gehört zu jago

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jago (57.723 Kommentare)
am 07.04.2018 15:17

Die 68er sind nicht geeignet gewesen, die damalige Nachkriegsgeneration zum Einlenken zu bewegen. Sie haben sich nur als plumpe Gegenpendelbewegung mit viel akademischem Brimborium zum Rattenfangen bei der Jugend gezeigt aber nicht demokratisch orientiert.

Sie haben sich verschiedener Vorkommnisse bedient als "Beweis" für die Richtigkeit ihrer Proteste. vom M.L.King-Mord über den Ohnesorg-Tod bis zu MyLai. Aber sie haben nicht das demokratische Prinzip verfolgt, sie wollten alle nur links, links, extremlinks -die Macht an sich reissen,

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Almroserl (7.529 Kommentare)
am 07.04.2018 21:34

Kannst dich noch erinnern? Was wolltest du denn damals? grinsen

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jago (57.723 Kommentare)
am 07.04.2018 11:44

Dass die Linken selber auch solche Führungsfiguren benötigen, ist der traurige Beweis dafür, dass sie nur die anderen outwings sind. Ihre Gesinnungsfreunde in ihren Medien stilisieren sie hoch zu Heiligen, das ist dann aber auch schon alles.

Demokratische ist daran gar nichts, außer dass sie die Demokratie für sich verbogen haben. Später hat sich herausgestellt, dass das organisatorische Gerippe von der DDR aus geformt und lebendig gehalten worden ist.

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Almroserl (7.529 Kommentare)
am 07.04.2018 21:35

Vergiss die Krücken, stütze dich nicht auf fremdes Zeugs.
Entweder laufe selber oder lass es bleiben.

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