Wie Linz Textil seit 1840 Industriegeschichte spinnt

Von Dietmar Mascher   17.Oktober 2015

Im kommenden Jahr wird die Linz Textil AG 176 Jahre alt. Sie wird dann die letzte Spinnerei am Standort Linz zusperren (die OÖNachrichten haben diese Woche berichtet). Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber sagt, er sei "mit Trauer erfüllt, weil ich auch nicht verstehen kann, wie es dazu kommen konnte". Den Ausschlag für die Schließung der modernsten Spinnerei Europas gibt der überraschend verkündete Lieferrückgang durch die Lenzing AG. "Offenbar setzt die Lenzing auf andere Materialien mit höheren Margen. Ich bin aber nicht sicher, ob diese Rechnung auch aufgeht und warum man dafür die langjährige Partnerschaft mit dem wichtigsten Abnehmer aufs Spiel setzt", sagt Sandgruber.

Ein Blick zurück in die Geschichte der Linz Textil gibt tatsächlich Aufschluss darüber, dass die beiden Industriebetriebe seit 1938 enge Beziehungen pflegten. Die Geschichte der Linz Textil selbst spiegelt die Industriegeschichte Oberösterreichs.

Im 19. Jahrhundert war Oberösterreichs Textilindustrie geprägt vom Wettlauf zweier bemerkenswerter Unternehmer. Der eine – Josef Dierzer – hatte als 22-Jähriger die Wollzeugfabrik geerbt und machte daraus ein Imperium. Er war als Kammgarnspinner erfolgreich, gründete neben seinen Linzer Betrieben auch eine Flachsspinnerei in Lambach und wurde später Handelskammer-Präsident sowie Bürgermeister von Linz.

Sein Rivale, mit dem er persönlich gut konnte, war Johann Evangelist Grillmayr. Der gelernte Schuster, der seinen geringen Bildungsgrad durch Technikbegeisterung, Eifer, Kreativität sowie die Heirat mit einer zwölf Jahre älteren Witwe (seine ehemalige Chefin) mit sieben Kindern wettmachte, zog ab 1840 mit seinem Partner Anton Wöss in Kleinmünchen ein Unternehmen auf, das zunächst wegen Kapitalmangels nicht spinnen durfte. Nachdem sich Wöss später wieder verabschiedete, expandierte Grillmayr kräftig. Auch zu Lasten der Mitarbeiter (darunter viele Kinder), die bis zu 80 Stunden pro Woche arbeiten mussten. Grillmayr gewann den Wettbewerb gegen Dierzer und übernahm dessen Firmen. 1872 brachte Grillmayr die "Actien-Gesellschaft der Kleinmünchner Baumwollspinnereien und mechanischen Weberei" an die Börse. Bei einem Börsencrash drohte dem Unternehmen der Zusammenbruch. Grillmayr kaufte Anteile von der Börse zurück. Bis 1914 wurde weiter expandiert.

Zeit der Auszehrung

Von 1914 bis 1938 wurde dagegen nicht investiert, sondern das Unternehmen ausgezehrt. Die Eigentümer, hauptsächlich Wiener Textilindustrielle und Banken, zahlten sich Dividenden von 45 Prozent. Gleichzeitig stiegen Arbeitslosigkeit und Armut. Als Hermann Göring 1938 die Stahlwerke in Linz zu bauen begann, musste die "Actie", wie sie in der Bevölkerung hieß, viel Grund an die Göring-Werke abtreten. Sie wurde nie entschädigt.

1938 beteiligte sie sich auch an der neu gegründeten Lenzing AG mit 7,5 Prozent und erhielt dafür fixe Viskose-Lieferungen für die Spinnerei. Die Beteiligung verschwand nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Actie konnte vom Wirtschaftswunder der Zweiten Republik bis in die 1970er-Jahre nicht profitieren. "Sie schrieb jahrelang rote Zahlen", erinnert sich Sandgruber, der sich für eine Publikation intensiv mit der Geschichte der Firma auseinandergesetzt hat. Mit der Bestellung von Dionys Lehner änderte sich das. Der gebürtige Schweizer, der zunächst als Wirtschaftsjournalist und dann als Berater bei McKinsey gearbeitet hatte, sanierte das Unternehmen, das bis 2014 immer schwarze Zahlen schrieb und auch nach einem Verlustjahr mit einer Eigenkapitalquote von 80 Prozent wirtschaftlich gut dasteht.

Lehner ist nach wie vor Chef der Linz Textil, wie sie seit 1978 heißt. Ihm bzw. seiner Familie gehört die Mehrheit am börsenotierten Unternehmen. Für die Lenzing AG war die Linz Textil stets einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Abnehmer von Fasern. Und auch wenn die Partnerschaft der beiden getrübt ist, wird die Linz Textil auch weiterhin Ware aus Lenzing verarbeiten.