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Quelle: Aufstieg und Fall

Von Von Josef Lehner, 22. Oktober 2010, 12:18 Uhr

Es ist nicht das erste Mal, dass die Aufbauarbeit einer Generation von der nächsten zerstört wird. Der Fall Quelle ist trotzdem einmalig. Die Kaufhaus- und Versandhandelskette hat für das deutsche Wirtschaftswunder gestanden und ist über seine Kataloge in Millionen Haushalten präsent gewesen.

Als der Kaufmann Gustav Schickedanz im März 1977 an seinem Schreibtisch in der Firmenzentrale in Fürth zusammenbricht und wenige Tage später im Alter von 82 Jahren stirbt, hinterlässt er ein Imperium: 43.000 Mitarbeiter, 8,3 Milliarden D-Mark Jahresumsatz (gut vier Milliarden Euro). 12.000 in- und ausländische Firmen beliefern Quelle mit rund 80.000 Artikeln. Der Jubiläumskatalog 1977 umfasst 930 Seiten und hat eine Auflage von 7,5 Millionen Stück. Jeder zweite Haushalt in Deutschland zählt zu den Kunden. Ihre Aufträge werden mit rund 25 Millionen Paketen pro Jahr zugestellt.

Der Sohn eines kleinen Drechslermeisters im fränkischen Fürth hat innerhalb von 50 Jahren die Konsumwelt der Deutschen völlig verändert. Nach einer Handelslehre und dem Kriegsdienst als Zahlmeister startet Gustav Schickedanz in der Heimatstadt 1923 einen Großhandel mit Kurzwaren.

An der Quelle ist’s billig

Sein Genie als Kaufmann zeigt sich bald, schreibt Biograf Gregor Schöllgen, als er in der Zeit der Super–inflation und Wirtschaftskrise neue Wege geht. Er will seine Abnehmer, die Kaufleute in der Provinz, von Sammelbestellungen überzeugen, die bessere Preise bringen. Das würde die Nachfrage steigern und die Umsätze erhöhen. Davon sind die Krämer nicht restlos überzeugt. Deshalb gründet Schickedanz 1927 parallel zum Großhandel die „Versandhaus Quelle GmbH“. Er bespricht den Namen mit Werbeexperten und kommt zum Schluss: Die Kunden wollen günstig kaufen – an der Quelle.

Er wirbt zuerst in entlegenen Landesteilen, weil er die Kaufleute der Umgebung nicht als Abnehmer verlieren will. Auch beschränkt er sich auf „Kurz- und Wollwaren“. Die Adressenliste für den bescheidenen Katalog zu vergrößern, ist mühsam. Er kauft die Kundendateien von Pleitebetrieben zusammen und gewinnt die Steyler Missionare, die ihre Zeitschrift „Stadt Gottes“ versenden.
1928 erscheint der erste Quelle-Katalog, versehen mit dem Hinweis „Ein Führer durch die Sorgen des täglichen Lebens“. Er ist 92 Seiten stark und offeriert rund 2500 Artikel, von Bändern und Zwirnen bis zu Knöpfen und Textilien – und ein wenig Luxus, Christbaumschmuck.

Der junge Versandhandel stößt auf großes Echo, weil die Kunden wegen der Inflation Festpreise schätzen. Mit Verlässlichkeit verhilft Schickedanz der „übel beleumundeten Branche“ zu besserem Image.

NS-Mitläufer ausgesperrt

Der Schwarze Freitag von 1929 bringt Rückschläge, doch das Quelle-Imperium wächst. Schickedanz kauft auch Produktionsbetriebe und wird mit seinen Papierwerken, die mit Tempo-Taschentüchern und Camelia-Damenbinden den Konsum revolutionieren, zum größten Hygienepapiererzeuger Europas.

Mit dem Zweiten Weltkrieg bricht der Absatz ein. Quelle ist kein kriegsnotwendiger Betrieb. Obwohl der mittlerweile im ganzen Reich geschätzte Unternehmer kritische Distanz zu den Nazis hält, wird er nach 1945 als belastet eingestuft und vom Unternehmen ausgesperrt. Erst langsam gelingen ihm die Rehabilitation und der Start ins Wirtschaftswunder.
Der Quelle-Katalog wird „zum Spiegel der wirtschaftlichen, aber auch der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung“. schreibt Schöllgen.

TV-Geräte für alle

Schickedanz treibt den Versandhandel als Innovator voran. Er führt unabhängige Qualitätskontrollen für seine Produkte ein, lässt die erste vollautomatische Warensortieranlage entwickeln und bringt Ende der Fünfzigerjahre die gesellschaftliche Revolution des Fernsehens mit Billiggeräten in die Haushalte. Foto-Quelle wird Pionier der reiselustigen Wirtschaftswundergesellschaft. Auch große Haushaltsgeräte lassen sich bald bei Quelle bestellen. Der „Revolutionär“ zeigt sich immer wieder in der Tiefpreispolitik. So will er 1975 die Ölkrise überwinden. Er vermietet Elektrogeräte. Doch sein Tod ist nahe – und der Wandel des Konsumverhaltens, den er nicht mehr erkennt, längst im Gange.  

Im Juni 2009 ging der deutsche Arcandor-Konzern, der zehn Jahre vorher aus den Handelsgruppen Karstadt-Hertie und den Versandhändlern Quelle und Neckermann gebildet worden war, mit Schulden von 19 Milliarden Euro zum Konkursrichter. Ein Jahr später war alles zerschlagen. Die Quelle-Gläubiger sahen nach Liquidierung nur ein Prozent ihres Geldes wieder. Für die Karstadt-Kaufhäuser ist offensichtlich ein Übernehmer mit tauglichem Zukunftskonzept gefunden.

Doch das hatten die Quelle-Erben auch geglaubt, bei ihren wiederholten Versuchen, ein marodes Geschäftsmodell wieder auf ertragreiche Beine zu stellen. Der Wirtschaftsjournalist Hagen Seidel analysiert in seinem Buch den Untergang und kommt zum Schluss, dass wankelmütige und leicht beeinflussbare Eigentümervertreter, nicht wirklich unabhängige Aufsichtsräte, geschäftstüchtige Berater und teure Manager nie an die Wurzel des Übels gegangen seien.

Den Eigentümern „war zu lange das Gefühl gegönnt, die Könige des deutschen Einzelhandels zu sein“, schreibt Seidel. „Sonst hätten sie wohl früher und konsequenter auf die neue Konkurrenz reagiert, die seit den Siebziger- jahren auf den grünen Wiesen vor den großen Städten entstand: die Einkaufszentren.“

Trotz steter Verluste ab etwa 1975 haben die Handelskonzerne ein großes Plus: die voll stiller Reserven steckenden Kaufhausimmobilien in teuren Innenstadtlagen. Immer wieder werden Stücke verkauft; die Erlöse schließen die Löcher im operativen Geschäft. Deshalb sei es zweifelhaft, wenn die Chefs von einst heute betonen, sie hätten stets positive Zahlen geliefert.

1999 dann das Finale: die Quelle-Erben lassen sich Karstadt aufschwatzen. Der KarstadtQuelle-Konzern (später Arcandor) startet mit 113.000 Mitarbeitern und 15 Milliarden Euro Umsatz. Deutsche Bank und Commerzbank werden ihre Karstadt-Pakete los. Madeleine Schickedanz muss sich beim Bankhaus Sal. Oppenheim mit einem dreistelligen Millionenbetrag verschulden, um den Kauf zu stemmen – und verliert letztlich ihr ganzes Erbe.

Reglose Dinosaurier

Doch die Integration im Konzern wird zu wenig vorangetrieben, teure Doppelgleisigkeiten von Karstadt und Quelle bleiben. Die Konkurrenz wildert in den angestammten Märkten – Metro mit Mediamarkt-Saturn im Elektro-, Douglas und dm im Drogeriegeschäft, Aldi und Lidl bei Lebensmitteln. Die alten Handelshäuser sind reglose Dinosaurier geworden. Sie können die überhöhten Mieten ihrer verkauften Kaufhäuser nicht mehr verdienen. Hagen Seidel schildert, wie Rettungspläne scheitern und Investoren und Manager ihre Anteile ins Trockene bringen. 83 Jahre nach der Gründung wird Quelle liquidiert.

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