Agrarkrise: Erste Bauern können die Zinsen nicht mehr zahlen

Von Josef Lehner und Alexander Zens   08.Juni 2016

"Es gibt erste Signale, dass Betriebe die Zinsen nicht mehr zahlen können", sagt Friedrich Pernkopf, Direktor der Oö. Landwirtschaftskammer. Die Kredite für die getätigten Investitionen können nicht bedient werden. Das sei nicht flächendeckend, die Liquidität sei aber insgesamt angespannt.

Auslöser sind die Tiefpreise bei allen wichtigen Agrarprodukten. Lediglich bei Mastschweinen hat sich die Lage, etwa wegen der Grillsaison, entspannt. Trotzdem ist die Stimmung bei den Bauern katastrophal. Die OÖNachrichten werden die Lage in den nächsten Tagen mit einer Serie erörtern.

"Besonders schlimm ist es weiter bei den Milchbauern. Viele haben in den vergangenen Jahren investiert. Das ist fatal." Das sagt der Perger Weinbauer Leo Gmeiner, der derzeit als neuer Landesobmann der Jungbauern auf Tour durch die Bezirke ist. Er höre von Bauern, dass sie verstärkt außerlandwirtschaftlich arbeiten müssten, um über die Runden zu kommen. Die Milchbauern haben in den vergangenen zwölf Monaten einen stufenweisen Erlöseinbruch von mehr als 25 Prozent zu verkraften.

Totalschäden bei Obst

Wird das Bauernsterben verschärft? "Es wird sich erst zeigen, wie sich das auswirkt", sagt Gmeiner. Leider hätten heuer auch viele jener Betriebe, die sich auf Nischen mit hoher Wertschöpfung spezialisiert haben, schwere Verluste. Der Frühjahrsfrost habe Obst- und Gemüsebauern getroffen. "Im Obstbereich gibt es Ausfälle bis zu 100 Prozent." Agrarlandesrat Max Hiegelsberger befürchtet, dass sich mittelfristig der Strukturwandel verschärft. "Weil es angesichts der aktuellen Lage und der deswegen ausbleibenden Investitionen in den Betrieben immer schwieriger wird, dass die junge Generation übernimmt."

Es sei wichtig, dass die Agrarpolitik jetzt mit Sondermitteln helfe, Löcher stopfe und Liquiditätsprobleme ausgleichen helfe, sagt Gmeiner: "Wir haben im Frühjahr die höchsten Ausgaben, etwa beim Anbau. Die Erlöse kommen meist erst im Herbst. Jeder Euro ist daher jetzt hilfreich."

Hiegelsberger warnt vor den negativen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Preistiefs in der Landwirtschaft. "Viele Arbeitsplätze sind in Gefahr", sagt er. Der Agrarbereich sichert mit vor- und nachgelagerten Branchen 100.000 Jobs in Oberösterreich. Stallbauer und Baufirmen haben massive Rückgänge erlitten und auch schon Mitarbeiter abgebaut.

Wie die Bauern in den einzelnen Produktionssparten zu kämpfen haben, lesen Sie in der OÖN-Serie. Morgen: Schweineproduktion.

„Stillstand würde Bauern in Probleme bringen“

Angesichts der Marktlage sei es für die Bauern sehr schwierig, ihre Betriebe weiterzuentwickeln und für Herausforderungen zu rüsten, sagte Kammerdirektor Friedrich Pernkopf gestern, Dienstag, bei einer Pressekonferenz. Die Landwirtschaftskammer hat rund 170 Berater im Einsatz.

OÖNachrichten: Sind die Bauern von der Kammer falsch beraten worden, nämlich trotz gesättigter Märkte zu investieren?

Pernkopf: Bei Rindern und Milch haben wir immer mehr Produktion als Eigenbedarf. Es gibt keine Alternative. Das Berg- und Grünland lässt sich nur über die Rindermägen bewirtschaften. Das ist ein Wesensmerkmal der österreichischen Agrarstruktur. Wir haben 40 Prozent Exportbedarf. Sonst müssten 40 Prozent der Milchbauern aufhören. Der technische Fortschritt erfordert laufend Anpassungen. Keine Weiterentwicklung, also Stillstand, würde die Betriebe in Probleme bringen. Wir machen Angebote und bieten Beratung.

Die neue Agrarförderung hat einen Schwerpunkt auf Investitionsförderung. Ist das nicht eine Verlockung zu Überproduktion?

Wir haben massiv gefordert, dass mit der Investitionsförderung ein Signal gesetzt wird. Betriebsentwicklung ist immer mit Investitionen verbunden. Es geht nicht nur um Mehrproduktion, sondern darum, den wirtschaftlich-technischen Fortschritt zu nutzen. Derzeit gibt es aufgrund der Marktlage eine Investitionszurückhaltung, trotz der Förderung. Die Bauern sind vorsichtig und warten die Entwicklung ab.

Besteht aufgrund der schlechten Produkterlöse schon für Betriebe eine existenzielle Gefährdung? Können Betriebe ihre Zinsen nicht mehr zahlen?

Es gibt erste Signale, aber nicht flächendeckend. In den vergangenen Monaten stellte sich für den einen oder anderen Betrieb verstärkt die Frage der Liquidität. Wer in jüngster Zeit große Investitionen getätigt hat und die höheren Preise der Vergangenheit nicht mehr nutzen konnte, für den kann die Kredittilgung ein Problem werden. Zuvor waren ja auch sehr gute Jahre. Es hängt nun davon ab, wie lange die Marktlage angespannt bleibt. Familienbetriebe haben die Chance, eine Krise leichter zu durchtauchen.